Genetische Erfassung beim BKA

DNA-Jäger unterwegs

Polizei und Staatsanwaltschaften haben ihre Zugriffe auf die Desoxyribonukleinsäure linker AktivistInnen im letzten Monat verstärkt. Gespeichert werden die Gendaten beim BKA in Wiesbaden.
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Etwas Schlimmeres als einen Sexualverbrecher kann man sich kaum vorstellen. Selbst im Knast gelten Vergewaltiger als Abschaum. Kein anderer Personenkreis eignet sich besser, um Emotionen aufzurühren und den so genannten Volkszorn zu wecken. Der Effekt ist eine populistische Emotionalisierung, die dafür genutzt wird, die Verschärfung polizeilicher Maßnahmen und juristischer Regelungen zu legitimieren. Genauso wie Kinderpornos im Internet - neben den Seiten von Neonazis - der Rechtfertigung staatlicher Zensur dienen, soll die Verfolgung von Vergewaltigern Strafverschärfungen rechtfertigen.

Dass Speichelproben und DNA-Analysen aber nicht nur im Falle von Sexualstraftaten zur polizeilichen Ermittlung eingesetzt werden, war von Anfang an klar. Zwar muss nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes eine Straftat »von erheblicher Bedeutung sein«, um eine DNA-Zwangsanalyse zu rechtfertigen, doch in der Praxis reicht manchmal schon ein Vollrausch. Auch der 15jährige Jürgen S. aus Erdingen (Bayern) beging offenbar eine bedeutende Straftat. Vor rund zwei Jahren nahm er auf einem Volksfest einem anderen Jugendlichen unter Androhung von Schlägen zwanzig Mark ab. Grund genug, dem inzwischen 17jährigen jungen Mann, der damals zu einem kurzen Freizeitarrest verurteilt wurde, im Nachhinein den genetischen Fingerabdruck abzunehmen.

Inzwischen wird die DNA-Analyse immer öfter auch bei der Verfolgung linker AktivistInnen eingesetzt. Im Januar wurde das ehemalige RAF-Mitglied Gisela Dutzi - zehn Jahre nach dem Ende ihrer Haftzeit und ohne jede aktuelle Begründung - von Polizisten an Händen und Füßen zur DNA-Analyse geschleift (Jungle World, 6 und 7/01), seitdem sind weiterere Fälle bekannt geworden. Sie zeigen, wie der Gen-Check nach Blut- oder Speichelabnahme allmählich zu einem grundlegenden Bestandteil polizeilicher Ermittlungen gegen Linke zu werden droht und wie versucht wird, die DNA-Datenbanken möglichst umfassend mit den Gen-Codes möglicher Staatsfeinde zu füllen.

Mitte Januar wurde die Berlinerin B. morgens vor ihrer Arbeitsstelle in Kreuzberg abgefangen. Sieben ZivilbeamtInnen des Bundeskriminalamtes (BKA) umringten sie und forderten sie auf, zur DNA-Analyse mitzukommen. Die PolizistInnen hatten einen entsprechenden Beschluss des Bundesgerichtshofes dabei, weswegen B. schließlich an ihrem Arbeitsplatz eine Speichelprobe abgab. Der 56jährigen Rechtsanwaltsgehilfin wird vorgeworfen, zusammen mit einem vietnamesischen Mann ein Gelände der Supermarktkette Spar im brandenburgischen Mittenwalde ausgespäht zu haben, auf dem im Sommer 1997 31 Lkw demoliert wurden, sechs davon durch Brandstiftung, 25 durch Zerstörung der Frontscheibe. Außerdem wurden 154 Reifen zerstochen. Die Aktionserklärung richtete sich gegen die Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Und dies scheint auch der politische Hintergrund zu sein, vor dem jetzt gegen B. ermittelt wird.

B. war im Sommer 1997 bei einer antirassistischen Kundgebung gegen die Firma Sorat kurzfristig festgenommen worden. Die Firma Sorat bereichert sich durch ihren Heimbetrieb ähnlich wie die Spar AG durch den separaten Magazinverkauf in großem Maßstab an der Flüchtlingsversorgung. Ein Jahr nach der Aktion auf dem Spar-Gelände fand bei B., die in den Akten der Staatsanwaltschaft als »Altautonome« bezeichnet wird, eine Hausdurchsuchung statt. Seitdem wird nach Paragraf 129 (Kriminelle Vereinigung) gegen sie ermittelt. Die Akten belegen, dass die Teilnahme an der Anti-Sorat-Demonstration ausreichte, den Tatverdacht zu begründen. Außerdem habe man bei der Hausdurchsuchung Schriftstücke gefunden, aus denen hervorgehe, dass sich die Beschuldigte »mit der Problematik des Asylverfahrens beschäftigt und insoweit Kontakt zu autonomen Bewegungen im Großraum Hamburg unterhält«.

Es ist nichts Neues, dass Gesinnung und vermeintliche Zugehörigkeit zu einer Szene die wichtigsten Säulen in Ermittlungsverfahren gegen Linksradikale darstellen. Doch für eine Verurteilung reichen solch dürftige Indizien wohl kaum. Deswegen hofft man, mit der DNA-Analyse ein echtes Beweismittel zu gewinnen. Im Fall Spar sei die Briefmarke mit Spucke auf die Aktionserklärung geklebt worden, weshalb man sich von der Speichelprobe Hinweise auf die TäterInnen verspreche, erklärte der entscheidende Richter am Bundesgerichtshof.

Im Grunde lassen sich an jedem Tatort Spuren finden, deren DNA-Struktur analysiert werden kann: Haare, Hautschuppen, Fingernägel, Blut, Spucke, Urin - irgendetwas gibt es immer. Die Gen-Datenbank des BKA, die jetzt schon 72 000 DNA-Proben umfasst, wird vermutlich in rasantem Tempo wachsen, auch wenn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) vom Januar Gen-Analysen vorerst nicht als Teil der normalen erkennungsdienstlichen Behandlung (Foto und Fingerabdruck) zulässig sind, sondern nur mit richterlicher Anordnung im Einzelfall. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Einzelfall in der Praxis zum Regelfall wird.

Bereits vor zwei Jahren wurden zehn jugendliche AntifaschistInnen aus Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) aufgefordert, Speichelproben abzugeben. Ihnen wurde vorgeworfen, im Mai 1998 eine Gruppe von Naziskins angegriffen zu haben. Es kam in drei Fällen zu Beugehaft und im Prozess schließlich zu Geld- und Bewährungsstrafen. Nach ihrer Verurteilung wurde im März 1999 eine richterliche Anordnung erlassen, zur Speichelprobe anzutreten. Die Anwälte legten Widerspruch ein, der im Fall der sechs minderjährigen Tatverdächtigen erfolgreich war. Die vier Erwachsenen sollen jedoch zu DNA-Tests herangezogen werden. Einer von ihnen ging nach der zweiten Vorladung zur Wache, ein anderer wurde nach der dritten Aufforderung zuhause von der Polizei aufgesucht, wo man ihm die Speichelprobe abnahm.

Ein anderer Fall wird aus Leipzig (Sachsen) berichtet. Dort waren am 20. April 2000 fünf AntifaschistInnen in ihrem Auto angehalten und festgenommen worden. Ihnen wurde vorgeworfen, nicht weit von der Stelle angetroffen worden zu sein, an der zuvor drei Nazis von Unbekannten verprügelt worden waren. Nach Verhör und erkennungsdienstlicher Behandlung baten die Polizisten die Antifas, freiwillig eine Speichelprobe abzugeben, was sie selbstverständlich ablehnten. Drei Wochen später lag eine richterliche Anordnung im Briefkasten, eine zweite Aufforderung zum Speicheltest folgte eine Woche darauf. Die fünf antifaschistischen AktivistInnen legten Widerspruch ein. Doch auch in der zweiten Instanz entschied das Landgericht, eine Speichelprobe sei rechtens. Die Betroffenen ließen nicht locker und reichten eine Beschwerde beim sächsischen Verfassungsgericht ein. Am nächsten Tag stand bei allen fünfen die Polizei vor der Tür und nahm sie zur Wache mit. Als sie sich weiterhin weigerten, Speichelproben abzugeben, wurde ein Arzt geholt, der zwangsweise eine Blutprobe abnehmen sollte. In dieser Situation spuckten die Betroffenen dann doch »freiwillig« in ein Glas.

Dass jemand zum Speicheltest vorgeladen wird, ist aber immer noch die Ausnahme. Oft genug stehen die DNA-Jäger der Polizei vor der Haustür. In einem Leipziger Fall, bei dem es um die Krawalle am Connewitzer Kreuz im Herbst 1999 ging, wurde ein junger Antifaschist aus Berlin ohne jede Vorwarnung zum Speicheltest abgeholt. Durch den DNA-Test will man ihm nachweisen, in einem Auto gesessen zu haben, das am Connewitzer Tatort gesehen worden war. Das Auto war später auf einem Schrottplatz gefunden worden. Fingerabdrücke, die man darin sicherstellte, führten zu dem Berliner Antifaschisten und drei weiteren Personen. Doch selbst wenn bewiesen werden könnte, dass diese Personen irgendwann einmal in jenem Wagen gesessen haben, sagt dies natürlich nichts darüber aus, ob sie an den Connewitzer Krawallen beteiligt waren, wofür es ansonsten offenbar keinerlei Beweise gibt. Dennoch reichte selbst diese vage Konstruktion für einen richterlichen Erlass zum DNA-Test aus.

Auch im erwähnten Fall der Rechtsanwaltsgehilfin B., die seit 25 Jahren in derselben Wohnung wohnt, fest angestellt und Großmutter ist, verzichteten die Ermittler auf eine Vorladung und entschieden sich für den Spontanbesuch vor der Arbeitsstelle. Die Begründung des Bundesgerichtshofes klingt plausibel und zeigt die zielsichere Logik staatlicher Repression: Man habe davon ausgehen können, dass B. sowieso nicht freiwillig auf der Wache erschienen wäre.