Norman Finkelstein in Deutschland

Die Kronzeugenregelung

Mit Norman Finkelstein bekommt die extreme Rechte einen des Antisemitsmus unverdächtigen Fürsprecher.

Der Holocaust«, das sei »big business«, einfach nur »ein großes Geschäft«, die »professionellen Holocaust-Überlebenden« machten damit »viel Geld«. »Ich fragte einmal eine professionelle Holocaust-Überlebende, wieviel Geld sie seit 1945 damit verdient habe. Es müssen mehr als eine halbe Million Pfund gewesen sein.« Es handele sich also um eine »Holocaust-Industrie«, und »die Leute, die dazu gehören, weigern sich zu debattieren«.

So ähnlich dürfte Norman G. Finkelstein, von seinem früheren Verlag geschmackvoll als »Spezialist für Israelfragen« charakterisiert, bei seiner gerade gestarteten Deutschlandtournee argumentieren. Denn dies ist eine der drei zentralen Thesen seines Buches »Die Holocaust-Industrie«, das jetzt im Piper Verlag erscheint und auf Veranstaltungen in Berlin, Wien und Zürich vom Autor präsentiert wird.

»Der Holocaust«, so fasste Finkelstein in der Süddeutschen Zeitung seine »Hauptthese« zusammen, »ist zu einer Industrie geworden. Jüdische Eliten beuten, im Einvernehmen mit der amerikanischen Regierung, das entsetzliche Leiden der Millionen von Juden aus.«

Bei seiner Kritik an der »Holocaust-Industrie« schießt sich Finkelstein auf Elie Wiesel ein. Wie schon in seiner Attacke auf Daniel J. Goldhagen bezichtigt Finkelstein den Auschwitz-Überlebenden und Friedensnobelpreisträger Wiesel der Lüge. Bei der Suche in Wiesels Schriften gab er sich alle Mühe. Fündig wurde er im ersten Band der Autobiografie, »Alle Flüsse fließen ins Meer«. Der angebliche Beweis für Wiesels mangelnde Glaubwürdigkeit bezieht sich nicht auf ein Ereignis während der Shoah, sondern auf Wiesels Erinnerung, er habe nach der Befreiung aus Buchenwald in Frankreich Kants »Kritik der reinen Vernunft« auf Jiddisch gelesen. Dagegen führt Finkelstein - fälschlicherweise, wie Leon de Winter im Spiegel gezeigt hat - an, es gebe gar keine jiddische Übersetzung.

Finkelsteins Absicht ist es, die Glaubwürdigkeit Wiesels insgesamt zu treffen und mit der Glaubwürdigkeit eines der prominentesten Holocaust-Überlebenden die Glaubwürdigkeit aller Zeugen zu untergraben. Auch dies ist kein Novum im Kampf gegen die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen. Für alle Spielarten des historischen Revisionismus zählt Wiesel zu den bevorzugten Feinden, entsprechend kombinieren die Geschichtsrevisionisten ihre Hymnen auf Finkelstein mit Attacken gegen Wiesel. Zu ihrem Credo gehört die Rede über »die-Juden-und-das-Geld«. Sie werden von Finkelstein mit der akribisch recherchierten Detailinformationen beglückt, Wiesel verlange 25 000 Dollar pro Vortrag.

Finkelstein dürfte also dem deutschen Fensehpublikum mitteilen, den öffentlich auftretenden Holocaust-Zeugen gehe es vor allem ums Geschäft. Doch die Eingangszitate stammen nicht von Finkelstein. Es handelt sich auch nicht um eine böse prognostische Simulation eines befangenen Nationalmasochisten, der es versäumt hat, im neuen Deutschland die neue Unbefangenheit von Gerhard Schröder zu lernen. Nein, die Eingangszitate entstammen einem Auftritt des britischen Amateurhistorikers David Irving in der Fernsehshow »Race and Reason« (Rasse und Vernunft) des Neonazis Herbert Poinsett vom Oktober 1993.

Irving, dessen Beliebtheit in der internationalen braunen Szene noch weiter wuchs, als er sich im Laufe des zweiten Prozesses gegen Ernst Zündel auf die Seite der Holocaust-Leugner schlug, plaudert hier entspannt über Poinsetts Fragen nach dem »so genannten Holocaust« und dem »Mythos vom Holocaust«. Und er entlarvt »unseren traditionellen Feind«, den er in Hollywood und an der Börse lokalisiert. Man darf das mit »die Juden« übersetzen. Es ist dieser David Irving, den Finkelstein in seinem Buch als qualifizierten Historiker darstellt. Irving habe, »wie Gordon Craig betont, einen ðunentbehrlichenÐ Beitrag zu unserem Wissen über den Zweiten Weltkrieg geleistet«. Ausdrücklich richtet sich Finkelstein gegen Deborah Lipstadt. Sie hatte Irving »einen der gefährlichsten Holocaust-Leugner« genannt; den von Irving deshalb gegen sie angestrengten Prozess in London gewann sie, während Finkelstein sein Pamphlet schrieb.

Irvings zentrale These wurde beim Gespräch mit Poinsett im passenden Ambiente präsentiert. Dem Vorspann ist zu entnehmen, dass die NSDAP/AO die Show sponsert. Eingestimmt wird der Zuschauer mit dem Horst-Wessel-Lied. Dazu sieht man eine Zeichnung vorwärtsstürmender SA-Leute mit Hakenkreuz-Standarte. Der Moderator Poinsett tritt gelegentlich auch mit Hakenkreuz-Armbinde auf, und es kann in seiner Sendung durchaus passieren, dass ein Zuschauer sich telefonisch beschwert, statt des richtigen Tons sei bei ihm die Sendung mit Elvis-Songs unterlegt, was dann als Werk »der Juden« entlarvt wird.

Auf derartige Reize wird man bei den deutschen Finkelstein-Präsentationen wohl verzichten müssen. Finkelsteins zentraler und titelgebender Begriff »Holocaust-Industrie«, der über die genannte Irving-Show hinaus eine gewisse Verbreitung gerade in der anglophonen Naziszene hatte, darf hierzulande nicht in den leisesten Verdacht kommen. Um so weniger, als Irvings Formulierung »Holocaust Industry« zu einem aufschlussreichen Kapitel deutscher Rechtsgeschichte gehört: Auf Irvings Homepage findet sich ein Schreiben der Mannheimer Justiz, die ihn beschuldigt, im Mai 1990 in Weinheim u.a. gesagt zu haben, es gebe eine »gigantische Holocaust-Industrie« - Irvings Vortrag brachte seinen Übersetzer, den damaligen NPD-Chef Günter Deckert, nach einem handfesten Justiz-Skandal schließlich hinter Gitter. Die Begriffsgeschichte muss aus der Perspektive des neuen Deutschland unterschlagen werden. Denn Finkelstein wirkt ja nur so, wie er wirken soll, wenn er nicht in den Ruch kommt, mit Nazis irgendetwas zu tun zu haben.

Deshalb wird immer wieder - und insbesondere von Antisemiten - betont, Finkelstein sei jüdisch. »Der renommierte US-Politologe Prof. Finkelstein, selbst Jude« hieß es beispielsweise in der Neuen Revue. Finkelstein bedient dies durch seine Selbstdarstellung. Indem er wiederholt betont, seine Eltern seien Überlebende des Holocaust, spinnt er einen Kokon der Authentizität um seine Argumentation. Häufig zitiert er seine verstorbene Mutter - freilich nicht als Zeugin des historischen Ereignisses, sondern mit daraus zu ziehenden Lehren, die auf der Linie seiner politischen Zielsetzung liegen.

Auf einen solchen jüdischen Zeugen wider die angeblichen das deutsche Volk knechtenden jüdischen Ansprüche schien das Land gewartet zu haben. Die Berliner Zeitung preschte im Januar vergangenen Jahres mit einem ausführlichen Interview vor, in dem Finkelstein der Jewish Claims Conference harsche (und unhaltbare) Vorwürfe machte. Die gerade mal 150 Seiten des englischen Originals waren noch nicht geschrieben, doch Finkelstein war schon ein Medienereignis. Es war zu erwarten, dass die braune Presse Finkelstein begeistert aufgreifen würde. Doch der Medien-Mainstream hielt mit der rechten Konkurrenz durchaus mit. Diese konnte sich bisweilen darauf beschränken, Artikel der bürgerlichen Presse nachzudrucken: So faksimilierten die Unabhängigen Nachrichten, eine altrechte Postille, ein Interview mit Finkelstein, das in der Neuen Revue unter dem hetzerischen Titel »Die Schindluder-Liste« erschienen war. Mensch und Maß, das Zentralorgan der Ludendorffer, druckte Finkelsteins Antwort an seine Kritiker aus der Süddeutschen Zeitung nach.

Dass die extreme Rechte - ähnlich wie bei Martin Walsers skandalöser Friedenspreis-Rede 1998 - von dieser Entwicklung profitiert, liegt auf der Hand. Dies ist aber nicht das Entscheidende.

Entscheidend ist, wie die so genannte »Mitte der Gesellschaft« und ihre Medien mit Finkelstein umgehen werden. Der bisherige Verlauf der Debatte lässt Schlimmstes befürchten. Bisher handelt es sich um einen kaum durchbrochenen kreisförmigen diskursiven Prozess. Die These von der »Holocaust-Industrie« hat einen Vorläufer im internationalen Neonazismus. Mit Finkelstein erhält sie akademische Weihen und Glaubwürdigkeit, es sei ja ein Jude, der dies behauptet. Mit diesen Weihen kann die These im Medien-Mainstream reüssieren - ganz gleich wie miserabel sie und Finkelsteins weitere Behauptungen fundiert sind. Die hegemonialen Kräfte des neuen Deutschland nutzen Finkelstein für die herrschaftliche Verarbeitung von Auschwitz. Den Holocaust zu leugnen, kann man sich hier nicht leisten, hat es aber auch im Sinne deutscher Großmachtpolitik nicht nötig, denn Fischer & Co. haben beim Angriffskrieg gegen Jugoslawien gezeigt, wie man Auschwitz zur Kriegslegitimation missbraucht. Lästig sind nur die Entschädigungsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter und Rückgabeansprüche gegenüber Arisierungsprofiteuren.

Hier leistet Finkelstein hervorragende Dienste. Dadurch bestärkt macht sich die extreme Rechte weitere Hoffnungen, feiert Finkelstein als »jüdischen David Irving«, und wenn sie auch vergeblich darauf warten wird, dass Finkelstein zur Holocaust-Leugnung übergeht, kann sie erfreut beobachten, wie die Erinnerung an die Shoah weiter abgewehrt und zertrümmert wird.

Demnächst erscheint im Verlag des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) eine Dokumentation über die rechte Rezeption der Finkelstein-Debatte, herausgegeben von Martin Dietzsch und Alfred Schobert