»Jahr der Lebenswissenschaften«

Biologen leben auf

Die Bundesregierung hat 2001 zum »Jahr der Lebenswissenschaften« erkoren.

Dass die Produktion des neuen Menschen die Herstellung eines neuen Bewusstseins zur Voraussetzung hat, wurde Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn spätestens Mitte letzten Jahres klar. Damals verübten militante Gentech-Gegner in Gießen einen Brandanschlag auf das 1,5 Millionen Mark teure Science-live-Mobil des Forschungsministeriums. Der Info-Sattelschlepper mit integriertem Genlabor wurde völlig zerstört. Seine Mission, bundesweit Schulen anzufahren, um dort für Biotechnologie zu werben, war damit abrupt beendet.

Nun gehen Regierung und Biowissenschaften erneut in die Offensive. Bulmahn hat 2001 zum »Jahr der Lebenswissenschaften« erklärt. Da Physik und Chemie das letzte Jahrhundert geprägt hätten, sei es von »symbolischem Charakter«, die Lebenswissenschaften, in denen sich Biologie und Medizin vereinten, an den Anfang des neuen Jahrhunderts zu stellen. Ziel der Kampagne sei es, den »Dialog zwischen der Wissenschaft und der breiten Öffentlichkeit« zu intensivieren.

Zu diesem Zweck hatte Frau Bulmahn bereits Mitte 1999 mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max Planck-Gesellschaft die Initiative »Wissenschaft im Dialog« gegründet. Auch das Mobil des Ministeriums war Teil der Initiative.

Mit der Durchführung des »Jahres der Lebenswissenschaften« wurde die auf Wissenschaftskommunikation spezialisierte Werbeagentur Iser & Putscher beauftragt, der vier Millionen Mark für Großveranstaltungen in Leipzig, Hamburg, Göttingen, München, Berlin, Köln und Frankfurt am Main zur Verfügung stehen.

Als Hauptakteure der Kampagne sind Forscherinnen und Forscher aus dem Bereich der Life Sciences vorgesehen. Sie sollen die Hauptzielgruppe, Schülerinnen und Schüler, zum Beispiel durch das Berliner Ressourcenzentrum, die zentrale Einrichtung des deutschen Humangenomprojektes, schleusen und sie dazu anhalten, im gläsernen Labor in Berlin-Buch genetische Fingerabdrücke zu erstellen. Manfred Ehrhardt, Generalsekretär des Stifterverbandes, möchte die Wissenschaftler darüber hinaus anregen, ihre Forschungen in Kindergärten vorzustellen.

Interessant ist, wie explizit die Forschungsministerin immer wieder betont, der Zweck des »Jahres der Lebenswissenschaften« liege nicht in einer Akzeptanzkampagne, sondern es gehe darum, zu »informieren und einen breiten Dialog« über die Auswirkungen der Biotechnologien zu führen.

Jürgen Habermas hat in »Wissenschaft und Technik als Ideologie«, einem seiner frühen, kritischen Texte, analysiert, inwieweit wissenschaftliche Objektivität zu einem materiellen Mythos, sozusagen einer Science Fiction des Spätkapitalismus geworden ist; und wie dieser Mythos des Wissenschaftlichen ältere Mythen wie Religion oder Familien teilweise ersetzt.

Mit den in diesem Sinne hochideologischen Begriffen Dialog und Information suggeriert Bulmahn, dass eine wertneutrale, objektive und unparteiische Darstellung der Biowissenschaften möglich sei. Unterschlagen wird, dass Informationen nie unabhängig von ihrer Darstellung, ihrem Kontext und den daran beteiligten Personen weitergegeben werden können. Schließlich ist gerade der Dialog über Gen- und Biotechnologien von Macht- und Profitinteressen geprägt.

Zwischen welchen Personen dieser Dialog geführt und von welchen Prämissen er geleitet werden soll, zeigt die Besetzung der Auftaktveranstaltung, die am 1. Februar im Berliner Martin-Gropius-Bau stattfinden soll. Neben Bulmahn hält Detlev Ganten, Chef des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, die Eröffnungsrede. Anschließend soll in einer Talkshow über den »entschlüsselten Menschen« diskutiert werden. Geladen sind neben Bulmahn unter anderem der Molekularbiologe Jens Reich, der Philosoph Peter Sloterdijk und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sowie Bischof Karl Lehmann. Enden soll der Tag mit dem Bratschensolo »Dolly« von David Graham.

Was mit dem herzustellenden public understanding of science jenseits aller Rhetorik von Chancen und Risiken der Biotechnologie eigentlich gemeint ist, wird in einem Memorandum des Stifterverbandes deutlicher: Ziel müsse es zum einen sein, »Begeisterung« für die Biowissenschaften zu vermitteln. Man brauche »Leitfiguren«, die diese »Freude« verkörperten. Da die Biowissenschaften die Lebensbedingungen immer stärker veränderten, seien sie selbst aufgefordert, »solche Veränderungen öffentlich zu rechtfertigen«. Es gehe also um die »Legitimation wissenschaftlichen Tuns«.

Diese Beschreibung kommt der Intention hinter der Information schon etwas näher. Der Biowissenschaftler soll als Öffentlichkeitsarbeiter fit gemacht und neben seiner Labortätigkeit zum Spezialisten für Verantwortungsfragen werden. Damit entlasten sich die Biowissenschaften selbst. Sie sind es, die ihre Grenzen bestimmen. Dass eine kritische Öffentlichkeit den Forschungsprozess beeinflusst, ist nicht vorgesehen.

Da es dem »Jahr der Lebenswissenschaften« im Kern darum geht, neue Strategien zu erproben, mit denen die biogenetische Umformung der gesellschaftlichen Verhältnisse vermittelt werden kann, wurde außerdem noch ein Wettbewerb ins Leben gerufen. Unter dem Motto »Die Wissenschaft geht auf die Straße! Gehen Sie mit!« sollen BiowissenschaftlerInnen ihre Arbeit der Öffentlichkeit vorstellen. Die Arkaden des Leipziger Hauptbahnhofs sind einer der Orte, an denen BiowissenschaftlerInnen ihre Stände aufbauen werden. Die gelungenste »Science Street«-Präsentation wird prämiert. »Denn schließlich geht es um die Kunst der Vermittlung«, schreibt das Ministerium.

Um Gen- und Biotechnologien gesellschaftlich durchzusetzen, werden sie häufig mit ästhetischen Mitteln kulturell aufgewertet. Bereits 1998 fanden in vier bundesdeutschen Städten die Ausstellung »Gen-Welten« statt, der ein ähnliches Konzept zugrunde lag.

Auch im »Jahr der Lebenswissenschaften« wird besonderer Wert darauf gelegt, eine Verbindung zur Kunst herzustellen. Immerhin müsse wissenschaftliches Denken verinnerlicht werden. Und Kunst spreche »die Wahrnehmung und die Erlebnisfähigkeit der Menschen« an, wird in einem Konzeptpapier für den Wissenschaftssommer Berlin hervorgehoben. Kunst sei deshalb »eine wichtige Bedingung zur Herstellung dieses neuen Bewusstseins«.