Nach den Wahlen in Israel

Aufrüsten und mürbe machen

In Israel scheint eine große Koalition nun doch wahrscheinlich. Zugleich eskaliert der Konflikt mit den Palästinensern.

Während Israels neu gewählter Ministerpräsident Ariel Sharon in der vergangenen Woche bei der Regierungsbildung Fortschritte machte, kam es zum schwersten palästinensischen Mordanschlag seit Beginn der Unruhen Ende September. Der Busfahrer Chalil Abu Olbeh tötete in der Stadt Holon südlich von Tel Aviv acht Israelis, weitere 20 wurden zum Teil schwer verletzt. Abu Olbeh fuhr palästinensische Arbeiter aus dem Gaza-Streifen nach Israel. Seine Fahrt am vergangenen Mittwoch nutzte er, um an einer Bushaltestelle vorsätzlich in eine größere Menschenmenge aus vorwiegend israelischen Soldaten zu rasen, die auf dem Weg in ihre Kasernen waren.

Der Schock für Israel war umso größer, als Abu Olbeh zu der Gruppe von Palästinensern gehörte, von der nach bisheriger Auffassung keine Gefahr droht: über 30 Jahre alt, Familienvater, fester Job, politisch nicht organisiert. Erst zwei Wochen zuvor hatte es eine routinemäßige Sicherheitsüberprüfung des Busfahrers gegeben. Und doch war es kein, wie Palästinenserpräsident Yassir Arafat zunächst verharmlosend behauptete, »bedauerlicher Verkehrsunfall«. Vielmehr ergaben erste Verhöre des Attentäters, dass er bereits bei seiner Abfahrt am Mittwochmorgen den Anschlag beabsichtigt hatte.

Seit dem Beginn der Unruhen sind über 400 Menschen zu Tode gekommen. Doch nach der israelischen Ministerpräsidentenwahl am 6. Februar haben sich die Auseinandersetzungen nochmals verschärft. Es kommt immer wieder zu Feuergefechten zwischen der israelischen Armee (IDF) und palästinensischen Milizen. Fast täglich versuchen Palästinenser, Bombenanschläge auf jüdische Siedlungen zu verüben. Bestimmte Umgehungsstraßen, die vom israelischen Kernland in Siedlungen führen, stehen fast permanent unter Beschuss.

Urheber sind nicht nur die radikal-islamistischen Organisationen Hamas und Jihad, sondern auch Mitglieder von Arafats Fatah-Partei sowie die mit ihr verbundenen Tansim-Milizen. Selbst offizielle Polizei- und Sicherheitskräfte der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sind beteiligt. Als Waffen werden kaum noch Steine und Molotow-Cocktails verwendet, sondern Maschinengewehre, Panzerfäuste und sogar Mörsergranaten. Die israelische Siedlung Netzarim im Gazastreifen etwa wurde in den letzten zwei Wochen dreimal mit Mörsern beschossen.

Dies war auch der Hintergrund für die gezielte Tötung Massud Ajads. Der 57jährige Sicherheitsoffizier, der zur Leibgarde Arafats gehörte, wurde ebenfalls am Mittwoch von zwei israelischen Kampfhubschraubern mit Raketen beschossen, als er mit seinem Auto in Gaza unterwegs war. Nach Angaben der IDF war Ajad auch Verbindungsmann der libanesischen Hisbollah-Miliz in Gaza und in dieser Eigenschaft verantwortlich für die Mörserangriffe. Bezeichnend, dass deutsche Medien sich über den israelischen »Staatsterrorismus« empörten, dem vorangegangenen Granatbeschuss Netzarims aber keine Beachtung schenkten.

Doch auch im Norden Israels war die Hisbollah wieder aktiv. Bei einem Raketenangriff auf einen israelischen Militärjeep in den umstrittenen Sheba-Farmen starb ein Soldat, zwei weitere wurden verletzt. Eine ihrer Einheiten namens »Al Aqsa-Märtyrer« habe einen »direkten Treffer« gelandet, jubelte die Hisbollah und demonstrierte mit der Namenswahl erneut ihre Verbundenheit mit den Palästinensern. Erst kurz zuvor hatte Sharon Syrien, der eigentlichen Macht im Libanon, signalisiert, zu neuen Verhandlungen bereit zu sein, wenn Syrien im Gegenzug die Aktionen der Hisbollah unterbindet. Nach dem Raketenangriff forderte auch die US-Regierung, die nach George W. Bushs Amtseinführung Kritik an Israel übte, den Libanon auf, seine Südgrenze besser zu kontrollieren.

Inzwischen interpretieren immer mehr Israelis die Eskalation als De-facto-Krieg mit den Palästinensern. Zwar will niemand offen sagen, dass man sich im Krieg mit der PA oder der PLO befinde. So erklärte etwa der stellvertretende Verteidigungsminister Ephraim Sneh, Israel sei »im Krieg« mit islamistischen Terroristen. Die linke Friedensgruppe Gush Shalom benutzte schon vor einigen Wochen den Begriff »palästinensischer Unabhängigkeitskrieg« in Anlehnung an den Krieg von 1948, der in Israel meist als »israelischer Unabhängigkeitskrieg« bezeichnet wird.

Eine treffendere Analogie aber hat Yoel Marcus, Redakteur der linksliberalen Tageszeitung Ha'aretz, gefunden: »Dies ist keine Intifada. Tatsächlich führt die PA einen Zermürbungskrieg gegen Israel.« So hatte Ende der sechziger Jahre der damalige ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den ständigen Beschuss israelischer Stellungen am Suezkanal bezeichnet, den er wegen fehlender Siegeschancen bei einem größeren Angriff durchführen ließ.

Damals allerdings hatte diese Strategie keine effektive Zermürbung Israels zur Folge. Und auch heute ist es fraglich, welche Seite zuerst mürbe wird. Sharons Regierungsbildung jedenfalls scheint, vermutlich begünstigt von der militärischen Eskalation, einfacher zu werden als erwartet. Ende letzter Woche war der Eintritt des Wahlverlierers Ehud Barak und seiner Arbeitspartei in eine große Koalition nahezu perfekt. Mit der Berufung von Shimon Peres zum Außenminister und mit eigenen diplomatischen Kampagnen bemüht sich Sharon die Befürchtungen wegen seines Images als Rechtsaußen etwas entgegen zu setzen.

In der Arbeitspartei gab es zwar zunächst Krach, nachdem Barak entgegen seinen Aussagen vor der Wahl nicht von der Parteiführung zurücktrat und damit nicht bloß »einen Zickzack, sondern einen Rückwärtssalto mit doppelter Pirouette« vollführte, wie Ha'aretz spöttelte. Doch die scharfe Kritik etwa seines ehemaligen Ministers Chaim Ramon dürfte eher aus dessen Enttäuschung herrühren, seinen Chef nicht beerben zu können. Ramon kann aber mit einem Ministerposten wohl schnell besänftigt werden. Lediglich eine Gruppe um den Parteilinken Jossi Beilin scheint ernsthaft darüber nachzudenken, die Partei zu verlassen.

Hingegen scheint die Macht Arafats und seiner Getreuen in der PA zu zerfallen. Seine Popularität ist Umfragen zufolge auf ein Rekordtief gesunken. Das allein wäre für den alternden PA-Vorsitzenden noch erträglich, da demokratische Wahlen ohnehin nicht anstehen. Schlimmer für ihn ist, dass er immer mehr zum Opfer des von ihm selbst geschürten Nationalismus wird. Schon länger versucht Arafat, den Fanatismus seiner Untertanen weiter in die bekannten, anti-israelischen Bahnen zu lenken, etwa durch den unbelegten Vorwurf, Israel verwende gegen die Palästinenser auch Giftgas. Doch angesichts der miserablen Lage sucht sich die palästinensische Bevölkerung in ihrer Enttäuschung nun neue Helden. Aktivistische Hardliner wie der Fatah-Funktionär und Anführer der Tansim-Milizen Marwan Barghouti laufen Arafat den Rang ab. Auf die von ihnen gesteuerten Angriffe gegen Israelis nimmt Arafat kaum noch Einfluss.

Hinzu kommt, dass die immer wieder, zuletzt nach dem Attentat von Holon, verschärfte Abriegelung der palästinensischen Gebiete katastrophale ökonomische Folgen hat. So hat die PA fast keine Einnahmequellen mehr und ist praktisch pleite. Da den Sicherheitsbeamten schon seit längerem keine Gehälter mehr gezahlt werden, löst sich der PA-Apparat langsam auf. Jetzt versucht Terje Roed-Larsen, der Unterhändler der UN, die notwendigen Gelder bei der EU aufzutreiben.

Doch auch für die israelische Regierung ist diese Entwicklung ambivalent. Einerseits will sie der PA angesichts der Eskalation keinen großen Spielraum geben, andererseits hat sie auch kein Interesse an besetzten Gebieten, die in Chaos und Bandenherrschaft versinken. So spekulierte Baraks Außenminister Shlomo Ben-Ami, ob in diesem Fall die bisher von Israel strikt abgelehnte Stationierung von UN-Truppen nicht doch zu erwägen sei.