Alternative Lebensformen

Sag niemals Sie

Als Student hat man es nicht leicht. Schon gar nicht als armer Student. Da kann man nämlich nicht nur Student sein. Da muss man auch Arbeiter sein. Manchmal auch Call-Center-Agent. Dann hat man es noch schwerer. Man gibt seinen Namen her für die albernsten Sachen der Welt. Und firmenintern tauscht man ihn ein gegen einen Code am Bucchstaben und Ziffern. Man muss immer freundlich sein zu den letzten Deppen und auch nach den wüstesten Beschimpfungen.

Verspätungen ab 30 Sekunden werden zuerst registriert, dann nochmal registriert und schließlich abgemahnt. Man bekommt taube Ohren vom Gebrüll der Leute, schwache Augen vom Bildschirm und verliert seine Stimme bei den Reklamationsgesprächen. Kontrolliert wird wie im Knast. Wann beginnt der Call, wie lange dauert er, wie viele schaffst Du wie schnell, worüber wird geredet? Zum Ausgleich darf man kostenlos Kaffee trinken und den Chef duzen.

Und man kann von sich behaupten, im Kommunikationssektor tätig zu sein. Was völlig egal ist. Weil man verblödet als Call-Center-Agent. Das liegt vor allem daran, dass man täglich das Elend der Welt am Headset erlebt und es nicht ändern kann - was an sich nichts Neues ist -, aber immer so tun muss, als könne man. Spätestens beim dritten Anruf kapiert das auch das Elend der Welt und resigniert. Aber anrufen wird es weiterhin.

Den veränderbaren dieser allgemein ekelhaften Zustände wollten nun Agents eines Berliner Call-Centers, der Friedrichshainer Hotline GmbH, zu Leibe rücken. Ein Betriebsrat muss her, so entschieden sie. Nun sind Betriebsräte nichts Revolutionäres und gehören eigentlich zum Standard. Doch in der Boom-Branche der Call-Center herrscht ein anderer Geist. Der Geist der »corporate identity«.

Auch in der Hotline: Probleme sollen im persönlichen Gespräch geklärt werden und die Agents sich nicht vom »reaktionären, aufgeblasenen, wasserköpfigen Fossil Gewerkschaft« instrumentalisieren lassen. So zumindest die Auffassung der Geschäftsführer, die sich - eigenen Aussagen zufolge - als Linke verstehen. Man will keine »Fremden« im Betrieb. Die Probleme regelt man lieber selbst. Fordern die Mitarbeiter einen Betriebsrat, droht man mit Lohnkürzungen und Massenentlassungen, setzt MitarbeiterInnen in persönlichen Gesprächen unter Druck und führt den »Agenten des Monats« ein.

Anfang vergangener Woche gab es eine Betriebsversammlung und große Aufregung. 40 Leute protestierten vor dem Tor gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und beschimpften die Geschäftsführer als »Ausbeuterschweine«. Die heile Welt des Call-Center, sie ist gestört. Und die Folgen? Jetzt wird wieder »Sie« gesagt bei Hotline. Denn die Fronten sind geklärt. Den Wunsch, einen Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl einzusetzen, quittierte die Geschäftsleitung mit großem Verständnis für die Mitbestimmung: fristlose Entlassung und Hausverbot für alle Agents, die einen Betriebsrat wollten. Den verbleibenden Mitarbeitern bleibt die Drohung, auf den kostenlosen Kaffee verzichten zu müssen.