Großbritannien für verschärftes Asylrecht

Von Fritz lernen

Die britische Regierung gesellt sich zu den asylpolitischen Hardlinern in der EU. Denn bald finden Wahlen zum Unterhaus statt.
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Normalerweise ist die britische Regierung nicht gerade begeistert von Bestrebungen, die Gesetzgebung innerhalb der Europäischen Union (EU) zu vereinheitlichen. Doch Anfang Februar startete die Blair-Regierung eine Kampagne für eine gemeinsame Asylpolitik und wurde dafür selbst von den notorisch anti-europäischen Zeitungen gelobt.

»Jeden Tag hören wir von dem Horror, den illegale Immiganten in den Händen von Schleusern durchmachen. Die Anzahl der Toten in der letzten Zeit spricht für sich selbst«, schrieben Premierminister Anthony Blair und sein italienischer Amtskollege Guiliano Amato vor zwei Wochen im Observer und im Corriera della Sera. Tatsächlich ist es für Migranten aus den Krisengebieten der Welt inzwischen so gut wie unmöglich, legal nach Großbritannien zu reisen. Das Versteckspiel vor den britischen Behörden hat im vergangenen Jahr zum Tod von 58 Flüchtlingen aus China geführt, die in einem Kühlcontainer zwischen Belgien und Dover erstickten. Doch die Vorschläge der Regierungschefs Italiens und Großbritanniens, wie solche Todesfälle in Zukunft zu verhindern seien, laufen darauf hinaus, eine Migration nach Westeuropa unmöglich zu machen: »Europas Hintertür schließen«, überschrieben sie ihren Artikel.

Mit der Hintertür sind die Staaten des früheren Jugoslawien gemeint, durch die ein Großteil der Migranten in die EU gelangt. Nun sollen die Früchte des Kosovo-Krieges geerntet werden: »Sowohl das Vereinigte Königreich als auch Italien sind gewillt, Immigrations- und Polizeibeamte auf den Balkan zu schicken, um den Kampf gegen Menschenschmuggel direkt zu unterstützen«, erklärten Blair und Amato.

Sowohl in Großbritanien als auch in Italien befinden sich die Mitte-Links-Regierungen im Wahlkampf gegen rechte Parteien, die die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zu einem Kernthema gemacht haben. So forderte die britische Konservative Partei, Asylbewerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens zu internieren. Innenminister Jack Straw setzte dem entgegen, dieses Vorhaben sei viel zu teuer. Stattdessen schlug er vor, Internierungslager in den Krisengebieten selbst zu errichten.

Nach dem deutschen Vorbild der »sicheren Herkunftsländer« solle eine in der ganzen EU gültige Liste erstellt werden, in der drei Länderkategorien festgelegt sind: sichere Länder, deren Bürger kein Asyl beantragen können, unsichere Länder, deren Bürger in den vorgeschlagenen Lagern - also außerhalb der EU-Grenzen - eine Aufenthaltsgenehmigung für die EU beantragen können, und Länder, die als »bedingt« sicher eingestuft werden. Ausreisewillige sollen in ihrem Herkunftsland einen Asylantrag stellen, der kritisch geprüft werde. Dafür möchte Straw sogar die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ändern: »Potenzielle Migranten profitieren von einem Aspekt der Konvention, nämlich von der Verpflichtung der Staaten, alle Asylanträge zu prüfen, die auf ihrem Territorium gestellt werden, so unbegründet sie auch sein mögen.«

Mit der Einhaltung dieser Konvention nehmen es die britischen Behörden schon seit längerem nicht sehr genau. Seit 1994 wurden jährlich etwa 1 000 Flüchtlinge inhaftiert, weil sie mit falschen Papieren eingereist waren. Das höchste britische Gericht, der High Court unter Richter Simon Brown, hatte schon 1999 festgestellt, dass die Kombination von Visaregelungen und schweren Strafen für Transportunternehmen, die Reisende ohne gültige Papiere in das Königreich bringen, »es für Flüchtlinge so gut wie unmöglich gemacht habe, auf der Suche nach Schutz ohne falsche Dokumente zu reisen«.

Da die Genfer Konvention ausdrücklich festlegt, dass Personen wegen illegaler Einreise nicht belangt werden dürfen, verurteilte Brown das britische Innenministerium zu Entschädigungszahlungen von mindestens 16 000 Euro für jeden widerrechtlich Inhaftierten. Fortan wurde niemand mehr wegen illegaler Einreise inhaftiert. Am 7. Februar berichtete der Guardian, dass die Regierung den ersten Betroffenen eine Entschädigung gewähren musste.

Großbritannien nimmt derzeit neben Deutschland die meisten Flüchtlinge innerhalb der EU auf: 76 000 waren es im vergangenen Jahr. Diese Anzahl verweist Großbritannien allerdings nur ins Mittelfeld der Aufnahmeländer, wenn man sie ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung setzt. Weil die britische Regierung das Schengener Abkommen nicht unterzeichnete, besteht keine Möglichkeit, unerwünschte Migranten schnell wieder in eines der »Transitländer« abzuschieben. Da die meisten Flüchtlinge über Frankreich einreisen, wollte Tony Blair den französischen Präsidenten Jacques Chirac vor zwei Wochen bewegen, illegal Eingereiste gleich wieder zurückzunehmen. Dieser lehnte ab, stimmte jedoch dem Einsatz britischer Beamter auf der Bahnstrecke zwischen Paris und Dover zu. Der Eurotunnel gilt als eines der letzten Schlupflöcher für Reisende ohne Visum.

In ihrer Berichterstattung über die Flüchtlingspolitik sind die britischen Medien kaum voneinander zu unterscheiden: So stilisisierte das staatliche Fernsehen BBC ein überfülltes Zentrum des Roten Kreuzes in Calais zur nationalen Bedrohung. Doch immerhin setzen die liberalen Blätter Schlagworte wie »Asyl-Shopping« oder »Asylbetrüger« in Anführungsstriche. Man erwartet, dass Premierminister Blair die Unterhauswahlen für den 3. Mai ansetzt, und obwohl der Wahlkampf offiziell noch gar nicht begonnen hat, ist die britische Politik schon jetzt im Wahlfieber.

Um den konservativen Tories die Möglichkeit zu nehmen, das Asylthema zu besetzen, hat Labour das Treffen der Innen- und Justizminister der EU in Schweden zum Anlass genommen, eine rhetorische Offensive gegen »human traffickers« (Schleuser) zu starten. In Stockholm forderte Jack Straw ein Netzwerk europäischer Einwanderungsbeamter, die vor allem nach Bosnien entsandt werden sollen, um in Zusammenarbeit mit der Polizeibehörde Europol die so genannte Sarajevo-Route stillzulegen. Nach Ansicht von Straw würden »Schleuser« die unterschiedlichen Einreisegesetze innerhalb der EU nutzen, um Flüchtlinge über die Grenzen zu bringen: »Wir sind bestrebt, EU-Aktionen gegen diese Quelle des Schmuggels zu koordinieren.« Zwei Drittel der Mitgliedsländer schickten daraufhin Beamte zu einem außerordentlichen Treffen nach London, um die 1999 in Tampere (Finnland) verabredete gemeinsame Asylpolitik voranzutreiben. Die Londoner Regierung zeigte sich mit ihren Vorschlägen zur Asyl- und Einwanderungspolitik in der EU dem Hardliner Deutschland ebenbürtig.

Der deutsche Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) begrüßte erwartungsgemäß die Forderungen seines britischen Amtskollegen, Polizei- und Einwanderungsbeamte in die Länder des westlichen Balkans zu schicken. Gleichzeitig kritisierte er, dass bei den geplanten EU-Mindeststandards für Asylverfahren auch nicht-staatliche Verfolgung als Asylgrund anerkannt werden soll.

Ruud Lubbers, der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, erinnerte die eifrigen Asylreformer auf dem Treffen in Stockholm daran, dass die EU die Flüchtlingskonvention im Alleingang nicht ändern kann. Abschließend bemerkte er: »Auf jeden Fall wird keine Mauer hoch genug sein, die Menschen am Kommen zu hindern.«