Miteinander reden

Das Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre will die neue Zivilgesellschaft für das 21. Jahrhundert fördern.

Fröhlich klingt nicht nur der Name. Wer in Porto Alegre (Fröhlicher Hafen) lebt, kann sich glücklich schätzen. Die Millionenstadt weist einem UN-Bericht zufolge die höchste Lebensqualität in ganz Brasilien auf. Grund für die geringe Gewaltkriminalität und die vielen Grünflächen ist nicht nur ihre Lage im traditionell reichen Süden des Landes, sondern auch die politische Konstellation in der Region. Das meint zumindest die linke Arbeiterpartei (PT), die seit zwei Jahren die Metropole an der Grenze zu Uruguay regiert.

Jetzt hat die Stadt die Chance, weltweit bekannt zu werden. Vom 25. bis zum 30. Januar findet hier zum ersten Mal das Weltsozialforum statt. Das Treffen, zu dem mehrere Tausend Teilnehmer aus über 80 Ländern erwartet werden, versteht sich als Gegengipfel zum gleichzeitig stattfindenden World Economic Forum (WEF) in Davos.

Während sich in dem Schweizer Kurort die internationalen Eliten treffen, »um für einige Tage dem Kult des freien Marktes, des Laissez-faire und des Gottes des Geldes zu huldigen«, wie Bernhard Cassen, Präsident der französischen Anti-Globalisierungsorganisation attac und Generaldirektor der Monatszeitschrift Le Monde diplomatique in seinem Grußwort an den Gegengipfel schreibt, soll im Süden Brasiliens die internationale Grassrootsbewegung des 21. Jahrhunderts gegen das neoliberale Gesellschaftsmodell entstehen. Das »Weltsozialforum ist ein internationales Treffen für die Schaffung und den Austausch von sozialen und ökonomischen Projekten, die Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung fördern«, heißt es im Kongress-Aufruf. Geplant ist, das Treffen jedes Jahr parallel zum World Economic Forum in Davos abzuhalten.

Neben Gewerkschaftern, Vertretern von sozialen Bewegungen, Kirchen und Parteien haben sich auch zahlreiche Prominente wie der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Saramago oder der südafrikanische Ex-Präsident Nelson Mandela angekündigt. Organisiert wird das Treffen von einer brasilianischen Vorbereitungsgruppe mit Hilfe von Le Monde diplomatique und der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung.

Vor allem aber wird der Kongress von der Stadtregierung Porto Alegres und dem Bundesstaat Rio Grande do Sul logistisch und finanziell unterstützt. Besonders gerne verweist Bürgermeister Valdir Bohn Gass von der PT auf die zahlreichen Reformen in der Stadt. So hat die Arbeiterpartei so genannte Bürgerforen eingeführt, die bei allen wichtigen kommunalen Themen mitentscheiden. Seither dient Porto Alegre als Modell für eine funktionierende Bürgerdemokratie, die trotz knapper Ressourcen und des Widerstandes der lokalen wie nationalen Eliten erfolgreich funktioniert.

Porto Alegre steht nicht nur beispielhaft für die neue Zivilgesellschaft. Im Gegensatz zu Davos, das als Synonym für die Dekadenz des reichen Nordens gilt, werden in der brasilianischen Stadt die Probleme des Südens diskutiert: extreme Einkommensunterschiede, Armut und Gewalt. Exemplarisch lassen sich im größten Land Südamerikas nach Meinung der Globalisierungskritiker die Konsequenzen des derzeitigen Weltwirtschaftssystems aufzeigen. Obwohl ein großer Teil des brasilianischen Staatshaushaltes für die Tilgung der Auslandsschulden verwendet wird, sind diese nach der Währungskrise vom Januar 1999 um 40 Prozent angewachsen. Die brasilianische Zentralbank versucht seitdem, mit hohen Zinsen von fast 20 Prozent die Landeswährung Real stabil zu halten. Ein Kreislauf, an dem ausschließlich die brasilianische Oberschicht und die internationalen Kapitalgeber verdienen.

Ein thematischer Schwerpunkt des Weltsozialforums besteht daher in der Frage nach der Demokratisierung internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen, wie etwa des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank oder der Welthandelsorganisation (WTO). Die Veranstalter sehen sich dabei gestärkt durch die Legitimationskrise dieser Institutionen. »Seit 1998 ist Davos nicht mehr dasselbe Ereignis. Seit damals wirft die Finanzkrise in Asien und Russland einen Schatten auf das gesamte System«, schreibt Cassen in seinem Aufruf.

Gleichzeitig soll das Treffen der Nord-Süd-Verständigung dienen. Denn die Proteste gegen die internationalen Institutionen, wie beispielsweise gegen die WTO-Konferenz in Seattle oder die IWF-Jahrestagung in Prag, haben immer wieder den Vorwurf produziert, dass »die sozialen Bewegungen des Nordens nur ihre eigenen Interesse verteidigen«; so fomuliert es Maria Luisa Mendonca, eine der Koordinatorinnen des Forums und Mitarbeiterin der brasilianischen Menschenrechtsorganisation Justica Global.

Das Ziel des Forums, die Vernetzung einer weltweiten Bürgerrechtsbewegung voranzutreiben, wollen die Initiatoren auch anschaulich gestalten. Alle teilnehmenden Organisationen sollen Steine mit ihrem Namen hinterlassen, die anschließend zu einem »Mosaik der Bürgerrechte« zusammengefügt werden sollen.

Bei soviel Sinn für Gemeinsamkeit ist es kein Wunder, dass auch die vermeintlichen Gegner in die Gespräche einbezogen werden. Ein Anliegen, dass vermutlich auf viel Verständnis stoßen wird. »Wir haben in den vergangenen Jahren durch den einmaligen ðGeist von DavosÐ Freunde und Kritiker an den Gesprächstisch gebracht. (...) Wir verursachen nicht die Probleme der Globalisierung - wir versuchen, einen Beitrag zu ihrer Lösung zu leisten. Darauf sind wir stolz«, heißt es in einem ganzseitiges Inserat des World Economic Forum in der aktuellen Ausgabe der Schweizer SonntagsZeitung.

Wie die Probleme des 21. Jahrhunderts gelöst werden können, versucht nun eine kleine Vorhut der neuen Zivilgesellschaft bereits am Rande der Konferenzen in Davos und Porto Alegre zu klären. Am kommenden Sonntag soll eine Diskussionsrunde zwischen den beiden Orten im Internet übertragen werden. In der Schweiz sitzen unter anderen UN-Generalsekretär Kofi Annan, WTO-Präsident Michel Moore sowie George Soros an einem Tisch. In Brasilien beteiligen sich unter anderen der Soziologe Walden Bello, Bernhard Cassen, der französische Bauernaktivist José Bové sowie der Schriftsteller Eduardo Galeano an dem Gespräch. Sie werden sich viel zu erzählen haben.

Übertragung: Sonntag, 28. Januar, ab 17 Uhr (MEZ) www.madmundo.tv