Unruhen in Indonesien

Feuer und Flamme für Wahid

Nach militanten Demonstrationen zu seiner Unterstützung zeigt sich der indonesische Präsident Wahid jetzt kompromissbereit.

Der indonesische Präsident Abdurrahman Wahid gab sich Mühe, die Gemüter zu beruhigen. »Ihr könnt Feuer im Herzen haben, aber eure Köpfe müssen kühl bleiben«, mahnte er am 9. Februar die in Pasuruan versammelte Menge. In den sechs Tagen zuvor hatten Anhänger der Nahdatul Ulama (NU) in Ostjava mit teilweise militanten Demonstrationen gegen die drohende Amtsenthebung Wahids protestiert.

Zur größten Demonstration hatten sich 50 000 Menschen in Surabaya, der Hauptstadt Ostjavas, versammelt. Obwohl die Polizei Tränengas einsetzte und Warnschüsse abfeuerte, wurde das Büro der Golkar-Partei geplündert und angezündet. Auf Plakaten der Demonstranten stand zu lesen: »Tötet Akbar, tötet Amien!« Gemeint waren Akbar Tandjung, der Golkar-Parteichef, und Amien Rais. Golkar, die Partei des ehemaligen Diktators Suharto, und Rais, der Vorsitzende des Oberhauses, sind die wichtigsten Gegner Wahids im Parlament. Sie waren die führenden Kräfte in einer Untersuchungskommission, die Wahid der Beteiligung an zwei Korruptionsfällen beschuldigte.

Sein Masseur und ein Geschäftspartner sollen vier Millionen Dollar der staatlichen Nahrungsmittelagentur Bulog unterschlagen haben, zudem wird Wahid vorgeworfen, er habe eine Spende des Sultans von Brunei in Höhe von zwei Millionen Dollar nicht korrekt verbucht. Der persönlichen Bereicherung wird er auch von seinen Feinden nicht angeklagt. Das Parlament nahm den Bericht der Untersuchungskommission am 1. Februar mit 393 gegen vier Stimmen an, Wahids Anhänger hatten das Parlament vor der Abstimmung verlassen.

Die Empörung in der indonesischen Öffentlichkeit hielt sich in Grenzen. Verglichen mit den Korruptionspraktiken des Suharto-Clans handelte es sich um Kleinigkeiten, zudem waren die Vorwürfe offensichtliche Bestandteile einer Kampagne rechter und rechtsextremer Kräfte. Die Proteste gegen Wahid wurden überwiegend von konservativen und islamistischen Studentengruppen getragen, die in Jakarta nicht mehr als 15 000 Demonstranten mobilisieren konnten. Doch auch für Wahid ging außerhalb der NU-Hochburgen in Ostjava kaum jemand auf die Straße. »Die Proteste im Parlament sind in Wirklichkeit eine Schlacht innerhalb der Elite«, so Wardah Hafidz vom Urban Poor Consortium.

Unter Beachtung aller parlamentarischen Regeln kann ein Amtsenthebungsverfahren gegen Wahid erst im Juni beginnen. Tandjung und Rais hatten Anfang Februar versucht, die Prozedur durch die verfassungsrechtlich fragwürdige Einschaltung des Oberhauses zu beschleunigen. Doch Megawati Sukarnoputri, Wahids Vizepräsidentin und einflussreichste Konkurrentin, verweigerte sich diesem Manöver; die Entscheidung war allerdings in ihrer Partei, der PDI-P, umstritten. Auch das Militär, dem 38 Parlamentssitze reserviert sind, bestand auf dem verfassungsgemäßen Verfahren.

Wahids Position scheint somit erst einmal gesichert zu sein. Sein Ruf als Vertreter einer toleranten, säkularen Politik hat jedoch unter der Mobilisierung beträchtlich gelitten, die militanter war als die Demonstrationen gegen ihn und die von vielen seiner Anhänger als »heiliger Krieg« bezeichnet wurde. Vor einer Versammlung religiöser Würdenträger in Surabaya behauptete er am 9. Februar, eine »dritte Hand« habe die Proteste eskalieren lassen. Tatsächlich hatte er seine Anhänger zunächst aufgerufen, auf Demonstrationen zu verzichten, und Haji Achmad Sujono, der NU-Chef in Surabaya bestätigte: »Es gibt keinen Befehl von oben, auf die Straße zu gehen.«

Wahid besitzt noch immer einen großen Einfluss auf die NU, die er 15 Jahre lang geführt hat. Doch die NU ist kein politischer Block. Ihre Anhänger, deren Zahl auf 30 bis 40 Millionen geschätzt wird, sind in ein von Kiais, muslimischen Geistlichen, geführtes Sozial- und Bildungssystem eingebunden. Längst nicht alle von ihnen haben 1999 Wahids Partei des Nationalen Erwachens (PKB) gewählt, die nur zehn Prozent der Stimmen erhielt.

Die Machtdemonstration der NU wurde in Indonesien allgemein als Warnung vor einem Bürgerkrieg gewertet, der auf einen Sturz Wahids folgen könne. Unbestreitbar ist aber auch, dass eine »dritte Hand« - mit dem Suharto-Clan und Teilen des Militärs verbündete Kräfte - versucht, Wahids Regierung zu destabilisieren und die Zivilherrschaft zu diskreditieren. So wurden nach Informationen des Far Eastern Economic Review im Zusammenhang mit der Serie von Bombenanschlägen im September und Dezember vergangenen Jahres Angehörige einer militärischen Spezialeinheit verhaftet; die Ermittlungen stagnieren jedoch. »Die Polizei scheint immer nur bis zu einem bestimmten Punkt zu kommen, dann stößt sie auf eine große Mauer und geht nicht weiter«, so Bara Hasibuan, der Koordinator des Indonesischen Friedensforums.

Nach dem Sturz Suhartos im Mai 1998 blieb das bürokratische und militärische Personal der Diktatur, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Dienst. Bei seiner Amtsübernahme im Oktober 1999 versprach Wahid eine Untersuchung und Verfolgung der in den 32 Jahren der »Neuen Ordnung« Suhartos begangenen Verbrechen, doch die Kooperation des Staatsapparats ließ zu wünschen übrig. So wurde Suhartos Lieblingssohn Hutomo Mandala Putra, genannt Tommy, der wegen Korruption zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden war, im vergangenen Jahr zwar zweimal verhaftet, doch er konnte beide Male wieder entkommen. Die von Wahid angekündigte Beschlagnahme des Milliardenvermögen des Suharto-Clans blieb aus.

Auch die wirtschaftliche und soziale Lage hat sich kaum gebessert. Finanzminister Prijadi Praptosuhardjo will in diesem Jahr Staatsbetriebe im Wert von 722 Millionen Dollar verkaufen. In- und ausländische Investoren halten sich jedoch wegen der instabilen politischen Lage und der Unruhen in mehreren Provinzen zurück, und die Oligarchie ist nicht bereit, ihre Pfründe aus den Zeiten der Diktatur aufzugeben. Noch immer ist ein Drittel der Bevölkerung arbeitslos oder unterbeschäftigt, und die Reallöhne, die in den Krisenjahren 1997 und 1998 um 60 Prozent gesunken waren, stagnieren.

Linke Organisationen und radikale soziale Bewegungen, die beim Sturz Suhartos eine wichtige Rolle spielten, haben an Einfluss verloren. Aber auch die Institutionalisierung einer bürgerlich-demokratischen Ordnung kommt nur schleppend voran. Die großen Parteien werden nicht mit Programmen, sondern mit Führungspersönlickeiten identifiziert. Ihre mit wechselseitigen Korruptionsvorwürfen - Wahid hat angekündigt, zehn »große Fische« in den Reihen seiner Gegner zu benennen - geführten Machtkämpfe und die Angst vor einem Bürgerkrieg stärken die Position des Militärs.

Anfang Februar hatte Wahid bei mehreren Treffen mit hohen Offizieren die Verhängung des Ausnahmezustandes gefordert, doch Generalstabschef Endriartono Sutarto lehnte dies ab. Die Generäle versuchen, sich als Hüter der »nationalen Einheit« und der Verfassung zu profilieren. 1999 hatten sie unwillig auf Wahids Entscheidung reagiert, die Unabhängigkeit Osttimors zu akzeptieren; allerdings erhielten sie von der Regierung und den westlichen Staaten freie Hand für die Niederschlagung der Sezessions- und Autonomiebewegungen in den aufständischen Provinzen. Hohe Ex-Generäle kritisierten mehrfach Wahids Politik, doch scheint die Armee derzeit einen schwachen Präsidenten, der ihre Macht nicht antastet und zu keiner politischen Initiative mehr fähig ist, anderen Optionen vorzuziehen. Auch Megawati hält sich mit Kritik an Wahid zurück.

Zudem scheint Wahid auf eine zentrale Kritik seiner Gegner einzugehen und die Basis seiner Regierung verbreitern zu wollen. Für den 22. Februar wird eine Kabinettsumbildung erwartet, bei der Politiker der PDI-P, aber auch der Golkar, Schlüsselpositionen erhalten sollen. Im Angebot sind auch Vorstandsposten in Staatsbetrieben und in der Zentralbank; entsprechende Gesetzesentwürfe werden derzeit in Parlamentskreisen debattiert. »Wenn wir erst einmal ein Kabinett haben, das die wichtigsten Gruppierungen im Parlament berücksichtigt«, so der Golkar-Politiker Marzuki Darusman, »kann eine normale politische Debatte beginnen.«