Neue Erkenntnisse zu Racak

Rätselraten in Den Haag

Was passierte vor zwei Jahren im Kosovo-Dorf Racak? Das Haager Tribunal dementiert Presseberichte, wonach die Autopsien keine Beweise für ein Massaker lieferten.

Der Redeschwall von Florence Hartmann, der Pressesprecherin des Haager Kriegsverbrechertribunals, ist beachtlich. Fragen nach den neuesten Erkenntnissen des Tribunals zu den ungeklärten Ereignissen im Kosovo-Dorf Racak im Januar 1999 bügelt die Französin mit einer verblüffenden Propagandarede nieder. »Wo liegt das Problem? Racak war ein Massaker, die Opfer waren Zivilisten, und sie wurden von serbischen Sicherheitskräften hingerichtet«, behauptet die ehemalige Le Monde-Journalistin. Weil die vorige Woche von der Berliner Zeitung veröffentlichten Auszüge aus dem Autopsiebericht eines finnischen Pathologen-Teams aber gerade diese Schlussfolgerung nicht zulassen, zweifelt das Tribunal nun an der Echtheit der kursierenden Dokumente. »Die Journalisten sind Fälschungen aufgesessen. Einige der zitierten Passagen aus dem Autopsiebericht sind so in der uns vorliegenden Version nicht zu finden«, beteuert Hartmann.

Die verzweifelten Statements der erst im Oktober 2000 zum Tribunal gewechselten Ex-Journalistin zeigen deutlich, welchen herausragenden Stellenwert das angebliche Massaker von Racak für die Uno-Kläger und die das Gericht finanzierenden Nato-Staaten hat. Vor dem Krieg lieferten 45 tote Kosovo-Albaner die Rechtfertigung für einen schnellen Einsatz, jetzt muss die bis heute ungeklärte Todesursache auch als Argument für die Existenzberechtigung des Haager Tribunals herhalten. In der Anklage gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic nimmt Racak eine zentrale Rolle ein, ebenso im Verfahren gegen weitere Mitglieder der politisch-militärischen Führungsgarnitur von 1999.

»Seit dem 1. Januar 1999 (...) haben Sicherheitskräfte der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbien, auf Befehl, auf Anregung oder mit Unterstützung von Slobodan Milosevic, Milan Milutinovic, Nikola Sainovic, Dragoljub Ojdanic und Vlajko Stojiljkovic, Hunderte von kosovo-albanischen Zivilisten ermordet«, heißt es in der Anklageschrift. Allein der Fall Racak füllt 1 400 Seiten mit Pathologen-Berichten, Zeugenaussagen und anderen Dokumenten. Da stören Zweifel an der offiziellen Version die Bemühungen, den wichtigsten aller bisherigen Angeklagten endlich vor den Kadi zu zerren.

Doch einen Sieg in der Propagandaschlacht um die 45 Toten von Racak konnte bisher keine der beiden Seiten davontragen. Ganz im Gegenteil. Statt endlich die echten Dokumente zu veröffentlichen, schickt Chefanklägerin Carla Del Ponte ihre Sprecherinnen vor. »Eigentlich hätte schon nach der Pressekonferenz von Helena Ranta am 17. März in Pristina klar sein müssen, dass Racak ein Massaker an Zivilisten war«, meint Hartmann.

Das aber ist selbst für die Leiterin des damaligen Pathologenteams eine Überraschung. »Sehen Sie: Jede kriminologische Untersuchung besteht aus mehreren Teilen. Da gibt es den Autopsiebericht, über den ich bei dieser Pressekonferenz gesprochen habe. Von dem aber kann man auf gar nichts schließen. Weder auf ein Massaker noch auf kein Massaker«, so Ranta.

Die Wahrheit, so Ranta, werde nur dadurch greifbar, dass man auch den Tatort genau untersuche. Das hat Ranta getan. Im November 1999 und im März 2000 war sie mit einem Team weißrussischer und finnischer Pathologen in Racak. Bei diesen Besuchen hat Ranta den Tatort genau inspiziert und einen zweiten Bericht im Juni 2000 in Den Haag abgeliefert.

Diesen Bericht aber kennt Florence Hartmann angeblich nicht. »Wir haben nur die vollständige Version des Autopsieberichtes«, beteuert sie. Offenbar herrscht nicht einmal über diesen Bericht Klarheit. In einem Beitrag, den die ebenfalls an der Untersuchung beteiligten finnischen Pathologen Juha Rainio, Kaisa Lalu und Antti Penttilä in der nächsten Ausgabe des Forensic Science International veröffentlichen, wird etwa berichtet, dass nur eines der 45 Opfer aus »extremer Nahdistanz« erschossen worden sei. Dagegen behauptet das Haager Tribunal , es sei »die Mehrheit der Opfer aus einer extremen Nahdistanz hingerichtet worden«.

Völlig unterbelichtet bleibt weiterhin die Rolle der UCK im Fall Racak. Dabei können die Separatisten noch ganz andere Erfolge aus der Zeit aufweisen, als es darum ging, die westliche Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer militärischen Intervention zu überzeugen. Selbst der UCK-Führer Hashim Thaci gab nach dem Nato-Krieg zu, dass zivile Tote bei Aktionen der UCK in Kauf genommen wurden, um die Welt von den Gräueltaten der Serben zu überzeugen. Im Fall Racak scheint dieser Aspekt besonders wichtig, denn das kleine Dorf war zum Zeitpunkt des Angriffs am 15. Januar 1999 fest in der Hand der völkischen albanischen Befreiungsarmee. Dass ehemalige Kämpfer nun in der Anklageschrift des Kriegsverbrechertribunals als wesentliche Belastungszeugen auftauchen, macht die Sache juristisch nicht unbedingt sauberer.

Wenn es je zu einer Gerichtsverhandlung gegen Milosevic und seine Führungsriege kommen sollte, wird deshalb ein wesentlicher Zeuge aus den USA eingeflogen werden müssen: William Walker, ehemals Chef der OSZE-Beobachtermission im Kosovo. Walker wusste schon einen Tag nach den Ereignissen in dem kleinen Dorf, was die Pathologen heute immer noch nicht bestätigen können, nämlich dass hier Zivilisten regelrecht hingerichtet worden seien. Nach Angaben des US-Außenministeriums hat sich der ehemalige CIA-Mann Walker aus der Politik inzwischen zurückgezogen.

Aber bei der OSZE in Wien legt man ohnehin keinen großen Wert mehr darauf, Näheres über Walkers Schicksal zu erfahren. Hier sieht man die Kosovo-Mission längst nicht mehr so entspannt. Eines hat Racak den Europa-Demokraten nämlich gezeigt: Die OSZE wurde als Vortrupp der Nato-Streitkräfte instrumentalisiert. »Wir haben mit einigen Aktionen und besonders mit der engen Kooperation mit der Nato unser Mandat eindeutig überschritten«, sagt heute Mans Nyberg, der Pressesprecher der OSZE.

Die Vorgänge in Racak einen Tag nach dem Fund der Leichen zu einem Massaker zu erklären, war wohl die propagandistische Glanzleistung der OSZE. Doch schon die Bestellung William Walkers zum OSZE-Chef im Kosovo sei eine Operation des State Department gewesen. »Die Amerikaner hatten großes Interesse daran, dass Walker diesen Job kriegt«, räumt OSZE-Sprecher Nyberg heute ein. Auch eine kritische Untersuchung der damaligen Achse Nato-OSZE sei innerhalb der OSZE-Gremien am Veto der USA gescheitert.

Ganze Arbeit jedenfalls hat Walker in der Racak-Sache schon geleistet, denn zwei Tage nach den Ereignissen in dem Dorf erklärten der damalige US-Präsident William Clinton und der deutsche Außenminister Joseph Fischer den Vorkrieg für beendet. Zehn Wochen später fielen die ersten Bomben.