Joseph Fischer vor Gericht

Lob der Gegengewalt

Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der Mann, der Auschwitz gebrauchte, um Bomben auf Belgrad zu legitimieren, muss sich nun einer gewissenlosen Vermengung historischer Gegebenheiten und Begriffe entgegenstellen. Hätte es diesen ersten deutschen Angriffskrieg nach 1945 nicht gegeben, man wäre versucht, Joseph Fischer vor manch einem seiner Widersacher in Schutz zu nehmen. Denn wo derzeit Kritik am Außenminister draufsteht, ist ein Abgesang auf alle drin, die sich für eine emanzipatorische Veränderung der Gesellschaft einsetzen. Links? Rechts? Autoritär? Libertär? Im kleinen Nolte-Revival nach der Veröffentlichung vergilbter Streefighter-Bilder interessieren nicht die Inhalte. Die Form macht's.

»Im Lob der Gewalt«, schrieb etwa der FAZ-Redakteur und Ex-Sponti Thomas Schmid mit Blick auf nationalsozialistische und 68er-Bewegung, »waren sich Väter und Söhne auf untergründige Weise einig«. Als habe es all die vom demokratischen Staat durchgesetzte Gewalt nicht gegeben: keinen Vietnam-Krieg, keine Schüsse auf Benno Ohnesorg, nicht den Terror hinter den Mauern deutscher Knäste und Erziehungsheime. Gewalttätiges Handeln, weiß der alte Fischer-Freund, ist eine Gewohnheit von Extremisten - von Nazis und von Linksradikalen eben. Folgerichtig durfte Stasijäger Joachim Gauck letzte Woche in der ARD mit Fischer das militante Auftreten der 68er-Linken mit dem »Zeckenklatschen« Brandenburger Rechtsradikaler vergleichen. Wer also »klammheimliche Freude« empfand, als die RAF 1977 den Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschoss, hätte sich auch gleich bei der Waffen-SS einreihen können.

Das folgerte wenige Tage nach Schmids Kommentar der Alt-68er und Historiker Götz Aly in der Berliner Zeitung. Das Antibürgerliche, Tabu- und Normenbrecherische verbinde die Studentenbewegung mit ihrer nationalsozialistischen Vorgängerin aus den Jahren 1930 bis 1933. »Auch sie kämpften gegen den Muff von tausend Jahren. Leider mit Erfolg.« Kurzerhand entkleidet er die Ideen Blochs jeglichen Inhalts, wenn er beschreibt, dass der »weltverbesserliche Schwung« der Nazis in konkrete Utopie umgesetzt worden sei. Eine Bewegung ist eben eine Bewegung ist eine Bewegung.

Alys historische Betrachtung gewinnt auch durch den richtigen Hinweis nicht, viele Linke hätten mit dem Angriff des Kommandos Schwarzer September gegen die israelische Olympiamannschaft 1972 in München sympathisiert. Dass sich die 68er ausschließlich aus dem »Opportunitätsgesichtspunkt« gegen die nationalsozialistische deutsche Geschichte auflehnten, wie er behauptet, lässt sich mit dem zweifellos antisemitisch begründeten Zuspruch für den tödlichen Überfall allein jedenfalls nicht begründen.

Dass ein guter Teil dieser Bewegung dagegen - trotz aller Unzulänglichkeiten - mit emanzipatorischen Ansätzen jenen autoritären Charakter in Frage stellen wollte, der für die Durchsetzung des Faschismus grundlegend war, wollen die Kommentatoren heute nicht mehr wissen. Hier wäre freilich einzuräumen, dass subjektive Ziele nicht unbedingt viel über ihre objektive Wirkung aussagen. Doch in ihrer schonungslosen Ablehnung aller Kritik jenseits der bürgerlichen Mitte kennen Schmid und Aly nur noch »Barbaren«, »Mitläufer« und »Helfer«.

Selbst wenn man die Koordinaten moderner bürgerlicher Demokratien zu Grunde legt, innerhalb derer die beiden schließlich argumentieren, erweist sich diese Kritik an Fischer als recht ahistorisch und undialektisch. Denn ohne das zum Teil militante Aufbrechen verkrusteter Strukturen der Nachkriegsgesellschaft in der Folge der 68er-Bewegung wäre die Transformation des modernen Kapitalismus wohl kaum möglich gewesen. Und vom wertkonservativen Schmodder der Adenauer-Ära dürften selbst geläuterte Ex-Linke wie Aly oder Schmid nicht träumen.