Meira Asher, israelische Musikerin

»Viele halten meine Musik für Dreck«

Bekannt geworden ist die israelische Musikerin und Performance-Künstlerin Meira Asher durch ihre experimentellen und provozierenden Produktionen jenseits des elektronischen Mainstreams. In Text und Musik hat sie immer wieder den Holocaust und den Nahost-Konflikt thematisiert. Auf ihrem letzten Album »Spears into Hooks« kombinierte Asher infernalischen Elektro-Noise mit Textfetzen aus religiösen Schriften. Zur Zeit studiert sie Sonologie in Den Haag; im kommenden Frühjahr soll ihr drittes Album erscheinen.

In den Medien werden Sie auch als »Diseuse des alltäglichen Grauens« bezeichnet, weil Sie in Ihren Songs radikal die Normalität von menschlicher Gewalt und Terror besingen - angefangen beim israelisch-palästinensischen Konflikt und bei den Selbstmordattentaten islamischer Extremisten bis hin zu Inzest und Kindesmissbrauch. Welchen Hintergrund und welche politische Aussage wollen Sie mit Ihrer Musik transportieren?

Weshalb sollte meine Musik irgendeine politische Botschaft enthalten? Bin ich irgend jemandem etwas schuldig?! Was ich mache, könnte man als sozialen Kommentar bezeichnen. Das heißt, ich kommentiere in meiner Musik bestimmte Geschichten aus dem Leben von Leuten oder auch aus meiner persönlichen Umgebung. Ich glaube, man muss nicht zwangsläufig mit Politik zu tun haben, um das Leben anderer in der Musik darzustellen. Für mich ist das, was sich im Politischen abspielt, mit soviel Negativem belastet, dass ich meine Arbeit auf private Dinge verlagere und so wenige politische Statements wie möglich einbringe. Meine Methode ist es auch nicht, Meinungen zu bilden, sondern dem Zuhörer die Möglichkeit zu bieten, sich ein eigenes Bild von meiner Musik zu machen.

Untertreiben Sie da nicht ein wenig? Mit Ihrem Debütalbum »Dissected« haben Sie doch nicht nur in den Medien, sondern vor allem bei Politikern in Israel heftige Empörung ausgelöst. So unpolitisch, wie Sie behaupten, kann Ihre Musik doch nicht sein.

Ja, es stimmt, dass eine Menge Politiker und Diplomaten meine Musik nicht leiden können. Sie denken, sie sei Dreck. Wichtig ist mir dagegen, dass mich die Leute verstehen und unterstützen. Und das ist auch der Fall. Was die Medien angeht, so wird eine Menge Unsinn über mich geschrieben: Ich wurde zum Beispiel nie gezwungen, ins Ausland zu gehen. Das ist völliger Blödsinn. Israel ist ein demokratisches Land. Die Menschen sind sehr liberal und können ihre Ansichten dort frei äußern.

Erst zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich mich dazu entschlossen, Israel zu verlassen. Das war in der Regierungszeit Netanyahus - eine sehr frustrierende Periode für alle israelischen Künstler. Von den rechten Kräften innerhalb der Regierung wurde insbesondere die Kunsterziehung begrenzt. Das hat mich insofern betroffen, als ich zu jener Zeit mit alternativen Performances und Musikerziehungsprojekten für Kinder beschäftigt war. Ein Schlag für uns und vor allem auch für meine Musik. Trotzdem habe ich mich dafür entschieden, noch länger in Israel zu bleiben, um meine Recherchen für die zweite CD »Spears into Hooks« abzuschließen. Dann habe ich das Album und die Performance im Ausland produziert, aber erst nachdem ich meine Arbeit in Israel abgeschlossen hatte.

An welchem Projekt arbeiten Sie momentan?

Momentan bin ich mit einem Projekt beschäftigt, das sich »kids in distress« nennt. Es geht dabei um Kindesmissbrauch, aber nicht im privaten, sondern im gesellschaftlichen Rahmen. Wir beschäftigen uns etwa mit Kindern, die mit acht Jahren in den Krieg ziehen, die von der Armee benutzt werden, wie die palästinensischen Kinder, die Steine werfen.

Weshalb hat Sie gerade die Auseinandersetzung mit Kindersoldaten so erfasst?

Weil das Thema für mich einen besonderen Hintergrund hat. Es steht für meine Familie, es steht auch für die sozialen Gruppen, denen ich eng verbunden bin. Meine Familie hat zwei Kinder in Kriegen verloren. Nach einem dieser Kinder wurde ich benannt; nach dem Bruder meines Vaters, der im Unabhängigkeitskrieg 1948 starb. Der andere war der Bruder meiner Mutter und kam im Sechs-Tage-Krieg ums Leben. Vielen Familien in Israel ist es so ergangen.

Einige Ihrer Songs sind den erotischen und philosophischen Fragmenten des Alten Testaments entnommen. Wie gehen Sie in Ihrer Musik mit Religion, Spiritualität oder Mythos um?

Es geht um Leute, die ihre religiösen Gesetzbücher auf ihr Leben anwenden. Die Frage ist, wie, warum und in welchem Ausmaß solche Bücher in die Praxis umgesetzt werden. Ich musste als Kind auch diese Bücher studieren. Es war obligatorisch, die Bibel zu lesen. Die Bibel enthält viel Poesie. Also gebrauche ich sie unter diesem Aspekt. Aber ich benutze sie auch zur Konfrontation mit den orthodoxen Teilen der israelischen Gesellschaft.

Ist der Holocaust weiterhin ein Thema Ihrer Arbeit, den Sie ähnlich wie die Bibel als Metapher für die israelische Gegenwart gebrauchen können?

Das ist sehr komplex. Zwar gebrauche ich den Holocaust als Metapher, aber er ist immer untrennbarer Teil meines eigenen Lebens. Einige meiner Verwandten sind im Holocaust ums Leben gekommen. Ich weiß, ich fühle, dass das ein Teil von mir ist. Das wird mir auf verschiedenen Ebenen bewusst.

Wie sehen Sie die Chancen für eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses? Besteht für Sie überhaupt noch Hoffnung, dass sich die beiden Konfliktparteien zu einem Kompromiss bewegen lassen?

Die Situation ist inzwischen so verwirrend und niederschmetternd, dass man nicht mehr weiß, was man tun soll. Ich glaube, dass Menschen Ruhe brauchen, wenn sie extrem müde geworden sind. Ich bezweifle, dass es in der Region jemals Frieden geben wird; und wenn, dann nur einen technischen. Technischer Friede bedeutet, dass die Leute sich ausruhen müssen, dass sie genug haben von ihren verdammten Bomben. Für einen Zeitraum von vielleicht zwei Jahren erholen sie sich dann, um neue Energie für die nächsten Bomben zu sammeln. Es ist eine riesige geistige Kluft, die sich da auftut. Eine wirklich schmerzhafte Vorstellung: der Nahe Osten, die arabischen Länder und dieses kleine Israel mittendrin. Es war immer ein Problem und es wird wohl immer eins bleiben. Und wahrscheinlich wird es sich noch vergrößern, da Israel heute mit seinen eigenen sozialen und politischen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Zum Beispiel beim Umgang mit den neuen russischen und äthiopischen Communities, die sich durch die Einwanderung gebildet haben.