Weltsozialgipfel in Porto Alegre

On the Other Side

Die Hüter der Weltwirtschaftsordnung sehen sich unter doppeltem Druck. Die deregulierte Weltökonomie erweist sich zusehends als prekäres Gebilde. Ob in Russland, Lateinamerika oder den asiatischen Schwellenländern - eine Krise jagt die andere. IWF und Weltbank sind nur noch als Feuerwehr tätig und stehen vor dem Offenbarungseid. Gleichzeitig regt sich erstmals Protest gegen die Diktatur des totalen Marktes. Ob Seattle oder Prag, wo auch immer die Entscheidungsträger von IWF, G7 und Co. tagen, sind auch die Globalisierungsgegner nicht weit.

Auf dieses Grummeln reagiert das Establishment mit einer Kombination aus harscher polizeilicher Repression und demonstrativer Dialogbereitschaft. Selten haben sich Spitzenkräfte supranationaler Institutionen einer außerparlamentarischen Bewegung gegenüber so offenherzig gezeigt. Nicht ohne Grund: In der »Neoliberalismuskritik von unten« sind Positionen enthalten, die gar nicht erst groß vereinnahmt werden müssen. Weil die offizielle Krisenverwaltung selbst von einer gewissen Re-Regulierung der Weltwirtschaft träumt, kommt ihr insbesondere ein zivilgesellschaftlich aufgemöbelter Linksneokeynesianismus nicht ungelegen. Im lautstarken Eindreschen auf den gemeingefährlichen spekulativen »Raubtierkapitalismus« verrät sich die Sehnsucht nach einer demokratisch domestizierten Marktwirtschaft.

Diese Woche kommt in der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre das erste so genannte Weltsozialforum zusammen. Dieses Treffen dürfte dokumentieren, wie schmal der Grat zwischen handfestem Sozialprotest und der Partizipation an der Elendsverwaltung sein kann. Das Zentralorgan des europäischen Linkskeynesianismus, le Monde diplomatique, federführend beim Weltsozialforum, hat diese Grenze schon in der Ankündigung überschritten. »In Porto Alegre«, heißt es dort vollmundig, »geht es um den konstruktiven Versuch, den theoretischen und praktischen Rahmen für eine Globalisierung neuen Typs zu entwerfen.«

Kapitalströme gehorchen der Profitlogik. Einem demokratischen Kommando fügen sie sich nur, soweit es sich ihnen bereits in vorauseilendem Gehorsam gefügt hat. Politik, die moderierend eingreifen will, hat das Primat der Ökonomie schon anerkannt - oder sie blamiert sich. Für das Gros der Weltbevölkerung kennt die kapitalistische Weltgesellschaft nur noch eine Botschaft: Ihr seid überflüssig. Das »im Gefolge der Globalisierung entstandene Demokratiedefizit« (le Monde diplomatique) zu beseitigen, kann dann letztlich nur heißen, die Befriedung der Überflüssigen demokratisch zu organisieren und im Idealfall die Ausgesperrten daran zu beteiligen.

Die Wahl des Tagungsortes für das Weltsozialforum hat selbst schon programmatischen Charakter. In dieser »emblematischen Stadt« sollen le Monde diplomatique zufolge bereits die Ziele der Initiatoren des Weltsozialforums verwirklicht sein. Das Bekenntnis liest sich wie ein Eingeständnis. Porto Alegre hebt sich sicherlich angenehm von anderen brasilianischen Großstädten ab. Seitdem eine Linkskoalition unter der Führung der Arbeiterpartei PT die Stadt regiert, hält sich dort die Korruption in Grenzen, und den Bewohnern werden Mitbestimmungsrechte bei der Verausgabung des städtischen Budgets eingeräumt.

Das »Modell« hat indes kleine Schönheitsfehler. Es beruht auf den Privilegien eines relativen Gewinners im Standortwettbewerb. Porto Alegre ist eine der reichsten Städte des Landes. Und unter der Oberfläche tobt bereits der Kampf um die beschränkten Mittel. Solange fraglos akzeptiert wird, dass Reichtum nur das Abfallprodukt des kapitalistischen Betriebs sein kann und durch ihn limitiert wird, bleibt Solidarität ein leeres Wort und Mitbestimmung eine beschönigende Bezeichnung für Selbstunterwerfung.