Israel-Palästina-Konflikt

Klappe zu, Ohren auf!

Es muss den Israelis vorbehalten sein, die jüdische Identität ihres Staates in Frage zu stellen. Die deutsche Linke sollte dazu schweigen.

Es grenzt schon an Anmaßung, wenn die deutsche Linke über das Rückkehrrecht der Palästinenser diskutiert und glaubt, ihre mehr oder weniger gut gemeinten Ratschläge könnten einen Konflikt lösen helfen, an dem sich die Akteure selbst die Zähne ausbeißen. Je nach Fraktion macht man sich dann zum ungebetenen Anwalt entweder der Palästinenser oder der Israelis. Wohin die Identifikation mit palästinensischer Befreiungsideologie führt, sollte man in der hiesigen Linken inzwischen eigentlich wissen. Dass aber auch die Israelis nicht ausgerechnet von den Deutschen eine Politikberatung brauchen, muss sich wohl erst noch herumsprechen.

Unbestreitbar ist, dass das Rückkehrrecht der Palästinenser eines der Hauptprobleme auf dem Weg zu einer Friedenslösung im Nahen Osten ist und bleiben wird. Gleichzeitig gehört es zu den Themen, die ideologisch besonders aufgeladen sind, mehr noch als der Streit um den Tempelberg. Denn während es beim Tempelberg um religiöse Identitäten geht und zumindest die säkularen Teile beider Gesellschaften sich vermutlich am Ende nicht viel um diese Frage scheren werden, berührt das Rückkehrrecht auf beiden Seiten etwas Fundamentales: die nationale Identität.

Eben deshalb haben beide Regierungen in dieser Frage nur sehr geringe Handlungsspielräume. Sowohl Barak als auch Arafat sitzen hier nämlich nicht nur das jeweilige politische Establishment, sondern der größte Teil der eigenen Bevölkerung im Nacken, und es geht für beide ums politische Überleben. Da es noch niemals einen palästinensischen Staat gegeben hat, taugt nur die so genannte Naqba, die »Katastrophe der Vertreibung«, zur Gründung eines nationalen Mythos. Auf der anderen Seite ist es nur die »jüdische Identität« Israels, die seine Staatsgründung 1948 legitimieren kann. Ganz egal, wie Arafat und Barak zum Rückkehrrecht stehen mögen, in der palästinensischen Bevölkerung ist der Verzicht darauf derzeit genauso wenig durchzusetzen wie in der israelischen seine Anerkennung und Verwirklichung.

Besser als eine Position in der Auseinandersetzung zu beziehen wäre es also, sich erst einmal über die Hintergründe und Strukturen dieser Ideologien klar zu werden. Was die israelische Seite betrifft, so geben die Debatten, die innerhalb der Linken über das Rückkehrrecht geführt werden, sehr viel Aufschluss. Hier stehen sich im Wesentlichen drei Richtungen gegenüber.

Es ist dies auf der einen Seite die so genannte zionistische Linke, die das Recht auf Rückkehr kategorisch ablehnt. In einem Appell in der Zeitung Ha'aretz vom 2. Januar hatte eine Gruppe von Intellektuellen um den Schriftssteller Amos Oz, viele davon prominente Mitglieder der liberalen Partei Meretz oder der Friedensinitiative Shalom Achshav (Frieden jetzt), erklärt: »Wir werden nie der Rückkehr der Flüchtlinge nach Israel zustimmen können, weil eine solche Rückkehr die Vernichtung des Staates Israel bedeuten würde.« Hier wird damit argumentiert, dass aus guten historischen Gründen Israel als jüdischer Staat entstanden sei, nämlich, wie es David Grossman vor kurzem in der FAZ formulierte, als »Zuflucht für die Juden der Welt«.

Am anderen Ende des Spektrums stehen die Personen und Gruppen, die sich seit einiger Zeit als Anti-Apartheid-Bewegung Israels konstituieren und das Ziel eines »säkularen und demokratischen Staates in ganz Palästina« verfolgen. Sie fordern die bedingungslose Anerkennung des Rückkehrrechts und die Rücknahme der »ethnischen Säuberungen« von 1948. Dabei wird ziemlich ungebrochen die palästinensische Sichtweise übernommen, die in der israelischen Staatsgründung eine »nationale Katastrophe« erblickt. Zwar werden die Konstruktionen der israelischen Staatsideologie scharfsinnig dekonstruiert, diejenigen der palästinensischen Ideologie jedoch teilweise reproduziert.

Zwischen beiden Flügeln stehen Gruppen wie Gush Shalom (Friedensblock) oder Hadash, das Bündnis der Kommunistischen Partei Israels, die zwar die Politik der israelischen Regierung und die »Gründungsmythen« (Zeev Sternhell) Israels ebenfalls kritisieren, das Problem der Flüchtlinge jedoch etwas differenzierter sehen. Uri Avneri von Gush Shalom etwa ist der Ansicht, dass diese Frage erst nach einer Einigung bei den anderen Punkten diskutiert werden kann und dass dann beide Seiten Konzessionen machen müssen.

In einer ausführlichen Analyse des Problems stellt Reuven Kaminer von Hadash ganz richtig fest, dass die Heftigkeit des Streits um die Rückkehrfrage nicht die Ursache, sondern das Resultat des stockenden Friedensprozesses ist. Er betont also den ideologischen Gehalt dieses Streites und kritisiert die zionistische Linke für die Art und Weise, wie sie ein Zurückweichen in dieser Frage zur Entscheidung auf Leben und Tod Israels stilisiert habe.

Dieselbe Kritik - und sie findet sich in Kaminers Stellungnahme nicht - müsste aber gegen die palästinensische Sicht gerichtet werden. Während auf israelischer Seite eine ganze Reihe von »Neuen Historikern« die Geschichte der Staatsgründung und ihrer Ideologie revidiert und sich die Stellungnahme für das Rückkehrrecht der Palästinenser nur zu gerne auf diese Historiker beruft, sucht man eine »Neue Geschichte« der Palästinenser vergeblich.

Das kann nicht allein an der mangelnden Infrastruktur in den besetzten Gebieten liegen, denn palästinensische Intellektuelle gibt es genug. Allerdings sind manche unter ihnen, die bislang für kritische Positionen bekannt waren, inzwischen zum Steinewerfen übergegangen.

Wie sehr die palästinensische und insbesondere die arabische Sicht auf das Flüchtlingsproblem von Ideologie durchdrungen ist, zeigt sich, wenn man die Haltungen der arabischen Staaten gegenüber den Flüchtlingen betrachtet. Sie alle würden die palästinensischen Brüder und Schwestern lieber heute als morgen loswerden, und an einer Lösung, die humanitäre Leistungen als Ausgleich für das versagte Rückkehrrecht enthielte, sind sie schon gar nicht interessiert. Kein Wunder also, dass die Arabische Liga Arafat von einer Annahme des Clinton-Plans abgeraten hat. Umgekehrt scheint es keineswegs abwegig, dass der Libanon nach einer Anerkennung des Rückkehrrechts seine 350 000 Flüchtlinge mit syrischer Hilfe nach Israel abzuschieben versucht. Die Folgen für die Stabilität in diesem Dreiländereck wären nicht abzusehen.

So wäre von einer ideologiekritischen Analyse des Rückkehrrechts der Palästinenser zumindest zu verlangen, dass die Rolle, die diese Frage und der ganze Diskurs um die Naqba für den palästinensischen Nationalismus spielt, ebenfalls untersucht wird. Wie ideologisiert die palästinensische Gesellschaft derzeit ist, sieht man auch an anderen Punkten, so an der Debatte um die Bedeutung des Tempelbergs - nicht Jerusalems - und an der widerlichen Stilisierung der »Märtyrer der Al-Aqsa Intifada«. Dabei steckt die Auseinandersetzung der Palästinenser mit dem Holocaust und mit der Geschichte des Antisemitismus noch in ihren Anfängen.

Eine solche Auseinandersetzung wäre jedoch notwendig, wenn die palästinensische Gesellschaft begreifen will, warum das Recht auf Rückkehr eine solche Ablehnung in Israel erfährt. Reuven Kaminer wirft in seiner Analyse der zionistischen Linken vor, dass sie, »besessen von jüdischem Leiden, jüdischer Heimatlosigkeit und jüdischen Traumata«, nicht in der Lage sei, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu begreifen. Vielleicht wäre aber gerade dieses Bewusstein auf beiden Seiten der grünen Linie nötig.

Unbedingt einfordern muss man es jedoch von jeder Beschäftigung mit diesem Thema in Deutschland. Hier muss auch klar sein, dass die jüdische Identität Israels etwas anderes ist als die deutsche Identität Deutschlands. Es sollte den Israelis vorbehalten sein, die jüdische Identität ihres Staates in Frage zu stellen und insbesondere den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem dies legitim und politisch sinnvoll ist. Die deutsche Linke jedenfalls sollte sich hierzu eines Kommentars enthalten.