Friedensprozess in Nordirland

Phantome mit Waffen

Für die schleppende Entmilitarisierung in Nordirland werden Splittergruppen der IRA verantwortlich gemacht.
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Die Führung der IRA ist einer Lösung des Waffenproblems verpflichtet«, beteuerte die Irisch-Republikanische Armee in ihrer Neujahrsresolution. Doch Hoffnung auf ein Ende des Stillstands im nordirischen Friedensprozess machten die IRA-Chefs nicht: »Es gibt keine Lösung, ohne dass der britische Premierminister dafür politische Verantwortung übernimmt.« Gemeint ist der Rückzug der britischen Truppen aus dem republikanischen Kernland um South Armagh, nahe der Grenze zur Republik Irland, wie er im Karfreitagsabkommen von 1998 vereinbart wurde. Zudem fordert die IRA-Leitung eine Reform der nordirischen Polizei Royal Ulster Constabulary (Ruc).

Doch dass der britische Premier Tony Blair ohne weiteres auf die Forderungen der Republikaner eingeht, ist unwahrscheinlich. Denn David Trimble, Premierminister der nordirischen Regierung und Chef der Ulster Unionist Party (UUP), steckt in einer politischen Sackgasse. Auf Druck seiner innerparteilichen Gegner hatte er die beiden Minister von Sinn Fein, dem politischen Arm der IRA, von den Versammlungen des gesamtirischen Ministerrats ausgeschlossen. Erst müssten die so genannten Provisionals, die Hauptströmung der IRA, ihre Waffen ausliefern. »No guns, no government«, lautet seine Formel, mit der er zuletzt im Oktober noch einmal die Mehrheit der UUP auf seine Seite bringen konnte.

Schon die kleinste Konzession an die IRA könnte ihn allerdings diese Mehrheit kosten, und den Hardliner Jeffrey Donaldson an die Spitze der Unionisten bringen. Damit wäre der Friedensprozess definitiv am Ende. Von seinem Parteifreund Ken Maginnis ließ Trimble ausrichten: »Die Wunschliste der IRA ist völlig unakzeptabel (...). Das illustriert, dass Sinn Fein und die IRA unfähig sind, in der realen Welt politisch zu funktionieren.«

Tony Blair seinerseits kann das Risiko nicht eingehen, den größten innenpolitischen Erfolg seiner Regierung aufs Spiel zu setzen. Deshalb ist er an die politischen Entscheidungen Trimbles gebunden und kann der IRA ohne einen Fortschritt in der Entwaffnungsfrage keine Zugeständnisse machen. Zwar hatte die Organisation im Juni letzten Jahres zwei unabhängigen Beobachtern Zugang zu einigen Waffenlagern gewährt und diese versiegeln lassen.

Doch sie weigert sich, mit der internationalen Entwaffnungskommission unter der Leitung des Kanadiers General John de Chastelain zusammenzuarbeiten, bevor die Entmilitarisierung eingeleitet wird. »Gegenwärtige Anstrengungen, den Entmilitarisierungsprozess zu beginnen, scheinen vom britischen militärischen Establishment verhindert zu werden«, beschwerte sich Gerry Adams, der Vorsitzende von Sinn Fein.

An der festgefahrenen Verhandlungssituation konnte nicht einmal der Besuch des scheidenden US-Präsidenten Bill Clinton Mitte Dezember etwas ändern. Als der »Irische Held« zum dritten Mal während seiner Amtszeit die Insel besuchte, hatten sich alle Hoffnungen auf eine Lösung des Problems bereits zerschlagen. Aus diesem Grund vermied es Clinton, die Unterzeichner des Friedensabkommens öffentlich anzugreifen, und versuchte vor allem, die nordirische Öffentlichkeit zu mobilisieren. Die Nordiren sollten das Karfreitagsabkommen mit »Stolz feiern und mit Leidenschaft verteidigen«, sagte er bei seiner Rede im neuen Odyssee-Stadion in Belfast. »Die Feinde des Friedens brauchen Eure Zustimmung nicht. Alles was sie benötigen, ist Eure Apathie.«

Die Hauptfeinde des Friedens sind auch für Clinton die republikanischen Splittergruppen. In Dundalk, einer auf der südirischen Seite der Grenze gelegenen Kleinstadt, hielt er deshalb eine weitere Ansprache. Von hier aus soll die Real IRA den Bombenanschlag in Omagh im August 1998 verübt haben, bei dem 29 Menschen starben.

Die Real IRA wird zu einer phantomartigen Terrorgruppe aufgebaut, die als Vorwand für die Verzögerung der Entmilitarisierung Nordirlands herhalten muss. So entdeckte die Ruc, nachdem sie in letzter Zeit mehrere Anschläge vereiteln konnte, pünktlich zum Besuch Clintons eine Autobombe. Wie das gelingen konnte, bleibt jedoch ein Rätsel. Denn die klandestinen Strukturen der Real IRA gelten als so effektiv, dass die Ruc bislang noch keine gerichtstauglichen Beweise gegen die Verdächtigen von Omagh vorweisen konnte. Stattdessen sendete die BBC im Oktober eine Reportage über die bisherigen Erkenntnisse und beschuldigte mit ausdrücklicher Zustimmung der Ruc einige Einwohner Dundalks.

Blair wird sich in den nächsten Wochen mit dem Premierminister der irischen Republik, Bertie Ahern, beraten. Denkbar wäre eine Verstärkung der irischen Truppen zur Ablösung der britischen Soldaten an der Grenze. Ob sich die Unionisten darauf einlassen werden, ist allerdings fraglich. Auf die Neujahrsbotschaft der IRA antwortete Blair nicht direkt, sondern ließ das Nordirlandministerium unter Peter Mandelson verkünden, die Forderungen der IRA seien im Grunde bereits erfüllt. Die Anzahl britischer Soldaten in der nordirischen Provinz befinde sich auf dem niedrigsten Stand seit 1970 und ein neues Polizeigesetz sei auch beschlossen worden.

Tatsächlich wurde vergangenes Jahr vom britischen Unterhaus ein Gesetz beschlossen, das die von den Republikanern nicht ohne Grund als parteiisch betrachtete Ruc grundlegend reformieren soll. Doch die im so genannten Patten-Report geforderte paritätisch besetzte Kommission, welche die Polizei kontrollieren soll, wird ohne Einfluss bleiben, weil Mandelson sich und dem Polizeichef in dem Gesetz weitreichende Vollmachten einräumt.

Die Ruc ist also nach wie vor weit davon entfernt, eine unparteiische Rolle zu spielen. Nach der Ermordung eines protestantischen Taxifahrers Anfang Dezember in Belfast verdächtigte sie sofort die IRA - diesmal sogar die Provisional IRA, die bislang den Waffenstillstand eingehalten hatte. Im Sinn Fein-Wochenblatt An Phoblacht erklärte die IRA, mit dem Mord nichts zu tun zu haben.

Kurz darauf erschoss die loyalistische Ulster Defence Association (UDA), die ebenfalls an den Waffenstillstand gebunden ist, zur Vergeltung einen Katholiken. Tage später erklärte die Ruc, sie gehe nun von einem »freischaffenden Mörder« aus, der den Friedensprozess torpedieren wolle.