Werbung in »Verschollen«

Die Paketlösung der Filmkritik

Robert Zemeckis »Verschollen« ist ein PR-Stück des Transportunternehmens FedEx. Eine Filmkritik-Kritik.

Wir wissen, dass der Zweck die Mittel heiligt. Eine Filmszene beispielsweise, in der Waffenmeister Q das neue Wunderauto aus den Werken eines bayerischen Automobilherstellers mit allerlei Lobeshymnen an James Bond übergibt, hat heute wenig Verstörendes an sich. Wir haben uns daran gewöhnt - auch wenn es in diesem speziellen Fall um so eine verdammt hässliche Karre geht -, so läuft das Geschäft. Blockbuster sind teuer, und letztlich könnte es einem ja auch egal sein, welcher Konzern welches Gimmick werbewirksam bereitstellt, damit die Geschichte weitergehen kann. Vielleicht sollte man derartiges Product-Placement inzwischen als eine Art Hintermänner-Cameo-Auftritt verstehen - so wie Hitchcock oder später Oliver Stone immer wieder in ihren Filmen einen kurzen Auftritt hatten. Eine Art économie des auteurs.

Etwas anderes aber ist es, wenn ein solcher Film die Unternehmensphilosophie seines Sponsors (»Whatever it takes«) von A bis Z durchdekliniert und das nicht einmal sonderlich verschleiern muss. Die aktuelle Nummer eins der deutschen Kino-Charts, »Verschollen« (»Cast Away«) von Robert Zemeckis, handelt von einem leitenden Angestellten (Tom Hanks) des US-Transportgiganten Federal Express (FedEx), den es auf eine einsame Insel verschlägt, auf der er vier Jahre lang nur dank FedEx überlebt. Dass er in der Einsamkeit nicht den Mut oder den Verstand verliert, hat natürlich auch mit FedEx zu tun; sein Wille, ein letztes Paket aus dem Flugzeugwrack an seinen Bestimmungsort zu bringen, hält ihn aufrecht. Nach seiner Rettung schmeißt die Firma dann eine Riesenparty, denn »einer unserer Söhne ist heimgekehrt!«, seinen Job kriegt er natürlich stante pede zurück (eigentlich hatte er ihn ja auch nie aufgegeben) und selbst den Verlust seiner großen Liebe (Helen Hunt), die längst einen anderen geheiratet hat, kann er mit Lebensweisheit (»Keep on breathing!«) und in Pflichterfüllung überwinden. Als er am Ende sein letztes Inselpaket zustellt, weiß er: »Dieses Paket hat mein Leben gerettet!«

Wenn sich also ein Spielfilm von der ersten bis zur letzten Minute einem Konzern verschreibt und dessen Corporate Identity zum eigentlichen Thema erhebt, dann gäbe es ohnehin schon eine Menge zu diskutieren: Vom aktuellen Arbeitsbegriff wäre da z.B. zu reden, von der Identität durch Beschäftigung, vom (Vier-)Jahresurlaub als Antwort auf »die Auswüchse des Kapitalismus« oder vom Sinn des Lebens, den Tom Hanks auf der Insel entdeckt; mit »Keep on breathing!« wird hier immerhin das bloße Weitermachen und Funktionieren als Lösung der Sinnfrage vorgeschlagen. Wenn nun aber die Filmkritik diesen aufgeladenen Werbefeldzug nicht nur nahezu kommentarlos hinnimmt, sondern sich auch noch zum Erfüllungsgehilfen des beworbenen Konzerns macht, dann stellt sich eine andere Frage, die nicht mit dem befreienden Blick auf Hollywood diskutiert werden kann, sondern uns selbst betrifft. Wie gehen wir mit dem Kino um, und was soll oder kann Filmkritik heute eigentlich sein?

Filmkritik-Kritik ist eine heikle Sache. Vor allem, weil über einem solchen Text immer der Verdacht schwebt, es wolle sich jemand mit Kollegenschelte profilieren, um sich so womöglich die Autorität eines Studienrats zu ermäkeln. Weil alles, was in einem solchen Text stünde, in dieser Logik gelesen werden könnte, ist es schwer, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Vielleicht kann man nicht mehr tun, als eben davon zu sprechen und zu betonen, dass es anstelle eines eilfertigen Abstrafens um die eigene Arbeit geht; um die Diskussion der Bedingungen und Probleme von Filmkritik.

Ein derzeit symptomatisches Problem, das an »Verschollen« sichtbar wird, ist das Desinteresse der deutschen Filmkritik an jener Sonderstellung von FedEx und an den damit verbundenen Implikationen. Stattdessen herrscht in der überwältigenden Mehrzahl der Texte Einigkeit darüber, es hier mit einem »mutig angelegten Film« zu tun zu haben. Man sprach vom »für Hollywood-Verhältnisse erstaunlichen Minimalismus« oder vom »formal gewagtesten Hollywoodfilm der Saison«, lobte Zemeckis »inszenatorischen Meisterleistungen« und seinen Weg zu »neuer künstlerischer Reife«. »Zemeckis ist - künstlerisch wie kommerziell - mit seinem narrativen Minimalismus keinem Risiko aus dem Weg gegangen. Er hat viel gewagt, und er hat glanzvoll gewonnen.« (epd Film)

Damit war die Rechnung der Pressebetreuer des Films offenbar aufgegangen. Das im Pressematerial erwähnte »Wagnis« der Produktion (»Surviving the global and grueling production schedule for ðCast AwayÐ was a unique challenge for cast and crew alike.«) wurde honoriert, und die kolportierte Produktionsgeschichte blieb nicht unerwähnt. So feierte man den Star Tom Hanks dafür, dass er bei seiner »Oscar-verdächtigen Leistung« wie DeNiro in »Raging Bull« sein Körpergewicht so herrlich im Griff habe (dick vor der Insel, dünn danach) und bezog außerdem die »artistische Lässigkeit« des Regisseurs mit ein, in einer Drehpause einfach einen anderen Film zu produzieren. »Was ðVerschollenÐ so effektiv macht, ist nicht allein Tom Hanks' Diät-Programm, das ihm 50 Pfund abverlangte und dem Regisseur Zeit ließ, zwischendurch ðSchatten der WahrheitÐ zu drehen, sondern vor allem die Fähigkeit des Schauspielers, sich niemals auf mimische Kniffe zu verlassen, sondern der bloßen Präsenz zu vertrauen.« (Süddeutsche Zeitung)

Unabhängig davon, wie man zu diesen Bewertungen im Einzelnen stehen mag, ist es zumindest bemerkenswert, wie gut zu jenem überwiegenden Wohlwollen das Schweigen über FedEx passt. Ein »Schweigen« im Sinne von Kritik, das im Sinne von PR eher wie eine beredte Unterstützung erscheint: Von der SZ über FAZ, Tagesspiegel, Welt, Spiegel, taz und epd Film bis zu Prinz und Cinema ist in den Inhaltsangaben zum Film immer wieder unbefangen vom »internationalen Paketdienst FedEx« oder der »Paketfirma FedEx« die Rede. Obwohl sich die Geschichte auch prima ohne den Namen des Transportunternehmens erzählen lässt, gehört »FedEx« hier offenbar genauso zum unverzichtbaren, gesicherten Wortschatz wie »Insel« oder »Einsamkeit«. Die wenigen Ausnahmen in der Berliner Zeitung, der Berliner Morgenpost und dem Schnitt machen mit ihrer luziden Kritik an der filmischen Werbestrategie des Konzerns nur umso deutlicher, dass eine Filmkritik zu »Verschollen« eben nicht automatisch bedeuten muss, die FedEx-Werbung auch auf die Texte auszudehnen. Anders gesagt: Wenn der Film schon so etwas wie ein Firmensymbol geworden ist, findet das vergleichsweise unauffälligere Product-Placement in der Filmkritik statt.

Der Ausweg, den Namen des Konzerns in der Kritik schlicht herauszulassen (was ich in einem anderen Text versucht habe), funktioniert auch nicht richtig. Zwar kann man dann allgemein über die Beziehung von Arbeit und Identität in diesem und in anderen Hollywood-Filmen wie »The Kid« oder »Familiy Man« sprechen, muss aber zu der dreisten FedEx-Präsenz schweigen. Auch das gehört zu den Gründen, warum sich die Rezeption von »Verschollen« als Ausgangspunkt aufdrängt, über die Grenzen und Möglichkeiten von Filmkritik nachzudenken. Dabei geht es um das alte Dilemma, immer schon in den Verwertungszusammenhang des zu kritisierenden Kulturproduktes eingeschrieben zu sein. Auch der böseste Verriss schenkt einem Film die Öffentlichkeit, die er braucht. Unabhängig von ihrem Inhalt stehen Texte über Filme somit quasi automatisch an der Seite der Produktions- und Verleihfirma sowie der verantwortlichen Beteiligten (Regisseur, Star etc.). Genau darum müsste es die Aufgabe von Kritik sein, dieses Verhältnis zu reflektieren und eben andere Zusammenhänge zu öffnen - das heißt: den Film in andere Kontexte zu stellen.

Anstatt die Leistung der Stars zu bewerten oder immer wieder die Intentionen des Regisseurs nachzuzeichnen (»Vielleicht kein anderer Filmemacher ist so besessen von der Dominanz der Zeit über den Menschen wie Robert Zemeckis«, Kölner Stadt-Anzeiger) könnte es u.a. darum gehen, filmhistorische, gesellschaftspolitische, kulturhistorische und ideologische Zusammenhänge herzustellen. Alte Hüte, könnte man meinen, aber eben auch Wege aus dem Produktionsstab. Von dem, was nicht auf der Leinwand erscheint, wäre etwa zu reden, und die Grenzen der Sprache beim Schreiben über das Kino könnten Thema werden. Anstatt Autorität und entsprechende Sicherheit in Texten zu verkaufen, könnte der Zweifel, eine produktive Unsicherheit, größeren Raum bekommen.

Kurz gesagt: In unseren Texten über Filme müssen wir uns fragen und die Frage gefallen lassen, was Kritik eigentlich sein soll. Geleiten wir das Produkt mit unserer Meinung nur noch ins Kino? Oder halten wir es mit Michel Foucault, der Kritik als die Kunst definierte, »nicht dermaßen regiert zu werden«? Wie diese Kunst auszuüben ist, bleibt dabei die schwierigste und zugleich spannendste Frage.

»Verschollen«, USA 2000. R: Robert Zemickis. Bereits angelaufen.