Krise der CDU

Dogma der Dreifaltigkeit

Sieben Wochen vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg präsentieren die Christdemokraten ihre unterhaltsamste Seite. Doch die Partei könnte schon bald vom rechten Flügel aufgeräumt werden.

Die Idee war geklaut. Sie wollten prüfen, erklärten die beiden einflussreichsten Unionsmänner am Wochenende, ob nicht Untersuchungsausschüsse das richtige Kampfmittel gegen den Außen- und den Umweltminister seien, um deren Vergangenheit in den siebziger Jahren aufzuhellen. »Wir können jetzt keine Kampagne machen, indem wir Wattebäuschchen werfen!« pries Friedrich Merz den strategischen Streich gegen die Bundesregierung.

Doch auf die Idee waren weder der Fraktionsvorsitzende im Bundestag noch sein Rivale um die Kanzlerschaft, CSU-Chef Edmund Stoiber, während ihres vertraulichen Treffens in München gekommen. Schon eine Woche zuvor hatte der hessische Ministerpräsident Roland Koch in Bild am Sonntag verkündet: »Ich denke, man muss dem Erinnerungsvermögen der Herren Fischer und Trittin weiter auf die Sprünge helfen - als letztes Mittel haben wir auch die Option eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.« Einschlägiges Material versprach Koch gleich mitzuliefern: Beim hessischen Verfassungsschutz liege noch eine Akte über die früheren Politgruppe Joseph Fischers, den Frankfurter Revolutionären Kampf.

Wieder einmal waren der Berliner Fraktionschef und der CSU-Vorsitzende mit ihrem Vorschlag am Wochenende zu spät dran. Durch den Ausschluss Angela Merkels von ihrem Vieraugengespräch am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz schafften sie es außerdem, alles Gerede von der künftigen Geschlossenheit der Union mit einem Streich vergessen zu machen. »Die CDU gibt zur Zeit auf Bundesebene ein verheerendes Bild ab«, kommentierte der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, der im Unterschied zu Merkel, Merz und Stoiber schon am 25. März wiedergewählt werden will, die neueste Episode der personellen und ideologischen Krise, in der die deutschen Konservativen seit Helmut Kohls Abgang stecken. CDU-Schatzmeister Ulrich Cartellieri befand die Partei schlicht für »nicht regierungsfähig«.

Sieben Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt die konservative Rechte tatsächlich ein Bild ab, das erbärmlicher nicht sein könnte. Mit dem Ende des Pfälzer Patriarchats vor zwei Jahren hatten die Christdemokraten begonnen, all jene Fehler zu wiederholen, die für die 16 Jahre währende Oppositon der SPD mitverantwortlich waren. Letztes Kapital: die so genannte Führungstroika. Merkel, Merz und Stoiber sollten es gemeinsam richten, so der einhellige Wunsch in der Union nach dem Debakel mit den als Rentenaktion präsentierten Fahndungsplakaten gegen Gerhard Schröder.

Doch wofür Schröder, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping in den neunziger Jahren knapp zwei Legislaturperioden verschwendet hatten, dafür brauchten CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, Merkel und Merz keine vier Tage: Ein Jahr vor der geplanten Kandidatenkür weiß in der Union keiner mehr, wer gegen Rot-Grün gewinnen soll. »Wenn das so weitergeht, können wir uns die Nominierung eines Kanzlerkandidaten 2002 schenken, weil er in ein aussichtsloses Rennen ginge«, spottete der frühere CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer.

Zur Disposition steht allerdings mehr als nur die kommende Führungsfigur der Union, letztlich geht es bei dem Streit um die Kanzlerkandidatur um nichts weniger als die ideologischen Grundlagen des Konservatismus in Deutschland. Verdeckt wird dieser Konflikt derzeit nur von den akuten Personalquerelen und den öffentlichen Auseinandersetzungen um die außerparlamentarische Opposition der sechziger und frühen siebziger Jahre.

Das Urteil über deren konservative Antagonisten, die ihr Dasein in den siebziger Jahren in der Jungen Union oder der Freien Deutschen Jugend fristeten, fiele vernichtend aus. Während Merz auf einen diffusen Dreiklang aus Europa- und Wirtschaftspolitik sowie konservativen Familienwerten setzt - »eine neue Klammer ..., die über materialistische Werte hinausgeht und Zusammenhalt schafft« -, sieht sich Stoiber weiter an der Spitze eines permanenten Kulturkampfes gegen die halluzinierte Rotfront aus SPD, DKP und RAF. »Wenn Sie aus den 68ern kommen und die programmatische Renaissance des Marxismus erlebt haben und was Teile der SPD wollten, das war schon Staatsdirigismus in höchster Vollendung«, stellte er die SPD-Politik gegen die radikale Linke der siebziger Jahre im stern auf den Kopf. Als Rot-Grün 1999 für die Einführung des Doppelpasses warb, meinte Stoiber noch: »Die doppelte Staatsbürgerschaft gefährdet die Sicherheitslage mehr als die Terroraktionen der RAF in den siebziger und frühen achtziger Jahren.«

Die ostdeutsche Protestantin Merkel indes empfiehlt Rezepte, denen schon die CDU-Gründungsväter vertrauten: eine Mischung aus katholischer Soziallehre und staatlichen Deregulierungsmaßnahmen. Mit ihrer »neuen sozialen Marktwirtschaft« hofft sie, die divergenten Flügel der Union wieder zu einen. Aber ausgerechnet die obersten Repräsentanten des deutschen Kapitals wollen von den einst so unternehmerfreundlichen Konservativen nichts mehr wissen. Der Unmut Michael Rogowskis etwa, des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), war vorige Woche unüberhörbar: »Die Union hat zur Zeit große Probleme, aber auch große Chancen.« Und der Geschäftsführer des CDU-nahen Wirtschaftsrates, Rüdiger von Voss, forderte die Rückkehr zu wirtschaftspolitischem Profil: »Führungsautorität erwächst aus klarer Sachpolitik.«

Dass auch Real- oder, wenn man so will, Sachpolitik nicht ohne ideologische Grundfesten auskommt, ist klar. Doch sind diese in der Union so umstritten wie seit den ersten Oppositionsjahren zwischen 1969 und 1982 nicht mehr. Während Nationalkonservative wie Koch auf einen etatistischen Paternalismus setzen, der sich lieber auf die harte Hand eines starken, an der Bewahrung »deutscher Identität« ausgerichteten Staates als auf das freie Spiel der Marktkräfte verlässt, betreibt der neoliberale Flügel um den rheinland-pfälzischen Spitzenkandidaten Christoph Böhr eine dezidiert wirtschaftsliberale Ausrichtung der Partei.

Der dritte, seit den Siebzigern von Heiner Geißler und Norbert Blüm personifizierte Flügel, argumentiert in der Tradition des Weimarer Zentrums und ist sozialdemokratisch angehaucht. Mit der von Schröder zur Vorsitzenden der rot-grünen Zuwanderungskommission ernannten Rita Süssmuth und dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller, einem Befürworter schwarz-grüner Koalitionen, ist dieser Block in der Union heute allerdings nicht mehrheitsfähig und schon gar nicht in der Lage, den Kanzlerkandidaten zu stellen.

Deshalb bleibt ideologisch zunächst weiter vieles unklar, für neue Verwirrung unterm politischen Personal der Union ist auch in Zukunft gesorgt. Und zur Abwechslung könnten diese Woche keine Details aus der Vergangenheit der rot-grünen, sondern aus der der konservativen Eliten ans Licht kommen. So entscheidet das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag darüber, ob das hessische Wahlprüfungsgericht überhaupt befugt ist, die Rechtmäßigkeit des Sieges von Koch in Hessen 1998 anzufechten. Die Finanzierung seines Wahlkampfes aus illegalen Unionsgeldern hatte die Richter im letzten Jahr auf den Plan gerufen.

Und am selben Tag steht mit Walther Leiser Kiep in Augsburg ausgerechnet der Mann wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung vor Gericht, der zwischen 1967 und 1992 als Schatzmeister zunächst für die Beschaffung der CDU-Millionen in Hessen, später auch im Bund verantwortlich war. Nach der Verhaftung des ehemaligen Elf-Managers Alfred Sirven Ende letzter Woche könnte auch die Millionenspende des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber, die Kiep 1991 entgegennahm, zum Thema werden.

Aber vielleicht kommt ja alles ganz anders und Karlsruhe erklärt das hessische Wahlgericht doch noch für verfassungswidrig. Der heimliche Kanzlerkandidat Roland Koch könnte sein Profil als rechter Hardliner in der Folge weiter schärfen, und sich mit einem Wahlsieg in Hessen 2003 für höhre Aufgaben empfehlen. Ihre ideologische Krise hätte die Union dann auch gelöst: Roland Koch wäre der rechte Vollstrecker der geistig-moralischen Wende Helmut Kohls. Immerhin zwei CDU-Abgeordnete forderten am Wochenende die Kandidatur des Hessen bereits 2002.