Neue Regierung in Israel

Nichts ist unmöglich

Während Ministerpräsident Sharon nach zähen Verhandlungen eine Koalitionsregierung gebildet hat, steht die Autonomieverwaltung in den Palästinensergebieten vor dem Zusammenbruch.

Dass es nicht einfach werden würde, unter den gegebenen Umständen eine Regierung zusammenzubringen, dürfte dem designierten israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon von Anfang an klar gewesen sein. Mehrmals scheiterten die zähen Verhandlungen, erst knapp vier Wochen nach den Wahlen in Israel gelang es ihm, eine Mehrheit der Knesset-Abgeordneten für seine Koalitionsregierung zu gewinnen. Einige strittige Punkte müssen noch verhandelt werden, doch nach der Koalitionszusage der Shas-Partei am 4. März wird in Israel allgemein erwartet, dass Sharon, wie geplant, am Mittwoch dieser Woche sein Kabinett vorstellen kann.

Den ersten schweren Rückschlag hatte Sharon erlitten, als der scheidende Ministerpräsident Ehud Barak Anfang Februar seinen Abschied von der Politik erklärte. Als danach in der Arbeitspartei die Befürworter einer großen Koalition trotzdem die Oberhand behielten, fingen die rechten Kleinparteien an, Schwierigkeiten zu machen. Nicht nur, weil sie unverhältnismäßig viele Kabinettsposten verlangten und israelische Kommentatoren bereits witzelten, dass in Sharons Regierung die halbe Knesset sitzen werde. Ihre weitgehenden Forderungen drohten außerdem, die Handlungsfreiheit des neuen Regierungschefs extrem einzuschränken. Schließlich brach zwischen der orthodoxen Shas-Partei und Israel b'Aliyah, der Partei der russischen Einwanderer, auch noch ein Streit um den Posten des Innenministers aus.

Aber am vergangenen Donnerstag schien Sharon dann eine Koalition aus drei Parteien beisammen zu haben, bestehend aus dem Likud, der Arbeitspartei und der Shas. Mit den beiden früheren Zentrumsabgeordneten Roni Milo und Dan Meridor hätte Sharon eine Mehrheit von 64 der 120 Parlamentarier hinter sich gebraucht. Die Arbeitspartei hatte acht Ministerposten für sich herausgehandelt, darunter das Außenministerium für Shimon Peres sowie das Verteidigungsministerium. Insbesondere der Kampf um dieses Ressort ließ die Sitzung des Zentralkomitees der Partei am Freitag noch einmal spannend werden.

Zur Wahl standen die bisherigen Minister Benyamin Ben-Eliezer, Ephraim Sneh und Matan Vilnai. Zugleich sollte auch eine Vorentscheidung über die künftige Führung der Arbeitspartei fallen und damit über den nächsten Kandidaten für die Ministerpräsidentschaft. Dass Ben-Eliezer das Rennen machte, gab ihm einen klaren Vorteil gegenüber seinen Hauptkonkurrenten, dem Parlamentspräsidenten Avraham Burg, dem Abgeordneten Haim Ramon sowie dem noch amtierenden Außenminister Shlomo Ben-Ami.

Ben-Eliezer gilt innerhalb der Arbeitspartei als exponierter Kritiker des Friedensprozesses, er drängte Barak immer wieder zu einer härteren Haltung gegenüber den Palästinensern. Kein Wunder also, dass Sharon mit der Wahl zufrieden ist. Hingegen kann sich kaum jemand in der israelischen Linken Ben-Eliezer als den neuen Führer des »peace camp« vorstellen. Gleichwohl scheint die Konkurrenz innerhalb der Arbeitspartei nicht sehr gefährlich zu sein, und auch die Drohungen von Justizminister Yossi Beilin, zusammen mit anderen Vertretern des »peace camp« die Partei zu verlassen, verpufften ohne Folgen.

Weniger die Arbeitspartei als einmal mehr die Shas war es also, die Sharon bei seiner Regierungsbildung Schwierigkeiten machte. Man stritt sich um Ministerposten, aber auch über die traditionellen Forderungen der Partei, die im vorigen Jahr wesentlich dazu beitrugen, die Regierung Barak zu stürzen. Shas will die Legalisierung ihrer Radiostationen ebenso durchsetzen wie die Verschiebung der vom Likud und von der Arbeitspartei für das kommende Jahr geplanten Wahlrechtsreform auf das Jahr 2007. Mit dieser Reform soll die Direktwahl des Ministerpräsidenten abgeschafft werden, eine Regelung, die den kleineren Parteien einen unverhältnismäßigen Einfluss garantiert.

Die Wahlrechtsreform ist noch umstritten, dennoch entschloss sich die Shas-Partei am vergangenen Sonntag zur Regierungsbeteiligung. Shas erhält fünf Ministerposten, unter anderem das Innen- und das Religionsministerium. Obwohl auch die rechtsextreme Israel Beitenu in die Regierung eintreten wird, was von der Arbeitspartei immer für unannehmbar erklärt wurde, gilt als ausgeschlossen, dass diese noch einmal einen Rückzieher macht. So wird Shimon Peres wohl zum dritten Mal in seiner politischen Laufbahn ins Jerusalemer Außenministerium einziehen können.

Ob Peres unter einem Ministerpräsidenten Sharon seine Vorstellungen von einem Friedensprozess verwirklichen kann, ist allerdings fraglich. Der Posten des Außenministers bietet ihm dafür jedoch weitaus bessere Möglichkeiten als der des Verteidigungsministers, den Sharon ursprünglich für ihn vorgesehen hatte. Zudem kommt Peres so aus der Schusslinie der Siedler, die ihn als Verteidigungsminister für ihre prekäre Sicherheitslage hätten verantwortlich machen können. Sharon hat er immerhin das Versprechen abgerungen, keine weiteren Siedlungen bauen zu lassen und die Bemühungen um ein neues Interimsabkommen wieder aufzunehmen. Als Außenminister wird er jedoch vor allem auf die USA Rücksicht nehmen müssen. Akiva Eldar charakterisierte Peres' Kalkül in der Zeitung Ha'aretz unlängst so: »US-Interessen im Golf werden Sharon bald vor die Wahl stellen zwischen einem Händedruck mit Arafat und einer Ohrfeige der Amerikaner.«

Neben vertrauensbildenden Maßnahmen und Bemühungen um ein Ende der Gewalt steht die Verbesserung der katastrophalen ökonomischen Verhältnisse in den palästinensischen Gebieten auf Peres' Friedensplan. Im Laufe der Intifada hat die palästinensische Ökonomie einen Schaden von über einer Milliarde Mark erlitten. Fast die Hälfte aller Palästinenser ist derzeit arbeitslos. Zu dieser Krise haben nicht nur die wiederholten Abriegelungen der Palästinensergebiete durch die israelische Armee beigetragen, sondern auch die Tatsache, dass durch den Aufstand Geschäftstätigkeit und Tourismus praktisch zum Erliegen gekommen sind. Außerdem haben die arabischen Staaten ihre bereits zugesagte Wirtschaftshilfe weitgehend zurückgehalten - wohl vor allem deshalb, weil sie fürchten, diese Gelder könnten in den Taschen der korrupten palästinensischen Beamten verschwinden. Inzwischen hat auch die EU angekündigt, ihre Hilfsleistungen nur dann fortzusetzen, wenn sie von den Vereinigten Staaten und den arabischen Ländern unterstützt wird.

Nach einem Bericht der Vereinten Nationen steht der ökonomische Kollaps der Autonomieverwaltung innerhalb des nächsten Monats bevor. Die Folge wäre auch ein politischer Zusammenbruch. Bereits jetzt ist die Verwaltung teilweise arbeitsunfähig und kann die Gehälter ihrer Angestellten, einschließlich der palästinensischen Polizeikräfte, nicht mehr zahlen. Die Autorität Arafats innerhalb der PLO ist deutlich geschrumpft, sodass er beispielsweise sein Verbot, aus den Zonen der vollen Selbstverwaltung auf israelische Ortschaften oder Einheiten zu schießen, gegenüber den regionalen Kommandanten nicht mehr durchsetzen kann. Nach Angaben der israelischen Armee haben in weiten Teilen der Westbank aus den Tansim-Milizen hervorgegangene bewaffnete Gangs faktisch die Macht übernommen. Sie bekämpfen sich zum Teil untereinander, sind aber auch für die Übergriffe auf israelische Siedler und Soldaten verantwortlich.

Inzwischen hat auch die Intensität des palästinensischen Terrors innerhalb Israels zugenommen. Letzte Woche konnte ein Bombenattentat im Zentrum von Tel Aviv gerade noch verhindert werden. Derselbe Attentäter schaffte es zwei Tage später, ein Taxi in Nordisrael in die Luft zu sprengen und dabei einen Menschen zu töten und etliche andere zu verletzen. Am Sonntagmorgen schließlich explodierte im Zentrum von Netanya eine Bombe, die den Attentäter und drei weitere Menschen tötete. Für die Vorwürfe des israelischen Generalstabschefs Shaul Mofatz, dass hinter den Anschlägen Arafat persönlich stecke, gibt es bislang keine Beweise. Fest steht hingegen, dass ein Zusammenbruch der palästinensischen Autonomiebehörde nicht im Interesse Israels sein kann. Ein solcher Kollaps würde die Initiative ganz den terroristischen Gangs überlassen und weitaus mehr israelische Opfer fordern als bisher.