Multimedia-Ausstellungen

Vermesse dich selbst

Multimedia-Ausstellungen wie im Science Center Bremen liefern das Selbstbild der Erlebnissubjekte in Zeiten ihrer allseitigen Konkurrenz.

Am Anfang macht man sich klein und duckt sich in eine begehbare Gebärmutter. In einem schwarz ausgekleideten Gewölbe laden gut gepolsterte Nischen und Ecken zum Verweilen ein. In den Mutterkuchen eingelassene Bildschirme zeigen echte Embryos in verschiedenen Stadien ihrer Menschwerdung, glucksendes Fruchtwasser inklusive.

So beginnt für die BesucherInnen die »Expedition Mensch«, einer von drei Teilen des »Universum Science Center«, das als Dauerausstellung seit Oktober letzten Jahres in Bremen zu besichtigen ist. Es ist untergebracht in einem markanten walförmigen Bau am Rande des Uni-Campus. An der Realisation sind in »Public-Private-Partnership« die Stadt Bremen, die Universität und eine private Betreibergesellschaft beteiligt.

Das Science Center gehört zu einer weltweit verbreiteten Spezies von Ausstellungen, der populären Kreuzung von Unterhaltung und (Natur-) Wissenschaft. Hier sollen die großen Fragen der Forschung ganz anders, nämlich modern und durch neueste Techniken, also interaktiv und multimedial verhandelt werden. An den einzelnen Stationen können nun Knöpfe gedrückt, Hebel und Kurbeln betätigt oder allerhand Links angeklickt werden. Die Gesetze des Lebens sollen mit der Erfahrungswelt kurzgeschlossen und so eindringlicher vermittelt werden.

Die Bremer Variante dieses Formats steht beispielhaft für eine Entwicklung des Musealen, das neuere gesellschaftliche Entwicklungen spiegelt bzw. sich deren Anforderungen verdankt. Die Expo 2000 präsentierte im Themenpark »Mensch« ein ähnliches Sujet und bediente sich vergleichbarer Vermittlungsstrategien, ebenso die Berliner Großausstellung »Sieben Hügel«. Immer wird ein ganzes Universum, eine Weltausstellung oder ein »neues virtuelles Rom« - bestehend aus sieben Hügeln - aufgespannt, der Anspruch auf eine umfassende Weltdeutung erhoben. Immer spielt der Mensch selbst dabei eine zentrale Rolle.

Die »Expedition Mensch« zeichnet sich vor den anderen beiden Teilen der Bremer Ausstellung dadurch aus, dass es hier um Sie und mich geht, um die BesucherInnen selbst. Wir können also eine Selbsterfahrung machen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Sinne, vom Gleichgewicht bis zum Geruch werden sie der Reihe nach und säuberlich getrennt durchexerziert. Dann widmet sich der Parcours den höheren Fähigkeiten des Menschen, seinem Handeln und Denken in der Zeit. Immer geht es um die basalen Fertigkeiten und Dimensionen des Menschlichen, die angeblichen Grundlagen seiner inneren Natur. Die Mimik, behauptet beispielsweise die Ausstellung, sei »angeboren und universell«.

Der Mensch kann hier herausfinden, was das denn genau ist, ein Mensch. Es handelt sich also um Selbstversuchsanordnungen, die es ermöglichen sollen, mit Hilfe der Wissenschaft erst richtig zu sehen, was für einer man ist. Das Besondere daran ist, dass die BesucherInnen dieses Bild durch ihre Aktivitäten selbst erschaffen. Die Etappen beschränken sich nicht darauf, das Sehen oder Riechen des Menschen schlechthin zur Darstellung zu bringen, immer wird der Besucher als Gegenstand in die Konstruktion der Experimente eingebaut. Ich erfahre nicht, was das Riechen ist oder wie es funktioniert, sondern was meine Nase so alles kann. Wir sind Versuchsleiter und -gegenstand in einem.

Die Kategorien und Verfahren werden dabei von den Apparaturen vorgegeben. Es sind jeweils keine anderen Tätigkeiten und Bewegungen, also auch keine anderen Erfahrungen als die vorgegebenen möglich. Die Struktur, in der ich mich selbst denken soll, ist bereits vor mir da.

»Wer bist Du?« fragt uns die Ausstellung nach Verlassen der Gebärmutter und gibt gleich selbst die Antwort: »Einmalig, einzigartig, unwiederholbar. Ein Mensch.« Einmalig soll das Subjekt also sein, das in diesem Rundgang entworfen wird. Die Kategorien fragen dabei nach Quantifizierbarem. Modern gesprochen sind sie digital, nicht mehr analog mit all dem Rauschen und Flimmern. Um sich selbst zu erkennen, wird hier gelehrt, muss man sich selbst allseitig vermessen. Die Fähigkeit, auf einer Wippe zu balancieren, lässt sich sofort, in Sekunden gemessen, auf einem Display ablesen. Sinnlos aneinandergereihte Begriffe können sich einige schlechter als andere merken, und der Computer kann auch gleich sagen, wie schlecht oder gut man ist.

Was in diesem Entwurf strukturell verunmöglicht wird, ist das qualitativ Andere. Tatsächlich kann niemand mehr »unvergleichlich, einzigartig« sein. Ein wirklich Fremder kann mir in dieser Welt nicht mehr begegnen. Gefährliche und faszinierende Expeditionen in dunkle Kontinente sind nicht mehr möglich und nicht mehr nötig.

So sind zwar alle anders, aber alle vergleichbar. Jeder hat vielleicht eine andere Reaktionszeit, aber die ist auf jeden Fall Bestandteil seiner biologischen Bestimmung. Sie ist so gestrickt, dass sich immer ein Mehr-oder-Weniger zwischen zwei Kandidaten möglichst bis zu drei Stellen hinter dem Komma angeben lässt. So entsteht ein Profil der Persönlichkeit, das sich, hielte man es fest, wie der Bilanzbericht einer Aktiengesellschaft lesen würde. Und aus dem lässt sich bekanntlich auch der Börsenwert des Unternehmens ermitteln. Genauso nun also der Wert der Subjekte.

Das Subjekt soll sich neuerdings selbst - nicht mehr nur seine Arbeitskraft - als einen individuellen »Standort« begreifen und entsprechend vermarkten. Seine Eigenschaften bilden quasi seine Infrastruktur. Die postulierte »Einzigartigkeit« des Menschen erweist sich als einer seiner Werte. »Hurra!«, könnte der Besucher nach den Anpreisungen des Menschen-an-sich rufen, »so einen will ich haben.« Er zeigte sich dann überzeugt von der angepriesenen Ware, der »fantastischen Koordinationsfähigkeit des menschlichen Körpers«. Ausstellungen dieser Art üben einen den sozialen Verhältnissen adäquaten Blick auf die eigene Person ein. Sie produzieren das den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen adäquate Bewusstsein.

Erstmal scheint aber das »vermessene« Subjekt zu den neuesten Zumutungen gar nicht mehr zu passen. Ist der Erfolg nicht heutzutage eher durch »Flexibilität« erreichbar als durch spezifische Qualifikationen? Werden im Arbeitsleben nicht Eignungstests eingestampft und Assessment-Center gegründet? Auch im privaten Bereich gilt, dass der gefragte Typ vor allem erlebnis- und beziehungsfähig zu sein hat.

Und dazu passen die Spielchen im Science Center dann doch wieder ganz gut. Hier werden schließlich vor allem die Fähigkeiten zur sinnlichen Wahrnehmung trainiert. Vermessen wird also immer noch, nur etwas anderes. Es geht um die basalen Fähigkeiten, die für das Erlebnissubjekt benötigt werden und die oft überhaupt erstmal als bedeutsam ins Spiel gebracht werden müssen. Ständig erinnert einen die Ausstellung daran, was der Körper alles kann, ohne dass es uns bisher bewusst war. Der Mensch muss in der Lage sein, einen »Erlebniswert« zu produzieren, auch und gerade in belanglosen Situationen. In der Ausstellung ist zu beobachten, dass Besuchergruppen an simpelsten Vorgängen einen Heidenspaß haben. Sie stehen Modell für ein Subjekt, das aus einer Ware noch einen zusätzlichen Erlebnis-Mehrwert herausholen kann. Und am besten natürlich aus sich selbst.

Sprache, insbesondere in schriftlicher Form, kommt in der Ausstellung sehr knapp daher. »Klang ist Bewegung« oder »Bewegung ist Rhythmus«, erfahren wir, zudem »ist« »Rhythmus« »Bewegung«, und - das überrascht jetzt schon nicht mehr - »Bewegung ist Leben«. Mithilfe der einfachsten logischen Operation, der schlichten Gleichsetzung großer Begriffe, werden weite Räume aufgemacht. Der Aussagegehalt solcher Formeln geht gegen Null, sie vermitteln eher eine diffus-pathetische Affektion, die lediglich weiß, dass hier etwas ganz Großes gemeint ist. Im religiösen Duktus werden die Grundpfeiler des Weltzusammenhangs postuliert.

Bekannter sind heute solche »Plastikwörter« aus der Werbung, wo Freiheit, Bewegung und Leben mit smarten Automobilen identifiziert werden sollen. Das könnte dann fast schon Hoffnung machen: Immerhin hat die hier entworfene Welt noch nicht jeder zu Hause, noch nicht jede das zeitgemäße Selbstbewusstsein verinnerlicht, sodass für sie immer noch Werbung gemacht werden muss.