ARD-Dokumentation zu Auschwitz

Bilder aus der Todesfabrik

Die ARD zeigt eine hervorragende Dokumentation zum jüdischen Sonderkommando in Auschwitz-Birkenau.

Eine Fabrik ist ein arbeitsteiliger Betrieb, der unter Verwendung von Maschinen gewerbliche Erzeugnisse herstellt; so definiert es der Brockhaus. Fließbandarbeit ist ein Arbeitsverfahren in Industriebetrieben mit Massenfertigung. Das Erzeugnis durchläuft auf kürzestem Weg eine Folge von Bearbeitungsgängen. Nach Moishe Postone ist eine Fabrik ein Ort, an dem Wert produziert wird, der »unglücklicherweise« die Form der Produktion von Gütern annehmen muss. Eine Todesfabrik ist demnach eine umgekehrte, eine auf den Kopf gestellte Fabrik, die Negation von Fabrik, »sie ist keine entsetzliche Version einer solchen Fabrik, sondern sie muss eher als ihre groteske arische antikapitalistische Negation gesehen werden. Auschwitz war eine Fabrik zur Vernichtung des Werts, d.h. zur Vernichtung der Personifizierungen des Abstrakten.«

Die Massenvernichtung war arbeitsteilig organisiert, der Ablauf zu einer Art Fließbandreihe integriert, deren Stationen zeitlich aufeinander abgestimmt waren. Es gab Nachtschichen, Frühschichten, Mitarbeiter, alles, was zu einer normalen Fabrik gehört. Nur bestand das Rohmaterial aus Menschen, in diesem Fall meistens Juden, und das Endprodukt war menschliche Asche. Die Todesfabrik rationalisierte das Töten und transformierte es in Arbeit, die keinerlei inneres Engagement, ja nicht einmal Kaltblütigkeit erforderte, sondern Sachlichkeit und Sorgfalt. Brutalität kostete Zeit und verzögerte den reibungslosen Ablauf, sie trat nur bei Widerstand offen zu Tage.

Wer nach der Selektion ins Lager musste, war für den Moment bei den Lebenden. Er war der sadistischen Gewalt von Kapos und Wachen ausgesetzt, er musste alle Lebensfunktionen aufs Überleben einrichten und dafür kämpfen, so lange es ihm möglich war. Wenn er nicht durch reinen Zufall irgendwie der Hölle wieder entrinnen konnte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, doch bei einer der zahllosen Möglichkeiten im Lager getötet zu werden. Wer jedoch von der Rampe durch den »Schlauch« in den Auskleideraum geführt wurde, lag auf einem Fließband zum Tod. Von ihm wurde nur verlangt, eigenständiges Denken und Handeln völlig einzustellen, sich treiben zu lassen. Nur wenn er versuchte, »vom Band zu springen«, es anzuhalten oder zu verlangsamen, wurde er beiseite geführt und per Genickschuss ermordet, um den Ablauf nicht zu gefährden. Die offenbare Gewalt des Lagers war im Prozess der Gaskammervernichtung aufgehoben. Gerade die Abwesenheit unmittelbarer zeigt das Maß struktureller Gewalt an.

Im Dauerbetrieb wurden die Opfer getötet und die Leichen beseitigt. Den ersten Teil übernahm noch die SS, den zweiten zwang sie den Häftlingen selbst auf. Häftlingskommandos sammelten die Habseligkeiten der Toten ein und schafften sie zu den Sortierstellen. Das Sonderkommando half den Opfern vor der Gaskammer beim Ausziehen und musste die Leichen nach Goldzähnen durchsuchen, in Massengräbern verscharren und in Gruben oder Krematoriumsöfen verbrennen.

»Mit Hilfe dieser Einrichtung wurde der Versuch unternommen, das Gewicht der Schuld auf andere, nämlich auf die Opfer selbst, abzuwälzen, so dass diesen - zur eigenen Erleichterung - nicht einmal das Bewusstsein ihrer Unschuld bleiben würde«, schrieb Primo Levi. Denn so wie die Todesfabrik durch die stetige Arbeit des Sonderkommandos in Gang gehalten wurde, so hing das befristete Überleben der Kommandos vom Betrieb der Todesfabrik ab. Jeder neue Todestransport verlängerte das Leben derer, die die Leichen zu verbrennen hatten.

Die arbeitenden Opfer, Lebende auf Zeit, wurden der Maschinerie angeglichen, nach dem ersten oder zweiten »Arbeitstag« waren die Häftlinge zu roboterähnlichen Gestalten geworden. Dieser Schutzpanzer aus Apathie erlaubte die Ausbildung von Gewohnheiten, und diese stützten die Indifferenz gegenüber dem eigenen Tun, die Abstumpfung der Wahrnehmungen und der Moral als notwendige Überlebenstechnik.

Rund 80 von etwa 2 100 Häftlingen des jüdischen Sonderkommandos haben Auschwitz überlebt. Heute sind nur noch wenige von ihnen am Leben. Eric Friedler hat einige von ihnen interviewt, unter anderem Lemke Pliszko, Morris Kesselman, Hendryk Mandelbaum. Manche sprechen zum ersten Mal über die Vorgänge und ihre Arbeit im Zentrum des industrialisierten Massenmords. Viele schämen sich bis heute, weil sie dazu verdammt waren, den zur Vernichtung bestimmten Menschen hilflos zuzusehen. Saul Hazan zum Beispiel muss sich seiner selbst versichern: »Der Gedanke, dass wir unschuldig waren, ließ uns überleben.« Damit sagt er, dass er selbst an seiner so offenkundigen Unschuld zweifelt. Viele deutsche Fernseh-Dokumentationen zur NS-Herrschaft, die in letzter Zeit ausgestrahlt wurden, versuchen, den Unterschied zwischen Tätern und Opfern zu verwischen, wie es Guido Knopp in seinen Filmreihen tut. Aussagen von Opfern und Tätern werden gleichberechtigt hintereinander geschnitten, die Differenzen werden in in der gemeinsamen Bezeichnung »Zeitzeuge« eingeebnet.

Eric Friedler orientiert sich ganz an den Überlebenden. Die Interviews sind wenig standardisiert, er lässt den Interviewten so viel Raum wie möglich. Er respektiert seine Gesprächspartner, blendet im richtigen Moment ab, enthält sich ausschweifender Kommentare. Er lässt Hendryk Mandelbaum auf dem Lagergelände von Auschwitz-Birkenau die Arbeitsschritte im Fließbandmord schildern und schneidet altes Filmmaterial zwischen die Leidens- und Überlebensgeschichten. Er nimmt sich dabei selbst so weit zurück, dass die spezifischen Produktionsbedingungen des Filmes unsichtbar werden. Wie die Geschichte der Entstehung des Films verschwindet auch die Geschichte der Personen vor Auschwitz. Doch dies trifft wiederum ein Stück Wahrheit: Die Überlebenden können nicht zurück zum Status quo ante, zwischen ihrem Leben vor und nach Auschwitz gibt es eine unüberbrückbare Kluft.

»Obwohl das System (der Vernichtung) einfach war, dauerte es Jahre, bis durch ständige Erprobung eine ausgefeilte Technik entstanden war. Tatsächlich dauerte es Jahrtausende in der Entwicklung des Abendlandes«, schließt Raul Hilberg seine Darstellung des Vernichtungsprozesses in »Die Vernichtung der europäischen Juden«. Den Mord als Fließbandarbeit, Ausdruck der Modernität des Holocaust, verpasst der reißerische Titel der Dokumentation jedoch vollständig.

»Sklaven der Gaskammer - Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz«. TV-Dokumentation. Regie: Eric Friedler. 45 Min. Erstausstrahlung: Mittwoch, 24. Januar, 23.30 Uhr, ARD. Wiederholung: 27. Januar, 21.00 Uhr, SWR.