Der italienische Boxer Tiberio Mitri ist tot

Wie ein müder Stier

Der Tod des ehemaligen italienischen Boxers Tiberio Mitri wurde weltweit betrauert. Nur in Deutschland ist der Mann, dessen Leben durch einen einzigen Kampf zerstört wurde, unbekannt.

Die Macht der Mafia kommt nicht nur aus den Pistolenläufen, sie stützt sich auch auf Menschenkenntnis. Der US-Amerikaner Frankie Carbo war in dieser Hinsicht ein Mafia-Pate. Er kontrollierte in den vierziger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Profiboxen in den USA. Denn er war die dominierende Kraft im International Boxing Club (IBC), einer Promotervereinigung, die das Monopol im Berufsboxen inne hatte. Man übertreibt nur wenig, wenn man sagt, dass die besten Boxer seiner Zeit Frankie Carbo gehörten.

Das gilt sogar für Genies wie Joe Louis und Sugar Ray Robinson, und erst recht gilt es für einen Jake La Motta, dessen Leben von Martin Scorsese, mit Robert de Niro in der Hauptrolle, in »Raging Bull« (1980, dt. »Wie ein wilder Stier«) verfilmt wurde. Am 12. Juli 1950 soll Frankie Carbo, so geht eine boxhistorische Legende, mit seiner immensen Menschenkenntnis in einen Mittelgewichts-WM-Kampf seines Schützlings Jake La Motta eingegriffen haben. Er hatte ihm einen Kampf gegen den italienischen Europameister Tiberio Mitri vermittelt, und alles, was über den 24-jährigen »Tiger von Triest«, so Mitris Kampfname, in Erfahrung gebracht werden konnte, war, dass der Italiener hervorragend boxe. Außerdem maß Carbo dem Fight eines Italieners gegen einen Italo-Amerikaner eine besondere Bedeutung bei. Nun ermittelte aber die US-Regierung damals gegen Carbo und seinen IBC und hatte unter anderem den New Yorker Madison Square Garden sperren lassen, denn dieser Boxtempel schien im korrupten Gewerbe kaum noch kontrollierbar zu sein.

Der Kampf Jake La Motta gegen Tiberio Mitri war aber derart wichtig, dass es Carbo und seinen Leuten gelang, ihn sowohl im Garden austragen als auch landesweit im Fernsehen zeigen zu lassen. Ein derart lukrativer Fight brachte den Geschäftsmann Carbo noch auf weitere Ideen: Mitri, der Italiener, sollte gewinnen. Es wäre dann zu einem Rematch - wieder im Garden, wieder im besten Fernsehprogramm zur besten Sendezeit - gekommen, diesen Kampf hätte La Motta gewonnen, woraufhin ein dritter, entscheidender Titelkampf zwischen beiden angesetzt worden wäre, den am Ende Carbos Mann gewonnen hätte.

Als der erste Kampf aber in die fünfte Runde ging, hatte sich der Menschenkenner Carbo sein Urteil gebildet: Tiberio Mitri war ein Loser; wenn er ihn gewinnen ließe, würde das nur seine ohnehin angegriffene Stellung im Profiboxgeschäft weiter schwächen und womöglich die Regierung zu weiteren Maßnahmen treiben. Also ließ Carbo seinem Mann La Motta mitteilen, dass er ab jetzt alles geben dürfe. La Motta prügelte daraufhin auf Mitri ein, aber Mitri verlor nur nach Punkten; er ging nie zu Boden, nicht einmal in die Seile.

Tiberio Mitri war, wie Frankie Carbo klug erkannt hatte, ein geborenener Verlierer, aber er konnte einstecken wie sonst kaum jemand. »Meine Schläge waren wie Streicheleinheiten, seine waren ein einziges Mörtelgebläse«, sagte Mitri später über La Motta. »Von diesem Kampf hat er ständig erzählt«, erinnerte sich Mitris Freund Giorgia Perecca und berichtete von Mitris Stolz, nicht zu Boden gegangen zu sein, und vom nicht verarbeiteten Ärger, diese eine Chance seines Lebens, Champion of the World zu werden, verpasst zu haben.

Kurz vor dem Kampf gegen La Motta hatte Tiberio Mitri geheiratet: Fulvia Franco, eine Miss Italia, die von einer Schauspiel-Karriere in Hollywood träumte. Sie hoffte, dass Tiberio Mitri ihr Entrée werden könnte. Während sich Mitri in den USA auf seinen großen Kampf vorbereitete, besuchte sie ihn häufig in seinem Trainingscamp und sorgte dafür, dass dies auch genügend Journalisten mitbekamen. Mitris Scheitern im Kampf gegen La Motta bedeutete auch das Scheitern ihrer großen Pläne. Sie bekam keine Hollywood-Rollen, sondern einen Job in einer Bar in Rom, die Mitri gehörte. Die Bar ging bald pleite, Fulvia ließ sich scheiden.

Sein Cousin Massimo Mitri sagt: »Die Heirat war das Desaster seines Lebens, das ihn ruinierte. Es hat ihn nicht nur den Weltmeistertitel gekostet und nicht nur viel Ruhm und viel Erfolg. Es kostete ihn auch seinen Stolz und sein Selbstvertrauen, das er doch immer gehabt hatte, bis sie ihn verließ.« Zunächst kam Mitri aber noch einmal wieder. Er boxte 1954 um den Europameisterschaftstitel, den er wegen der Aussicht auf eine Weltkarriere im Jahr 1950 aufgegeben hatte, und gewann sensationell nach nur einer halben Minute gegen den Briten Randy Turpin durch Knockout. Da hatte er wieder gezeigt, was in ihm steckte, und dass er keine Marionette der US-Mafia war.

Mitris Aufbäumen dauerte jedoch nur kurz. Wenige Monate nach seinem Titelgewinn verlor er ihn wieder, diesmal gegen den Franzosen Charles Humez, in Deutschland u.a. als Gegner von Bubi Scholz bekannt. Danach beendete Mitri seine Boxerkarriere. Er wollte Maler und Schauspieler werden. Aus der Karriere als Maler wurde von Beginn an nichts, und seine Karriere als Darsteller lief schlecht an. Er bekam u.a. eine Nebenrolle in »Ben Hur«, als badender Römer. Ein paar bessere Nebenrollen waren auch dabei, schließlich verkörperte der kräftige, blonde, blauäugige und durchtrainierte Mitri einen damals gefragten Typus.

Als ihm der Regisseur Michelangelo Antonioni die Hauptrolle in »Il Gridon« anbot, lehnte Mitri allerdings ab. Es war die Rolle eines »Cornuto«, eines Gehörnten, und sie erinnerte ihn zu sehr an sein eigenes Leben. An sein Scheitern gegen La Motta und an das Scheitern seiner Ehe. In den siebziger Jahren wurden die Rollenangebote weniger.

Aus dem Glamour-Leben, das er - ein wenig über seine Verhältnisse - geführt hatte, blieb nichts übrig. Es begannen die großen Tragödien im Leben des Tiberio Mitri. Sein Sohn Allessondro, den er aus erster Ehe mit Fulvia Franco hatte, starb 1981 an einer Überdosis Heroin. Seine Tochter Tiberia, die aus einer Liaison mit der US-Milliardärin Helen de Lys Meyer stammte, starb 1986 an Aids. Bei Mitri selbst wurden etwas später sowohl Alzheimer als auch Parkinson diagnostiziert.

Mitri fing an zu trinken und verarmte immer mehr. Seine zweite Frau Marinella Caiazzo trennte sich 1998 von ihm, denn er wurde im Suff zunehmend gewalttätig. Umgerechnet 700 Mark Rente bezog er und lebte in einer kleinen Wohnung, die Marinella Caiazzo gehörte. Ein Freund schrieb vor kurzem in einer Zeitung: »Mitri benötigte ein Netzwerk an Hilfe. Wir versuchten, es zu organisieren. Es war ein Kampf gegen die Zeit.«

Am 12. Februar dieses Jahres ging Tiberio Mitri, inzwischen 74 Jahre alt, bekleidet mit einem alten Mantel, unter dem er nur einen Schlafanzug trug, zu Fuß auf den Bahngleisen Richtung Süden. Wohin er wollte, ist unbekannt. Ein Freund vermutete, er wolle zurück in seinem Herkunftsort, weil er glaubte, man bereite ihm dort einen großen Empfang. Ein Zug kam, aber Mitri reagierte nicht auf die Alarmsignale. Er wurde überrollt. Den Polizisten, die ihn fanden, sagte der in seinen Pass eingetragene Name Tiberio Mitri nichts. Wie es Frankie Carbo analysiert hatte: Tiberio Mitri war ein Loser. Ein gestorbener Verlierer.