Medienrummel um Joseph Fischer

Vorwärts in die Vergangenheit

Joseph Fischer ist nicht trotz, sondern wegen seiner politischen Ursprünge zu dem geworden, was er heute ist: Deutschlands beliebtester Politiker.

Eine wird auf jeden Fall verärgert sein: Jutta Ditfurth. Ob in der Jungle World, in der Neuen Revue oder im Econ-Verlag, die linke Publizistin hat keine Gelegenheit ausgelassen, um der deutschen Öffentlichkeit die alten Sünden ihres Außenministers vorzuhalten. Etwa die Rolle Joseph Fischers bei einer Frankfurter Demonstration anlässlich des Todes Ulrike Meinhofs im Mai 1976.

Molotow-Cocktails waren damals geflogen, zwei Polizisten wurden schwer verletzt. Dass Obersponti Fischer dennoch nach seiner Festnahme nur »knapp zwei Tage in Haft« saß, lässt Ditfurth Böses ahnen. Was auch immer in diesen Stunden im Gefängnis geschehen sei, danach sei Fischer »nie wieder eine Bedrohung für den Staat gewesen«. Zudem hätten die Ereignisse seiner Karriere nicht geschadet. »Im Gegenteil.«

Straßenkampf, Molotow-Cocktails, Mackermilitanz - all die Vorwürfe Ditfurths gegen den Außenminister haben ihre Adressaten schlicht nicht interessiert. Aus jenem »Zahltag«, den sie »Junker Joschka« versprochen hat, wurde nichts. Und nun, ein knappes Jahr später, steht plötzlich die Medienwelt Kopf, weil »Junker Joschka« dem stern erzählte, was ohnehin jeder weiß: »Ja, ich war militant.«

So what? Schon im Bundestagswahlkampf 1998 ließ Fischer wissen, er habe »fast zehn Jahre lang auch unter Einsatz von Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung« umstürzen wollen. Selbst im Munzinger-Personenarchiv lässt sich nachlesen, dass er sich »von 1968 bis 1975 als Mitglied der militanten Gruppe Revolutionärer Kampf bei Demonstrationen und Straßenschlachten« hervortat. Das einzig Besondere jenes letzte Woche vom stern bildlich dokumentierten Angriffs auf einen Polizeibeamten besteht also darin, dass er fotografisch festgehalten wurde.

Pech für Fischer? Wohl kaum. Nicht damals, im Jahr 1973, weil die Prügelei keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zog, aber auch nicht heute. Denn in einem Punkt dürfte Jutta Ditfurth ihrem ungeliebten Gegenüber zustimmen: »Ohne meine Biographie wäre ich heute ein anderer.«

Das hervorzuheben war dem Außenminister offensichtlich wichtig, zumal der Zeugenauftritt im Verfahren wegen des Überfalls auf die Wiener Opec-Konferenz 1975 ansteht. Also erschien das augenscheinlich von Fischer selbst bestellte Gespräch im stern, zwei Wochen bevor er am 16. Januar den Frankfurter Richtern über seine alte Männerfreundschaft zum Hauptangeklagten Hans-Joachim Klein berichten soll.

Diese »Vorwärtsverteidigung« war notwendig geworden, nachdem auch im Außenministerium bekannt geworden sein dürfte, dass der Spiegel unmittelbar vor der anberaumten Zeugenvernehmung eine Story über Fischers militante Vergangenheit veröffentlichen wollte. Ein halbes Jahr lang recherchierte das Blatt, um rechtzeitig zum Prozess mit einem kleinen Skandal aufwarten zu können. Aber der Showdown ist gekippt: Der Spiegel musste seine Geschichte um eine Woche vorverlegen, und weil Fischer schon immer ein gutes Händchen fürs Taktische hatte, wurde die offensive Verteidigung zum medialen Happening für den Grünen-Politiker.

Daran sollten auch die Fotos des behelmten Spontikämpfers nichts ändern. Im Gegenteil. »Ich akzeptiere Gewalt nur noch als äußerste ultima ratio«, erklärt der Außenminister - und jeder, der die über diesem Satz abgebildeten Szenen betrachtet, weiß: Wann und in welchem Kontext die Ratio »äußerst ultima« ist, bestimmt der Mann von Welt selbstverständlich recht eigenmächtig. Da ernten militante Antifas Spott und Prügel, während die eigenen Schlägereien mit der Staatsmacht zu einem Akt der patriotischen Revolte für ein besseres Deutschland erklärt werden. Die Folgen dieser Haltung wurden spätestens mit der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg offensichtlich. Konsequenterweise begründet Fischer heute seinen revolutionären Kampfeinsatz in Frankfurt/Bornheim ebenso mit Auschwitz wie vor zwei Jahren die Bomben auf Belgrad.

Joseph Fischer steht für handfeste Schlagkraft ebenso wie für schlaues Taktieren. Beides dokumentiert die Inszenierung des stern, ohne dass der Eindruck eines Bruches entsteht. Der alte und der neue, der gute und der böse Joschka passen zueinander wie die Faust und das Auge. Nein, Fischer ist gerade nicht, wie sein alter Sponti-Intimus Thomas Schmid in der FAZ behauptet, »trotz«, sondern wegen seiner politischen Ursprünge zu dem geworden, was er heute ist: Deutschlands beliebtester Politiker.

Genau dies zu bestätigen, traten vergangene Woche zahlreiche publizistische und politische Kommentatoren an und lieferten dem Außenminister unaufgefordert eine schmeichelhafte Bilanz. Er habe dazu beigetragen, ließ etwa der Sozialdemokrat Peter Glotz wissen, »dass aus hunderttausenden Fundamentaloppositionellen schließlich gut sozialisierte Anhänger einer politischen Partei wurden, die heute so bürgerlich ist, dass man sie als ökologische FDP bezeichnen kann«. Ohne Fischers Vergangenheit wäre dies wohl kaum möglich gewesen. Und als wollte er seine eigene Argumentation widerlegen, schrieb Ex-Sponti Schmid mit Blick auf die 68er-Bewegung: »Die Republik ist geworden, was sie ist, weil sie diesen Ansturm der neuen Barbaren überlebte und weil es ihr gelang, die Stürmer von der Überlegenheit der bürgerlichen Gesellschaft und der repräsentativen Demokratie zu überzeugen.«

Dass die integrative Rolle von Fischer und Fisherman's Friends gerade im Zusammenhang mit dem Kronzeugen Klein dermaßen breitgetreten wird, liegt nahe. Mögen es 1977 noch Widersprüche innerhalb der radikalen Linken Frankfurts gewesen sein, die Leute wie ihn und Daniel Cohn-Bendit dazu brachten, seinen Ausstieg aus den Revolutionären Zellen (RZ) mediengerecht zu inszenieren, diente der Klein spätestens nach dem grünen Run auf die Parlamente einzig dazu, die Abkehr von jeglicher linksradikalen und militanten Politik ordentlich zu verkaufen. Und heute gilt selbst das damalige kollektive Steinewerfen auf Bockenheimer oder Bornheimer Straßen als Methadon-Programm für terrorismusgefährdete Jungmänner. Fischer im stern: »Wir haben massiv dagegen in der Szene gekämpft, dass unter dem Druck der Ereignisse Mitte der siebziger Jahre bei uns nicht viele wegbrechen, in den Untergrund gehen.«

Bekanntlich sind die Wenigsten »weggebrochen«. Während sich neue soziale Bewegungen ihren eigenen Raum etwa im Kampf gegen die Startbahn West schufen, vollzogen viele jener undogmatischen 68er-Linken gerne den Schritt ihrer Wortführer nach. Ökosanierte Eigenheime, kuschelige Kinderläden und Erfolg versprechende Jobs schienen attraktiver als die Perspektive einer anscheinend aussichtslosen Revolte. Eine zweifellos ärgerliche Dynamik, die jedoch wenig mit der besonderen Intriganz einiger Frankfurter Oberspontis zu tun hat.

Schon gar nicht brauchte es den geheimen Deal - Gnade, Geld, Glück oder was auch immer zum Lohn für den Aufbau einer fünften Kolonne des Staatsapparates innerhalb der radikalen Linken -, wie ihn Jutta Ditfurth in ihrer unendlichen Verärgerung auf den alten Parteifreund allen Ernstes nahe legen will. Letztlich hat man sich oben wie unten schlicht zu Nutze gemacht, was in modernen kapitalistischen Gesellschaften zählt: rücksichtsloses Durchsetzungsvermögen, innovative Ideen sowie intellektuelle und praktische Flexibilität.

Sollten es etwa solche Aspekte sein, derentwegen jüngst die Zeit außergewöhnlich viele Metamorphosen in Fischers Biographie entdeckte? Sind diese gewöhnlichen Anpassungsprozesse eines rebellischen Jungmachos jene angeblichen Brüche, die nach Worten des FAZ-Redakteurs und Ex-Spontis Schmid »das Bewegungsgesetz seiner Karriere« ausmachen? Wie banal.