Krise auf dem Balkan

Belgrader Friedenstauben

Die klammheimliche Freude, die viele Serben in den letzten Tagen beschlichen hat, kann man ihnen kaum verdenken. Zehn Jahre nach den ersten Massenprotesten gegen Slobodan Milosevic und ein halbes Jahr nach seinem Sturz könnte sich der einstige Staats- und Parteichef schon bald in einer Gefängniszelle wiederfinden. Offen ist wohl nur noch, ob sie im Knast von Den Haag oder im Belgrader Zentralgefängnis liegen wird.

Auch Vojislav Kostunica hat seit dem Wochenende nichts mehr gegen eine Verhaftung Milosevics einzuwenden. Der Mann, der im Herbst den Job an der Spitze der jugoslawischen Teilrepubliken Serbien und Montenegro übernahm, scheint dem Druck aus Brüssel und Washington nicht länger gewachsen. Die USA drohen mit der Einstellung ihrer Finanzhilfen, sollte Belgrad Milosevic nicht an das Uno-Kriegsverbrechertribunal ausliefern, der EU-Balkankoordinator Bodo Hombach mit der bevorzugten Behandlung anderer Staaten Südosteuropas.

Doch das Zugeständnis des Präsidenten in Belgrad bedeutet keine Kapitulation. Fünf Jahre nach dem Ende des Bosnien-Krieges und kurz vor dem zweiten Jahrestag des Kriegbeginns im Kosovo ist die so genannte internationale Gemeinschaft auf eine starke jugoslawische Führung dringender angewiesen denn je. Denn nicht nur in Südserbien haben die militärischen und administrativen Kräfte des internationalen Protektorats die explosive Lage kaum noch im Griff, auch in Bosnien-Herzegowina scheint die Pax Nato an ihren völkischen Gegnern zu zerbrechen.

Nichts Geringeres als das Ende der Friedensordnung von Dayton müssen Uno und Nato daher befürchten, seitdem die bosnischen Kroaten mit ihrem Ausstieg aus der muslimisch-kroatischen Föderation am Wochende ihre Absicht kundtaten, den bosnischen Staat zu sprengen. Ganz ungeachtet seiner neoimperialistischen Implikationen stand das 1995 in Dayton ausgehandelte Staatskonstrukt - neben zwei Vertretern der Föderation entsendet die serbische Republika Srpska einen Repräsentanten in das gemeinsame Staatspräsidium - von Beginn an in Frage: Erst nach fast vier Jahren Krieg ließen sich die Präsidenten Serbiens, Kroatiens und Bosniens widerwillig auf einen Friedensschluss ein.

Dass am Ende auch die Anführer der bosnischen Serben ihre Autogramme unter den Vertrag setzten, war nur der Hartnäckigkeit Milosevics zu verdanken. Während Kroatiens Präsident Franjo Tudjman die sezessionistischen Kräfte in der Herzegowina weiter förderte, avancierte der serbische Präsident in der Folge zum obersten Garanten der fragilen Nachkriegsordnung auf dem Balkan.

Erst mit dem bombigen Abbruch der Beziehungen durch die Nato im März 1999 wurde der Posten des regionalen Statthalters vakant, reserviert hielt der Westen ihn zunächst für Tudjmans Nachfolger in Zagreb, Stipe Mesic. Der aber steht seit seiner Wahl vor einem Jahr unter dem Dauerbeschuss der extremen Rechten. Erst letzten Monat demonstrierten Zehntausende Kriegsveteranen, darunter viele Anhänger der von Tudjman gegründeten Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), gegen die Anklage des Kriegsgenerals Mirko Norac. Dass am Wochenende ausgerechnet der bosnische Ableger der HDZ die Zusammenarbeit mit Muslimen und Serben aufkündigte, spricht ebenfalls gegen Mesic als verlässlichen Garanten der Stabilität in der Region.

So findet sich Kostunica ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt in einer ähnlichen Lage wieder wie Milosevic vor dem Kosovo-Krieg. Auch wenn ihn wegen seiner antiwestlichen Haltung in Brüssel und Washington keiner wirklich mag, kommen die Protektoratsmächte mangels Alternativen an ihm nicht vorbei. Darüber hinaus kann Kostunica auf einen entscheidenden Vorzug gegenüber seinen an Stabilität so interessierten Verhandlungspartnern verweisen: Im Gegensatz zu ihnen hat er keinen Krieg geführt.