Spannungen zwischen Ungarn und der EU

Wunderbare Freunde

Die rechtskonservative ungarische Regierung hat es schwer mit der EU. Aber in Österreich ist sie wohlgelitten.

Von den schönsten Flecken dieser Erde wusste Isztvan Torgyan, bisher ungarischer Landwirtschaftsminister, immer eine Menge zu berichten: »Das venezuelanische Volk ist mit dem ungarischen Volk befreundet«, begann er Ende Januar seine wie gewöhnlich fundierte Analyse. Doch nach seiner letzten Südamerikareise wollte von der Freundlichkeit der Venezuelaner, den Naturschönheiten Perus und dem faszinierenden Dschungel Kolumbiens niemand etwas wissen.

In den beiden Wochen seiner Abwesenheit wurde Torgyan solange von der Opposition und von regierungskritischen Medien attackiert, bis schließlich sogar einige seiner Parteifreunde von der ungarischen Kleinlandwirtepartei (FGKP) eine Palastrevolte initiierten. Sein Sohn Attila, ein bekannter Rechtsanwalt, soll von einigen Unternehmen Bestechungsgelder in Höhe von rund 11 000 Euro angenommen haben. Dafür habe er über seinen Vater Aufträge an diese Firmen vermittelt.

Isztvan Torgyan wiederum lenkte das Interesse der Öffentlichkeit auf sich, weil er sich in einem Nobelviertel Budapests eine Villa für rund eine halbe Million Euro errichten ließ. Doch niemand kann sich erklären, wie der Minister das Bauvorhaben finanzierte. Mindestens ebensoviel hat vermutlich Torgyans Reiselust gekostet. Der ungarische Rechnungshof bemerkte vor kurzem, Torgyan habe von allen Kabinettsmitgliedern die teuersten Reisen unternommen. Zumal die ungarische Bauernschaft mit Südamerika und Thailand, des Ministers Lieblingszielen, nicht eben intensive Handelsbeziehungen pflegt.

Die exklusiven Hobbies des Ministers, sein allzu geschäftstüchtiger Sohn und sein eigenartiges Amtsverständnis sorgten sogar dafür, dass vergangene Woche sechs seiner engsten politischen Mitstreiter aus der Partei austraten.

Die Kritik blieb auch beim ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban vom Bund der Jungdemokraten (Fidesz) nicht ohne Wirkung. Am vergangenen Donnerstag nahm er Torgyans Rücktrittsgesuch an. Damit zog Torgyan die Konsequenzen aus jener »Hexenjagd«, die gegen ihn veranstaltet worden sein soll. Für die sozialistische Opposition aber ging seine Demontage nicht schnell genug: »Sein Rücktritt kommt um Jahre zu spät. Wir hätten Millionen gespart, wäre Torgyan rechtzeitig zurückgetreten«, klagte der Chef der Sozialistischen Partei, Laszlo Kovacs. »Sein Rücktritt steigert das Vertrauen in die Regierung«, meinte hingegen der Vorsitzende des konservativen Demokratischen Forums (MDF), Ibolya Deviol.

Das muss er auch, denn die rechtskonservative Regierungskoalition aus Jungdemokraten und Demokratischem Forum liefert eine erbärmliche Vorstellung. Ungarn, lange Zeit hoffnungsfroher Kandidat für eine Mitgliedschaft in der EU, sah seine Chancen in den letzten beiden Jahren schwinden. In seiner »Rede zur Lage der Nation« beklagte Premier Viktor Orban Anfang des Jahres, Ungarn habe »keine Freunde in Brüssel«. Eine sehr subjektive Analyse, denn eher müsste Orban davon sprechen, dass Ungarn die ehemaligen Freunde in Brüssel nachhaltig verärgert hat.

Tatsächlich bedient die Regierung in Budapest nationalistische Emotionen und ist deshalb außenpolitisch isoliert. Einer der engsten Freunde des Premiers ist etwa Istvan Csurka, Chef der Partei für Gerechtigkeit und Leben (Miep). Zwar ist seine Partei nicht Koalitionspartner, hat aber bei Abstimmungen im Parlament meist die Regierung unterstützt. Csurka fiel im Parlament immer wieder durch seine revisionistischen Forderungen auf.

So wünschte er mehrmals einige Gebiete der heutigen Slowakei und Rumäniens für ein noch zu schaffendes Großungarn. In der vergangenen Woche setzte er sich sogar für die Rehabilitation des während der Nazi-Zeit regierenden Premiers Laszlo Bardossy ein.

Gleichgesinnte findet die Regierung in Budapest nur bei den so genannten österreichischen Schwägern. Seit in Wien die blau-schwarze Koalitionsregierung aus Volkspartei (ÖVP) und Freiheitlichen (FPÖ) regiert, entwickelt sich der grenzüberschreitende Gedankenaustausch prächtig. Als die EU-Staaten gegen die Wiener Koalitionsregierung im Februar 2000 Sanktionen verhängten, schlossen sich beinahe alle osteuropäischen Beitrittsbewerber den Maßnahmen der EU an. Bis auf Ungarn.

Demonstrativ besuchte der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gleich nach seiner Vereidigung die Regierung in Budapest und wurde von Orban herzlich begrüßt. Dass diese freundschaftlichen Beziehungen von der EU misstrauisch beobachtet werden, muss Orban nicht verwundern. Das gespannte Verhältnis zu Brüssel »liegt an Orban selbst«, meinte Oppositionschef Laszlo Kovacs.

Dass man sich dagegen mit Wien ganz wunderbar versteht, liegt auch in einem ähnlichen Verständnis begründet, wie mit parlamentarischen Gegnern umzugehen ist. In konservativen österreichischen Medien wird beispielsweise seit einem Jahr eine Kampagne gegen den österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil geführt. Durch seine Ablehnung der blau-schwarzen Koalition habe er die EU-Sanktionen gegen Österreich indirekt unterstützt und damit Hochverrat begangen, wird dort behauptet. Gleichzeitig wird den regierungskritischen Medien die Schuld an der außenpolitischen Isolation der Regierung gegeben.

In Budapest begann nun mit einem Jahr Verspätung eine ähnliche Kampagne. Ein Sprecher des Bundes der Jungdemokraten ließ mehrmals verlauten, es lägen Informationen vor, wonach einige Oppositionelle versucht hätten, den »diesjährigen Länderbericht der EU zu Ungarn negativ zu beeinflussen«. Wenn dies tatsächlich so gewesen sein sollte, dann war die Arbeit der Opposition sehr stümperhaft. Im Länderbericht der EU ist weder von einer Einschränkung der Grundrechte, wie sie die Opposition beklagt, noch von diktatorischen Neigungen der Regierung Orban die Rede.

Ebenfalls unerwähnt bleibt im EU-Bericht die eklatante Vernachlässigung der Minderheiten. Sämtliche Vertreter der 13 in Ungarn ansässigen Minderheiten äußerten sich vor knapp zwei Wochen in einer Resolution entsetzt über die Ignoranz der Regierung. Pero Lasztity, der Vorsitzende der serbischen Minderheit, zog ein bitteres Resümee: »Der positive Prozess, der in Ungarn Anfang der neunziger Jahre begonnen hatte, wurde jetzt vollkommen gestoppt.«

Besonders prekär ist dabei die Situation der Roma, die über ihre Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und häufige Übergriffe klagen. Als im vergangenen Jahr mehrere Hundert Roma aus Ungarn nach Frankreich flüchteten, um dort Asyl zu beantragen, erklärte Premierminister Orban, dass es dafür gar keinen Anlass gebe. Stattdessen sollten »die Roma in Ungarn lieber versuchen, in der Schule etwas zu lernen und mehr zu arbeiten«. Mit solchen Aussagen macht sich Orban bei den Minderheiten nicht gerade beliebt. Doch viele Freunde braucht er dort ohnehin nicht. In Österreich hat

er ja derzeit genug.