Ehemaliger General auf der Flucht

Auf Nummer sicher

Die Flucht des Generals Mirko Norac bringt Kroatien an den Rand einer Staatskrise.

Die kroatische Regierung erklärt ihn zum Staatsfeind Nummer eins, die Polizei leitet eine umfassende Suche nach ihm ein - und Mirko Norac genießt das Bad in der Menge. Rund 100 000 Menschen waren Mitte vergangener Woche in die Hafenstadt Split gekommen, um ihre Solidarität mit dem geschassten ehemaligen General zu bekunden und gegen die neue, sozialliberale Regierung zu protestieren.

Unter den Demonstranten befand sich auch Norac selbst. »Ich war dort und habe sogar ein Schild mit der Aufschrift ðIch bin Mirko NoracÐ getragen, aber keiner hat sich für mich interessiert«, erklärte er in einem Interview mit der kroatischen Zeitung Slobodna Dalmacija.

Dafür interessiert man sich in Zagreb und Rijeka umso mehr für ihn. Anfang letzter Woche hätte er vor einem Gericht in Rijeka erscheinen sollen, um über seine mögliche Verwicklung in die Massaker kroatischer Militärs an serbischen Zivilisten während des Sezessionskrieges von 1991 bis 1995 auszusagen. Doch Norac tauchte nicht auf.

Als die Polizei ihn kurz darauf in seiner Wohnung in Sinj verhaften wollte, floh er durch ein Fenster. Seitdem ist in Kroatien eine hitzige Debatte über mögliche eigene Kriegsverbrechen, die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und nicht zuletzt über das eigene Staatsverständnis entbrannt. Denn Mirko Norac gilt in Kroatien mehr als jeder andere Militär als Symbol für den gewonnenen Unabhängigkeitskrieg, als Ikone kroatischer Heldentaten. Mit dem verstorbenen Staatsgründer Franjo Tudjman und dem ebenfalls verstorbenen Verteidigungsminister Gojko Susak war er eng befreundet.

Erst die neue Regierung setzte der Karriere des heute 33jährigen ein Ende. Als er gemeinsam mit zehn weiteren hochrangigen Militärs im vergangenen September einen offenen Brief verfasste, in dem er die Regierung wegen ihres erklärten Willens kritisierte, mögliche Kriegsverbrechen der kroatischen Streitkräfte zu untersuchen, wurden Norac und seine Co-Autoren von Präsident Stipe Mesic aus dem Dienst entlassen.

Doch vermutlich hätte seine Laufbahn ohnehin bald geendet. Denn ein Gericht in Rijeka hatte inzwischen intensive Recherchen über die Verwicklung des Generals in ein Massaker an serbischen Zivilisten in der Kleinstadt Gospic im Oktober 1991 begonnen. Als der Kronzeuge Milan Levar, ein ehemaliger Untergebener Noracs, im August vergangenen Jahres erschossen wurde, unterbrach man kurzzeitig die Ermittlungen.

Das Massaker von Gospic gilt als eines der ersten Verbrechen kroatischer Militärs an Zivilisten während des Sezessionskrieges. Damals wurden rund 180 Serben aus Gospic verschleppt. Mitarbeiter der Helsinki-Foundation fanden 24 Leichen am Waldrand in der Nähe des Ortes.

Milica Smiljanic, die Witwe eines der Opfer, berichtet vom 16. Oktober 1991: »Sie brachen in unser Haus ein. Sie trugen Tarnuniformen. Als sie merkten, dass wir uns in den Keller geflüchtet haben, schrien sie: ðKommt raus, ihr Banditen!Ð Dann verlangten sie, dass wir ein Papier unterschreiben, in dem wir bestätigen, dass Serben in Kroatien ein sicheres Leben führen konnten. Als wir uns weigerten, das zu tun, zerrten sie meinen Mann Stanko und meinen Schwager auf einen Lastwagen und fuhren weg. Ich habe meinen Mann nie wieder gesehen.« Nur Pathologen haben Stanko Smiljanic wieder gesehen. Sie fanden ihn erschossen auf. Smiljanic fand einen schnelleren Tod als einige Frauen, die einfach mit Schaufeln erschlagen worden waren.

Das Massaker war kein Alleingang von General Norac, sondern eine gut vorbereitete militärische Aktion. Seine Brigade musste in den serbischen Teil von Gospic eindringen, was ein risikoreiches Unternehmen darstellte. Nach Berichten, die Jungle World vorliegen, wussten sowohl Tudjman als auch die gesamte damalige politische Elite Kroatiens von den Planungen für das Massaker, darunter so exponierte Mitglieder von Tudjmans Kroatischer demokratischer Bewegung (HDZ) wie der damalige Premier Franjo Greguric und der ehemalige Innenminister Ivan Vekic.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die heute noch aktiven HDZ-Kader jetzt für Norac einsetzen und mithilfe seiner Person eine politische Kampagne gegen die derzeitige Regierung lancieren. »Das Ganze ist po-litisch völlig absurd. Den Unterstützern von Norac geht es nur darum, selbst nicht vor Gericht zu kommen«, meint der außenpolitische Berater des Staatspräsidenten, Tomislav Jakic, gegenüber Jungle World. Dass der aktuelle Chef der HDZ, Ivo Sanader, auf der Großdemonstration in Split forderte, die Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal einzustellen und die Mesic-Regierung zu stürzen, ist nicht nur grotesk, sondern auch einfach zu durchschauen.

»Die wollen sich alle absichern. Norac und seinen Mitstreitern drohen in Den Haag 40 Jahre Gefängnis ohne Möglichkeit auf Bewährung. Vor einem kroatischen Gericht könnte er höchstens 25 Jahre bekommen und würde wegen seiner Verdienste um den kroatischen Staat vielleicht früher auf eine Begnadigung hoffen können«, ist sich Jakic sicher.

Die Aufregung der nationalistischen Opposition ist aber vor allem deshalb grotesk, weil weder ein Auslieferungsantrag aus Den Haag vorliegt noch eine Anklage. Das bestätigt auch Florence Hartman, die Sprecherin der Den Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte: »Wir kooperieren nur mit den kroatischen Behörden, aber es gibt weder eine offizielle Untersuchung noch eine Anklage und schon gar keinen Auslieferungsantrag.« Man habe derzeit kein Interesse an dem Fall, fährt Hartmann fort, und überlasse ihn den kroatischen Gerichten. »Es ist auch in nächster Zukunft nicht mit einer Anklage gegen Norac zu rechnen. Wir können uns ja nicht mit jedem befassen«, stellt sie abschließend klar.

Die juristische Zurückhaltung bringt die kroatische Administration in ein Dilemma. Sie kann sich gegenüber der rechten Opposition nicht auf das Argument berufen, nur den Anweisungen aus Den Haag zu folgen und eigentlich keine andere Wahl zu haben, wenn nicht die internationale Isolation des Landes riskiert werden soll.

Bemühungen zur Aufarbeitung der nationalen Vergangenheit sind für die neue Regierung jedenfalls notwendig. »Wir hätten uns das alles sparen können, wenn schon die alte Regierung ermittelt hätte«, klagt Tomislav Jakic. Die aber tat das Gegenteil. Franjo Tudjman sorgte dafür, dass die Untersuchungen der kroatischen Polizei vor Jahren abgebrochen wurden.