Der Israel-Palästina-Konflikt und die deutsche Linke

Es gibt keinen richtigen Ort

Die deutsche Linke sollte Israel keine Ratschläge erteilen, sie sollte aber auch nicht schweigen. Die deutsche Linke sollte es am besten gar nicht geben.

Wer das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge fordert bzw. keinen Unterschied macht zwischen der Einlösung dieses Rechts und einer angemessenen Entschädigung (Karin Joggerst in Jungle World, 3/01), kalkuliert ein, dass der israelische Staat als Zufluchtstätte der Juden aus aller Welt liquidiert wird. Die singuläre Bedeutung dieses Staates als Zuflucht vor dem Antisemitismus macht die Ausgrenzung von Nicht-Juden notwendig.

Dies zu leugnen, heißt entweder, jene antisemitischen Identifikationsmechanismen auszublenden, die festlegen, wer Jude ist und wer nicht - oder von der Form des Staates nichts wissen zu wollen, die auf Ausgrenzung beruht, und die in diesem Fall als einzige Form die vom Antisemitismus Identifizierten schützen kann.

Wenn dieser Staat für die Millionen palästinensischer Flüchtlinge geöffnet wird, ist er auch nicht mehr fähig, allen Juden Zuflucht zu bieten. Die Palästinenser, die dann entschieden mitbestimmen würden, sind zwar von Elend und Rassismus in die Enge getrieben, aber sie sind nicht vom Antisemitismus betroffen - einem Ressentiment, das sich in dem, was projiziert wird, und darum in seinen Konsequenzen, vom üblichen Rassismus unterscheidet.

Im Gegenteil verarbeiten die Palästinenser ihr Elend mit zunehmender Aggressivität selbst antisemitisch. Die Naivität, darüber hinwegzureden, gehört entschieden zur übelsten Tradition der deutschen Linken. Dagegen fordern nun Stefan Vogt (Jungle World, 4/01) und Christian Stock (Jungle World, 6/01) die »deutsche Linke« auf, zu »schweigen«, wenn es um »jüdische Identität« in Israel geht; sich aller »Ratschläge« zu enthalten und stattdessen dort wie bei den Palästinensern »den kritischen Stimmen« mehr Gehör zu verschaffen.

Aber auch Stefan Vogt schweigt nicht. Soweit er die verschiedenen Richtungen, die derzeit in Israel existieren, differenziert darstellt, nimmt er selbst, wenn auch zurückhaltend, Stellung. Während er sich bei der linken zionistischen Position des Kommentars enthält, kritisiert er an der so genannten Anti-Apartheid-Bewegung Israels, dass sie die palästinensische Sichtweise ungebrochen übernehme: »Zwar werden die Konstruktionen der israelischen Staatsideologie scharfsinnig dekonstruiert, diejenigen der palästinensischen Ideologie jedoch teilweise reproduziert.« Inwieweit mit diesem halben Lob nicht auch die zionistische Linke indirekt in Frage gestellt wird, wo sich doch deren Konstruktionen so scharfsinnig dekonstruieren lassen, bleibt einigermaßen unklar. Ist es denn so scharfsinnig, etwas zu dekonstruieren, wenn es nicht zugleich im Zusammenhang mit dem antisemitischen Ressentiment reflektiert wird? Aber Dekonstruktion heißt offenbar wirklich nichts anderes als den Zusammenhang des Ganzen zu dementieren, Totalität zu leugnen.

Der richtige Standpunkt wird in der Mitte angesiedelt, bei Gruppen wie Gush Shalom oder Hadash, dem Bündnis der Kommunistischen Partei Israels. Dessen Vertreter wird von Vogt zustimmend zitiert, wenn er die Rückkehrfrage nicht als Ursache, sondern als Resultat des Stockens im Friedensprozess betrachtet. Dieselbe Kritik müsse aber, wird hinzugefügt, »gegen die palästinensische Sicht gerichtet werden«. Und hier ist nun dekonstruierende Selbstkritik zu vermissen. Vogt konstatiert so etwas wie einen unterschiedlichen Wissensstand und begnügt sich mit einer akademischen Auffassung des Problems. Unter den palästinensischen Intellektuellen seien manche, »die bislang für kritische Positionen bekannt waren, inzwischen zum Steinewerfen übergegangen«.

Dazu ist eine Fotografie zu sehen, die Edward W. Said in Fatima Gate zeigt, zum Steinwurf weit ausholend. Said, renommierter Literaturprofessor der Columbia University, war bisher jedoch kaum für kritische Positionen im Nahost-Konflikt bekannt. In seinen Artikeln lobte er nicht nur Israels »Neue Historiker«, sondern betrieb systematisch die Gleichsetzung der Shoah mit dem, was Palästinensern von Israelis jeweils angetan wird. In seiner 1999 publizierten Autobiographie »Am falschen Ort«, die in Deutschland hymnisch gefeiert wurde, bekundet Said als »großartigste« Erfahrungen und »überwältigendste« Erlebnisse den Auftritt ehemaliger Nazi-Künstler wie Furtwängler und die »Eröffnungstakte des Rheingold, die 1958 aus dem schwarzen Bayreuther Orchestergraben aufstiegen«. Die Shoah wird in dem ganzen Buch mit keinem Wort erwähnt.

Sehnsüchtig zurückblickend berichtet Said von den Sommerferien 1943 im libanesischen Dhur el-Shweir, ohne dass es ihm in den Sinn käme, auch nur darauf hinzuweisen, was zur selben Zeit in Auschwitz geschah und etwa vom palästinensischen Großmufti von Jerusalem eifrig unterstützt wurde, der gerade in diesem Sommer eine bosnische SS-Division instruierte. Die Juden kommen immer nur als »zionistische Einwanderer« zur Sprache; sie bilden »eine in die Region eindringende, in erster Linie aus dem Westen stammende Siedlerbewegung, die aufgrund alttestamentlicher Verheißungen (...) nach Palästina kam«. Said sieht sich durch »das Ausmaß der Entwurzelung« förmlich »überwältigt«, die er aber als Kind, »ein im Grunde unwissender Zeuge des Jahres 1948, kaum wahrnahm«.

Selbst die sexuellen Zwänge der christlichen Erziehung und die ödipalen Nöte der Familienstruktur versucht Said nachträglich mit dem Zauberwort »Vertreibung aus Palästina« aufzulösen. Dass er nicht am »falschen Ort«, sondern in der falschen Gesellschaft lebt, kann der von seinen eigenen Projektionen Überwältigte nicht mehr wahrnehmen.

Wer nun diese palästinensische Ideologie kritisiert, für die Said das bekannteste Beispiel sein dürfte, muss sich zwangsläufig auch darauf beziehen, was hier als jüdische Identität angegriffen wird. Aus dem Inneren des antisemitischen Kollektivs, das Said applaudiert, über die Lage der Dinge zu berichten, heißt ja auch, deutlich machen, welche innerisraelischen Positionen hier besonders geschätzt werden und in welchem Ausmaß darin Palästina zur Projektionsfläche geworden ist.

Diese Dinge zur Kenntnis zu bringen, ist jedoch - wie unbedeutend und indirekt auch immer - bereits eine Stellungnahme in der Auseinandersetzung, die in Israel stattfindet. So unerträglich und lächerlich es wäre, mit der Stimme eines »gleichberechtigten Diskussionspartners«, sozusagen auf Du und Du, in die Debatte sich einzumischen, so wichtig ist es bei aller notwendigen Distanz, Position zu beziehen. Denn auch das kommentarlose Zusehen ist eine Haltung, kann vor allem eine Stellungnahme sein, die nicht bewusst wird.

Schließlich ist auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass Gruppierungen in der israelischen Gesellschaft entstehen, die ein politisch selbstmörderisches Programm entwickeln und die Projektionen der Palästinenser zu den ihren machen. Wer diese Möglichkeit leugnet, unterschätzt den Antisemitismus. Denn was gewöhnlich mit der Phrase vom jüdischen Selbsthass mystifiziert wird, ist für die vom Antisemitismus Betroffenen eine reale Gefahr: dem Antisemitismus im Inneren nachzugeben.

Kein Konflikt, sei er in Jugoslawien oder in Nahost, sollte unabhängig von der Frage beurteilt werden, inwiefern Deutschland davon profitiert, in welcher Weise seine Vergangenheit entsorgt wird - und damit Voraussetzungen geschaffen werden, dass Auschwitz sich wiederholen kann. Die deutsche Linke aber definiert sich als deutsche dadurch, dass sie genau von dieser Frage absieht und die eigene Nation immerzu in den Reigen der anderen als gleichberechtigte eingliedern möchte.

Aus dieser Haltung bezieht sie ihren Mut, Forderungen an Israel zu stellen. Und dieser Mut wächst bedrohlich. Darauf nun zu antworten, die deutsche Linke soll einfach die Klappe halten, dispensiert sie davon, sich selbst in Frage zu stellen, sobald sie nur am richtigen Ort stillhält. Antideutscher, bleib bei deinem Deutschland, sonst projizierst du es auf die Welt - diese in ihrer selbstgewählten Beschränkung sehr rechtschaffene Forderung lenkt allerdings davon ab, dass es bei Deutschland eben durchaus ums Ganze geht, dass bereits durch seine Geschichte und allein durch seine Gegenwart die antisemitischen Projektionen im Nahen Osten selber auf machtvolle Weise wirksam sind.

Die deutsche Linke sollte nicht Ratschläge erteilen, sie sollte aber auch nicht schweigen. Die deutsche Linke sollte es am besten gar nicht geben. Als nichtjüdischer Linker, der zwangsläufig aus Deutschland (oder Österreich) kommt, täte man gut daran, in Anbetracht seiner Herkunft und im Hinblick auf deren Abschaffung sich zu äußern, wenn die innerjüdische Alternative Weininger oder Herzl, also Selbstmord oder Widerstand lautet. Das schließt ein, dass man im kategorisch zu fordernden solidarischen Beistand sich jederzeit der eigenen Position außerhalb des Judentums klar wird, eben auch seines potenziellen Antisemitismus oder möglicher rassistischer Ressentiments - eine zugegeben wenig angenehme und ziemlich komplizierte Lage.

Und das schließt nicht aus, den Staat an sich als gesellschaftliche Form des Zwangs und der Gewalt zu kritisieren. Denn wenn vielleicht etwas dem linken Bewusstsein den eigenen nationalen Wahn austreiben kann, der ein »selbstbestimmtes Leben« innerhalb dieser Form suggeriert, dann das Wissen, dass eben sie den Antisemitismus notwendig hervorbringt.