Ein Jahr nach dem Pogrom von El Ejido

Leere Versprechen

Ein Jahr nach dem Pogrom im südspanischen El Ejido warten die Migranten immer noch auf Entschädigung.

Yolanda Martinéz erinnert sich lebhaft an den Februar des letzten Jahres: »Mit Stöcken bewaffnet griffen sie Geschäfte und Kneipen an, jagten die Einwanderer durch die Straßen und bewarfen sie mit Steinen.« Tagelang hetzten Tausende Bewohner der südspanischen Kleinstadt El Ejido die mehrheitlich aus Nordafrika eingewanderten Arbeitsmigranten durch den Ort. Der rassistische Mob plünderte und verwüstete Wohnbaracken, Autos und Bars. Sogar die Moschee wurde beschädigt.

Die Gemeindepolizei und die Guardia Civil schauten zu. Sie griffen erst ein, nachdem die Übergriffe landesweit in den Medien Aufsehen erregt hatten. Schließlich verhafteten die Sicherheitskräfte 158 Menschen, allerdings hauptsächlich Migranten, die sich gegen die Angriffe zur Wehr gesetzt hatten. Lediglich 66 spanische Staatsangehörige nahm die Polizei fest, die meisten von ihnen, weil sie einen örtlichen Funktionär der rechten Regierungspartei Partido Popular (PP) überfallen hatten.

Fast 700 Strafanzeigen erstatteten die Anwälte der MigrantInnen nach den Ereignissen in El Ejido. Daraufhin beschuldigte die Anwaltskammer der Provinzhauptstadt Almería die Rechtsvertreter der Einwanderer, erneut Unruhe zu stiften, weil sie eine Bestrafung der Täter fordern. Bis heute musste sich keiner der Beschuldigten vor Gericht verantworten. Abgesehen von zwei Fällen, hat die Justiz alle Ermittlungen eingestellt.

Die meisten der rund 20 000 in El Ejido lebenden Migranten waren faktisch als Tagelöhner ohne arbeitsrechtliche Absicherung in den ausgedehnten Obst- und Gemüsetreibhäusern der Umgebung beschäftigt. Nach den rassistischen Übergriffen traten sie in den Streik - während der Erntezeit. Den Arbeitgebern entgingen pro Tag rund zwölf Millionen Euro.

Die lokalen Bauernverbände, die Exportvereinigung Ecophal und die Gemeindeverwaltung entschlossen sich, mit den streikenden Landarbeitern zu verhandeln. Kurz darauf unterzeichneten die Beteiligten umfangreiche Vereinbarungen, darunter die Zusicherung von Entschädigungszahlungen sowie von Aufenthaltsgenehmigungen für die Opfer. Außerdem verpflichtete sich die Gemeinde, neue Wohnungen für diejenigen bereitzustellen, deren Unterkünfte zerstört worden waren. Am 13. Februar vergangenen Jahres beendeten die Migranten den Streik.

Zum Jahrestag am fünften Februar widmeten die großen spanischen Tageszeitungen El País und El Mundo dem Pogrom einen Schwerpunkt. El País veröffentlichte den Text der während des Streiks getroffenen Vereinbarungen und stellte dem Dokument die Aussagen von NGO, Gewerkschaften und MigrantInnenassoziationen über die aktuelle Situation der Einwanderer in El Ejido gegenüber.

Bis heute ist keine der Vereinbarungen eingehalten worden, über die Hälfte der aus Marokko eingewanderten Migranten hat El Ejido inzwischen verlassen. Die versprochenen neuen Wohnungen bestehen aus 42 Containerunterkünften mit insgesamt 300 Betten. Bürgermeister Juan Enciso von der PP ließ die Wohncontainer zudem 20 Kilometer außerhalb von El Ejido auf dem Privatgelände der Großgrundbesitzer errichten. Für die nun dort wohnenden Menschen bedeutet dies, in halbfeudalen Verhältnissen zu leben, weil sie den individuellen »Hausregeln« ihrer Arbeitgeber ausgeliefert sind. Die zugesicherten Buslinien nach El Ejido existieren nach wie vor nicht. Nur zwei der fünf zerstörten Bars sind wieder eröffnet worden. Die Besitzer der anderen drei Lokale sind an den nahezu unerfüllbaren Bauauflagen der Stadtverwaltung und am Protest der Nachbarn gescheitert. Von den mehreren Tausend Opfern der Übergriffe erhielten bis heute nur 232 eine Entschädigung. Auch Tarifverträge für die Landarbeiter wurden nicht abgeschlossen.

Über 8 000 der knapp 21 000 Anträge auf Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in El Ejido sind mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Antragsteller keinerlei Papiere vorlegen könnten, die einen längeren klandestinen Aufenthalt in Spanien beweisen. Nach dem alten spanischen Ausländergesetz galt dies als Voraussetzung für die Legalisierung des Aufenthaltes von Einwanderern. Das Argument, die Papiere seien bei den Übergriffen und Plünderungen mit dem restlichen Besitz verbrannt oder gestohlen worden, fand keine Berücksichtigung.

Stattdessen werden die in El Ejido verbliebenen Migranten kriminalisiert. Bereits im April vergangenen Jahres berichtete die Koordination von Einwanderervereinigungen in El Ejido einer Delegation des Europäischen Bürgerforums (Cedri), dass die zuvor in der Stadt beschäftigten 70 Sicherheitsbeamten um 530 Polizisten verstärkt wurden, »die mit großem Eifer die Papiere der Einwanderer prüfen, sie verhaften und ausweisen«. Und auch heute, ein Jahr nach den Überfällen, halten noch 160 Beamte die Viertel der Einwanderer in einer Art Belagerungszustand. Eine Reiterstaffel beobachtet die Arbeiter auf den Plantagen rund um El Ejido.

Die Vereinigung der Migranten aus dem Maghreb in Spanien (Aeme) bereut schon lange, den Ausstand so schnell abgebrochen zu haben, und erklärte bereits im Mai vergangenen Jahres: »Nachdem wir den Streik ausgesetzt hatten, akzeptierten sie unsere Unterhändler nicht mehr und verweigerten uns wichtige Informationen.«

El Ejido ist nicht nur in der nationalen Presse zum Symbol für Rassismus in Spanien geworden. Das Pogrom ist jedoch kein singuläres Ereignis, sondern auch ein Resultat der konsequenten rassistischen Hetze der PP-Regierung gegen Einwanderer. Meinungsumfragen zufolge sind inzwischen fast 50 Prozent der spanischen Bevölkerung »ausländerfeindlich eingestellt«. Ende Januar verabschiedete das Parlament in Madrid ein neues Ausländergesetz, das nicht nur wie bisher die Beschäftigung illegalisierter Flüchtlinge unter Strafe stellt, sondern jegliche Form der Hilfestellung für »sin papeles«.

Angesichts der anhaltenden Proteste von Migranten gegen die neue Bestimmung sorgen sich inzwischen sogar die bürgerlichen Medien um das Image Spaniens im Ausland. So bemerkte kürzlich Hermann Tertsch, einer der Chefredakteure von El País: »In vielen Stadtteilen, wo sich heute sin papeles aufhalten, kann bald dasselbe geschehen wie in El Ejido.«