Französische Basis-Initiative Attac

Recycelte Attacken

Das Beispiel der französischen Initiative Attac zeigt die Widersprüche globalisierungskritischer Praktiken.

Seit den Protesten in Seattle, Prag und Nizza taucht im unübersichtlichen Spektrum globalisierungskritischer Bündnisse beständig der angriffslustige Name Attac auf. Dahinter verbirgt sich ein breites und politisch äußerst heterogenes Netzwerk von Gewerkschaften, Basisinitiativen und Intellektuellen. Gemeinsam suchen sie nach Alternativen zur Globalisierung des Kapitals - was auf Dauer wohl keine Klammer für Neoliberalismuskritiker sein kann. Kurz vor der Tagung des World Economic Forum (WEF) Ende Januar im Schweizer Skiort Davos brechen die Widersprüche innerhalb der Attac-Bewegung nun auf.

In Le Monde diplomatique lancierte der Chefredakteur Ignacio Ramonet 1997 unter der Überschrift »Die Märkte entwaffnen« die Idee, »auf weltweiter Ebene eine pressure group der Bürger zu schaffen«, um eine internationale Solidaritätssteuer durchzusetzen. Der Artikel griff einen Vorschlag des US-Ökonomen James Tobin auf, der sich bereits Ende der siebziger Jahre für eine Steuer auf alle internationalen spekulativen Kapitaltransaktionen stark gemacht hatte. Mit seinem recycelten Vorschlag verband Ramonet die Vision, durch die Besteuerung internationaler Finanzströme könne die Möglichkeit einer demokratischen Regulierung der Weltwirtschaft zurückgewonnen werden.

Anfang Juni 1998 erfolgte in Paris die offizielle Gründung der Aktion für eine Tobin-Steuer als Hilfe für die Bürger (Attac), an der Journalisten und Vertreter von Gewerkschaften, Basisinitiativen sowie Nichtregierungsorganisationen teilnahmen. Ein Jahr später organisierte Attac in der Pariser Vorstadt Saint-Denis den ersten internationalen Kongress, zu dem bereits Delegationen aus rund 80 Ländern - unter anderem aus Lateinamerika, Südkorea, dem Senegal und den Philippinen - anreisten. Wegen der sich schon damals abzeichnenden erheblichen politischen Divergenzen zwischen den Beteiligten einigte man sich in der Abschlusserklärung auf eine für alle unverfängliche Formel: die »entschlossene Ablehnung neoliberaler Politik«.

Der schnell wachsende Erfolg der Attac-Bewegung beschleunigte zugleich die Einsicht, dass die Tobin-Steuer allein keine hinreichende Antwort auf die strukturelle Ungleichheit in der Weltwirtschaft bieten kann. Die französische Initiative weitete die Themenfelder aus. Zwar blieb die Tobin-Steuer weiterhin zentrales Anliegen, zusätzlich wurde aber die Forderung nach vollständiger Schuldenstreichung für die Länder der so genannten Dritten Welt aufgenommen. Auch die Kritik am Abbau sozialstaatlicher Leistungen - wie etwa durch die Einführung privater Rentenfonds - gehört mittlerweile zu den Kernthemen.

Heute zählt Attac allein in Frankreich über 26 000 Mitglieder. Hinzu kommen rund 1 000 Organisationen und Initiativen, wie die Arbeitslosen-Selbstorganisation AC!, die CGT-Gewerkschaft der höheren Angestellten (UGICT) und linke Basisgewerkschaften. Le Monde diplomatique ist ebenso Teil des Netzwerkes wie die Bauerngewerkschaft Confédération paysanne und die antirassistische Organisation MRAP.

Angesichts dieser Heterogenität ist es jedoch nicht verwunderlich, dass Attac nach wie vor keine einheitlichen politischen Aussagen formuliert. Zwei Strömungen prägen die Diskussion. Eine Fraktion um den Attac-Vorsitzenden und Le Monde Diplomatique-Verlagschef Bernard Cassen spricht sich im Sinne des Gründungsgedankens für eine stärkere politische Regulierung der Weltökonomie aus. Diese könne nur durch die Stärkung der einzelnen Nationalstaaten verwirklicht werden, die in Föderationen - ähnlich der Europäischen Union - zusammen agieren sollen.

Dieser Position steht eine bewegungsorientierte, internationalistische Strömung gegenüber, die nicht auf die regulierende Funktion von Nationalstaaten und Regierungen setzt, sondern die Notwendigkeit einer weltweiten Verflechtung sozialer Bewegungen und oppositioneller Kräfte betont.

Auf einem internationalen Treffen, das Attac Anfang Dezember 2000 im Pariser Parc de la Villette abhielt, wurden die politischen Differenzen erstmals unübersehbar. So stellte der marxistische Intellektuelle Michael Löwy gegenüber den Regulierungs-Befürwortern klar, dass die anzustrebenden »Alternativen zum Neoliberalismus« notwendigerweise eine »Alternative zum Kapitalismus selbst« enthalten müssten. Die Idee der »Rückkehr zum nationalstaatlichen Klassenkompromiss, wie er in den sechziger und siebziger Jahren in den Industrieländern dominierte«, hält Löwy dagegen für illusionär. Vor allem aber basierte dieser Kompromiss »auf imperialistischen Kriegen wie in Algerien und Vietnam«.

Ende des Monats wird diese bereits als »Neuer Internationalismus« gefeierte Strömung zusätzlichen Auftrieb erhalten. Gleichzeitig mit der Tagung des WEF, das seit seiner Gründung 1971 eine wichtige Rolle bei der Formulierung neoliberaler Strategien spielt, findet im brasilianischen Porto Alegre erstmals ein großer Konkurrenzgipfel statt: das Weltsozialforum (Foro Social Mundial).

Vermutlich werden sich dort die Konflikte zwischen den beiden Attac-Richtungen weiter zuspitzen. Denn als Teilnehmer werden nicht nur Vertreter von Stiftungen, NGO, sozialen Bewegungen und Gewerkschaften sowie globalisierungskritische Intellektuelle erwartet, sondern auch oppositionelle Parlamentsabgeordnete und Repräsentanten kleiner und mittelständischer Unternehmen, die sich als Opfer der Globalisierung sehen.

Attac gehört neben dem Dachverband der brasilianischen Gewerkschaften (CUT) und der Landlosenbewegung MST zu den Organisatoren des Gegengipfels, dessen Ziele »die Formulierung wirtschaftlicher Alternativen und die Mobilisierung der internationalen Zivilgesellschaft gegen den neoliberalen Konsens« sind.

In Frankreich reagiert der einflussreiche Unternehmerverband der Metallindustrie (UIMM) inzwischen geradezu paranoid auf die »Ausbreitung der globalisierungskritischen Bewegung«. Man fürchtet das Schlimmste: »Zwar spielt sich diese Bewegung außerhalb der Betriebe ab. Doch bald werden die Auswirkungen spürbar sein. Die Unternehmen sind jedoch kaum darauf vorbereitet, ihnen standzuhalten.«