Leander Scholz' »Rosenfest«

Die Gudrun und der Andreas

Leander Scholz' »Rosenfest« erzählt die Liebesgeschichte von Baader und Ensslin mit Zeitkolorit und ohne historischen Kontext.

Man kann die staatstragende Auseinandersetzung mit der 68er-Revolte und ihrer eindringlichsten Konsequenz, dem bewaffneten Widerstand, in eine Außen- und eine Innenperspektive unterteilen.

Die Außenperspektive hält sich die RAF und ihre Geschichtsmacht vom Leib. Sie ordnet die damaligen Diskurse und ihre Konsequenzen in einer Flut von Details und Daten; das schönste Beispiel dafür ist sicherlich Wolfgang Kraushaars gigantomanisch-akribische Chronik »Frankfurter Schule und Studentenbewegung«. Oder sie schließt die Protagonisten aus dem rationalen Diskurs aus. Die Beweggründe, warum linke Studenten wie Gudrun Ensslin oder Dropouts wie Andreas Baader sich dazu entschlossen, eine klandestine Kaderorganisation aufzubauen, werden nicht im politischen Raum verortet, sondern bloß auf einem grobschlächtig psychologischen Level.

Man kennt das ja: Total sensible Intellektuelle und perspektivlose Aussteiger verfallen dem Reiz der Gewalt und werden Terroristen. Nein, wie schrecklich. Die Innenperspektive integriert '68 und seine gewalttätigen Folgen in die Erfolgsgeschichte der Zivilgesellschaft der BRD. Sie wird von den Gewinnern des Marsches durch die Institutionen, den Fischers dieser Republik, durchexerziert: Wir distanzieren uns, aber ohne das, was wir damals getan und gelebt haben, wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.

»Rosenfest«, der Romanerstling des 31jährigen Kölner Autors Leander Scholz, der die Liebesgeschichte von Andreas Baader und Gudrun Ensslin erzählt, kümmert sich nicht um diese Dichotomie. Die Distanz einer Generation, die die RAF nur vom Hörensagen kennt, ermöglicht es ihm, auf Vulgärpsychologie und Integrationsgeschichte, die immer auch politisch stigmatisierend und kanonisierend wirken, zu verzichten. Weil Scholz als Nachgeborener ohnehin eine Außenperspektive einnimmt, sich die RAF also nicht vom Leib halten muss, kann er die Innenperspektive imaginieren.

Das drückt sich unmittelbar in der Romanstruktur aus. Er bestimmt die Genese der RAF aus der Dynamik der Beziehung von Baader und Ensslin. Die Geschichte enthält sich einer tragischen Komponente, ist eher süß und kitschig, weil sie als Liebesgeschichte vor Klischees nicht gefeit ist. Zwei komplizierte Menschen nähern sich, stoßen sich wieder voneinander ab und können doch nicht ohne einander auskommen. Ab und zu ein Flashback, der von Andreas' Jugend als Stricher handelt. Aber immerhin: Auf Seite 206 gibt es ein richtiges Happy End, Andreas und Gudrun - die Protagonisten werden ausschließlich beim Vornamen genannt - haben erfolgreich eine kleine Beziehungskrise gemeistert. Der Roman geht aber 40 Seiten weiter, schließlich müssen die beiden noch verhaftet werden.

Hielte man sich nur an die Fakten, dann spielte »Rosenfest« ziemlich genau zwischen dem 2. Juni 1967, als Benno Ohnesorg auf der Anti-Schah-Demo von einem Polizisten ermordet wurde, und dem 1. Juni 1972, dem Tag der Festnahme von Baader. Aber um Fakten geht es Scholz gerade nicht, die meisten werden verdreht oder weggelassen. Bei Scholz flüchten Baader und Ensslin nach ihrem legendären Anschlag auf ein Frankfurter Kaufhaus (5. April 1968) nach Paris. Tatsächlich wurden sie bereits am Tag nach dem Anschlag verhaftet und tauchten erst im Herbst 1969 in Frankreich unter, während der Aussetzung ihrer Strafe wegen Brandstiftung, unmittelbar nach Ablehnung ihrer Anträge auf Revision. Dass Scholz sich bewusst nicht an die Fakten hält, sondern konsequent fiktionalisiert, stört nicht weiter, wir reden hier schließlich von Literatur.

Ein schlechter Beigeschmack jedoch bleibt. Und es bestätigt sich: Mit der Ignoranz gegenüber den historischen Fakten geht die fast vollständige Ausblendung des politisch-biografischen Kontextes einher. Die Geschichte dreht sich obsessiv um Andreas und Gudrun. Und um Georg, den offensichtlich frei erfundenen Verlobten Gudruns, sowie um die ebenfalls imaginierte Peggy, Georgs Schwester. Wobei Georgs und Peggys Auftreten und Handeln bloß das katalysierende Moment für die rasante Beziehung Baaders und Ensslins abgeben. Der SDS, die damalige politische Ausnahmesituation, die selbstverständlichen Diskussionen über die Anwendung revolutionärer Gewalt, der alltägliche Bullen-, Kleinbürger- und Bildzeitungsterror kommen nur als groteske Karikaturen vor, als Schemen und Staffage. Eigentlich ist »Rosenfest« ein psychologisches Kammerspiel, jedes Kapitel beleuchtet einen Aspekt der aufkeimenden, mal verzweifelten, mal verrückten, mal zärtlichen Liebe. Für sich gesehen funktioniert das ganz gut; wer es ein bisschen holzschnittartig mag, kann sich sogar darin wiedererkennen. Tja, so ist das, wenn man verliebt ist.

Die Einfärbung des literarischen Materials mit Zeitkolorit - das Attentat auf Rudi Dutschke, der Adorno-Schüler Hans-Jürgen Krahl oder der Polizeispitzel Peter Umbach huschen vorbei - wirkt in diesem Zusammenhang maniriert-surreal. Manchmal denkt man, dass »Rosenfest« eine hübsche Grundlage für einen Film von Oliver Stone abgäbe, Natural Born Left-Wing Terrorists. Mit der Logik nimmt es Scholz nicht so genau, dafür sind die Bilder schön grell. The world according to Gudrun Ensslin - was macht ihn da eigentlich so sicher?

Das Blöde ist nur: Es funktioniert nun mal nicht ohne Politik. Die Geschichte der RAF ist nicht die eines Paares, das aus der Radikalität und Bedingungslosigkeit der gegenseitigen Liebe einen bedingungslosen Umgang mit der einengenden Wirklichkeit abgeleitet hat. Vielleicht ist es eine ganz lakonische Geschichte: »Wer mit uns übereinstimmt, dass die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft nur möglich ist, wenn die Macht des Kapitals gebrochen wird, kann nicht mehr der Frage ausweichen, wie diese Macht konkret zerstört werden kann. Das ist die entscheidende Frage.« So jedenfalls formulierte es das »Kollektiv Rote Armee Fraktion« in einer Erklärung vom Mai 1971. Und Wolfgang Pohrt bestimmte 1983 in seinem Aufruf zur Amnestiekampagne die RAF als diejenigen, »die damals den Protest aller gegen den Vietnamkrieg etwas zu wörtlich genommen haben, also so, wie er gemeint war«. Mehr muss man eigentlich nicht sagen.

Da diese politische Klarheit in Scholz' Erzählung fehlt, reproduziert sie letzlich nur das psychologisierende Raster, mit dessen Hilfe linke Militanz in Deutschland rezipiert wird. Auch wenn das Raster bei Scholz feiner und schöner ausgedacht ist. Die Anmaßung der jüngeren Generation, sich die Geschichte anzueignen - gerade auch gegen die übermächtigen 68er-Diskurse - und die Gespenster der RAF zu entdämonisieren, ist legitim. Allein, zu einem Zeitpunkt, wo diese Aneignung nicht länger mit einer politischen Emanzipationsbewegung verkoppelt ist und es auch gar nicht sein will, bleibt sie im Juste Milieu stecken und wird selber zum Klischee.

Leander Scholz: Rosenfest. Hanser Verlag, München 2001, 246 S., DM 38