Debatte um Uran-Munition

Dirty Secrets

Niemand konnte bisher den sicheren Nachweis der krebserzeugenden Wirkung von abgereichertem Uran (DU) erbringen. Widerlegt sind die Verdachtsmomente allerdings ebenso wenig. Krebs ist keine Krankheit, der stets eine unmittelbare Ursache zugeordnet werden kann.

»DU-Munition ist sicher und effektiv«, zitiert Verteidigungsminister Rudolf Scharping den Nato-Generalsekretär George Robertson. Obwohl Scharping, abgesehen von den Urinuntersuchungen bei 118 Bundeswehr-Soldaten, keine besonderen Forschungen anstellen ließ, wähnt er sich auf der sicheren Seite. Verdächtig genau entsprechen die vom Bundesministerium für Verteidigung gemeldeten 40 Krebsfälle in der Bundeswehr dem statistischen Mittelwert in der deutschen Gesamtbevölkerung.

Angesichts der proklamierten empirischen Normalität ist es erstaunlich, dass das Verteidigungsministerium nach dem jahrelangen Schweigen über längst bekannte DU-Studien nun in die Offensive geht. Neuerdings finden sich auf Scharpings Homepage detailliert beschriebene Vorsichtsmaßnahmen für den Umgang mit abgereichertem Uran. Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder, der ebenafalls bereits vor dem Nato-Angriff auf Jugoslawien über mögliche Gesundheitsrisiken nach dem Kontakt mit uraniumhaltiger Munition informiert war, hält es auf einmal »nicht für richtig, eine solche Munition zu verwenden«. Ist abgereichertes Uran doch keine harmlose Angelegenheit?

Für die jugoslawische Bevölkerung waren die 31 000 von den US-Streitkräften abgefeuerten DU-Geschosse jedenfalls zu keiner Zeit harmlos. Doch nicht ihr gilt die Sorge der europäischen Nato-Staaten, sondern einer undichten Stelle in den eigenen Reihen. Kurz vor Weihnachten berichtete die italienische Militärstaatsanwaltschaft von acht an Leukämie verstorbenen Soldaten, die auf dem Balkan stationiert waren. Schnell zählte man auch in Belgien, Spanien, Portugal und den Niederlanden die Blutkrebstoten im Militär und brachte damit den US-amerikanischen Nato-Partner in Erklärungsnot.

Ein Zufall? Wohl kaum. Die militärischen Beziehungen zwischen Italien und den USA sind spätestens seit 1992 angespannt. Damals wurde Italien zur zentralen Ausgangsbasis aller Nato-Operationen auf dem Balkan und zur ersten Adresse für Flüchtlinge. Nicht wenige italienische Militärs und Politiker sehen den Beitrag ihres Landes zur US-Militärpolitik nicht entsprechend gewürdigt und klagen über die Arroganz des nordamerikanischen Partners. Die an Leukämie gestorbenen Soldaten sind da ein willkommener Anlass, um ein weiteres Mal vor dem militärischen Gehorsam Europas gegenüber dem amerikanischen Nato-Partner zu warnen - egal, ob ihr Tod tatsächlich von US-amerikanischer DU-Munition verursacht wurde.

Vor knapp zwei Jahren wäre die Nato fast wegen der Debatte um einen Bodeneinsatz auf dem Balkan auseinander gebrochen. Nur mühsam kann die Flagge des Nordatlantischen Militärbündnisses die unterschiedlichen militärischen Selbstfindungsprozesse in Europa verdecken. Und dies ist wiederum für die Bundesregierung ein wichtiger Grund, weshalb ein Skandal um uranhaltige Munition unbedingt vermieden werden soll: »Dirty secrets« könnten die Illusion vom hygienisch-humanitären Krieg ins Wanken bringen. Und deutsche Zinksärge wären nicht gerade förderlich für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.

Die aber sieht die Bundesregierung als Voraussetzung für ihr künftiges Gewicht in Europa und im Rest der Welt. Deshalb darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass Krieg und Militär etwas mit dem Tod zu tun haben könnten.