Ulla Jelpke, PDS-Abgeordnete

»Halabja war Völkermord«

Vor 13 Jahren bombardierten irakische Kampfflugzeuge auf Anordnung Saddam Husseins die kurdische Stadt Halabja mit Giftgas. 5 000 Menschen starben, mehr als 10 000 wurden schwer verletzt. Am Freitag, dem Jahrestag des Angriffs, wird sich der Bundestag auf Antrag der PDS-Fraktion mit der Vernichtungsaktion beschäftigen. Ulla Jelpke, PDS-Abgeordnete und Mitautorin des Antrags, hat Anfang des Jahres die kurdische Autonomieregion im Nordirak besucht. Die 49jährige Hamburgerin ist seit 1990 innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und beschäftigt sich seit Jahren mit der Situation in Kurdistan.

Warum sind Sie als Bundestagsabgeordnete ausgerechnet in den Nordirak gefahren?

Der Nordirak ist eine von der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Krisenregion, in der zwischen sechs und acht Millionen Menschen unter schwierigsten Bedingungen leben. Bis 1992 führte Saddam Hussein dort Krieg gegen die Kurden. Seitdem ist die Region Schauplatz militärischer Angriffe der Türkei, weil die PKK dort ihre Rückzugsgebiete hat. Hinzu kommen innerkurdische kriegerische Konflikte.

Als innenpolitische Sprecherin der einzigen linken Oppositionsfraktion war es für mich wichtig, Lebensverhältnisse und Fluchtgründe der Menschen im Nordirak kennen zu lernen. Bekanntlich stellen Iraker nach Jugoslawen die zweitgrößte Gruppe der Asylbewerber in Deutschland dar. Die allermeisten von ihnen sind kurdischer Herkunft. Ihre Asylanträge werden zumeist mit Verweis auf die innerirakische Fluchtalternative Nordirak abgelehnt.

Wie sind Sie in eine Region gelangt, die man offiziell gar nicht erreichen darf?

Eine Einreise über den Irak kam wegen des Uno-Embargos gegen Saddam Hussein von vornherein nicht infrage. Ich bin deshalb nach Syrien geflogen und habe die Grenze nach Kurdistan halblegal überquert. Auf der anderen Seite des Tigris wurde ich vom Gouverneur des Distriktes Dohuk als Abgeordnete des Deutschen Bundestages offiziell empfangen. Diese Provinz wird von der kurdischen Partei KDP regiert. An der Grenze zu dem von der kurdischen Partei Puk beherrschten Gebiet wurde ich dem Konfliktpartner diplomatisch übergeben.

Hat die Uno es denn geschafft, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren in irgendeiner Weise zu verbessern?

Nein, und das, obwohl neben der Uno etliche andere Nichtregierungsorganisationen Hilfe leisten. Von einer eigenständigen Wirtschaft kann man wegen des permanenten Kriegszustandes nicht sprechen. Die Uno-Sanktionen gegen Saddam Hussein garantieren den Kurden in dem völkerrechtlich umstrittenen Gebilde Nordirak die Zolleinnahmen an der irakisch-türkischen Grenze sowie 13 Prozent der Erlöse aus dem Erdölverkauf Iraks. Von der Uno unterstützte Organisationen sorgen dafür, dass davon die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Baumaterial versorgt wird. Ausgeschlossen davon sind allerdings die Deportierten aus dem Süden Iraks. Lebensmittelkarten erhält nur, wer schon immer seinen Lebensmittelpunkt im Nordirak hatte.

Trifft das auf die kurdische Bevölkerung im Norden des Iraks nicht zu?

Schon vor Jahren begann Saddam damit, diejenigen Kurden aus seinem Einflussgebiet, die sich nicht arabisieren lassen wollten, zwangsweise in den Norden umsiedeln zu lassen. Davon betroffen sind auch deren arabische Familienangehörige. Die Leute werden vorher enteignet und dürfen lediglich Handgepäck mitnehmen. Ich habe bei einer Frau ein amtliches Schreiben gesehen, wonach sie sich ohne ihr Hab und Gut zur Deportation einfinden sollte.

Somit leben im Nordirak mehrere Hunderttausend Menschen in Armutslagern und haben keine andere Lebensgrundlage als das Betteln. Ich habe Kinder mit steif gefrorenen Gliedmaßen gesehen, weil sie barfuß oder lediglich mit einer Tüte an den Füßen durch den Schnee liefen. Als Behausungen dienen Hütten aus Plastik und Karton, die bei Wind einfach umfallen.

Warum erhalten diese umgesiedelten Menschen keine Lebensmittelkarten?

Die Hilfsorganisationen, die von der Uno bezahlt werden, haben den politischen Willen, aber die Mittel sind begrenzt. Und die bürokratischen Bestimmungen sind anders als der Wille der Helfer vor Ort.

Türkische Truppen sind immer wieder in den Nordirak einmarschiert. Experten fürchten, dass es schon bald zu einer militärischen Eskalation in der Region kommen könnte. Welche Anzeichen gibt es dafür?

Die Türkei hat für das Frühjahr eine neue Offensive gegen die PKK angekündigt. Die Nato toleriert ohnehin bereits, dass das türkische Militär zum Zweck der Terrorismusbekämpfung 30 Kilometer weit in den Irak eindringt. Türkische Soldaten sind in der Vergangenheit aber bereits mehr als 100 Kilometer weit vorgedrungen, ohne dass es eine Verurteilung gab. Von diesen Militäraktionen ist die Zivilbevölkerung betroffen. Meine Gesprächspartner konnten nicht verstehen, warum die Bundesregierung zu diesem Vorgehen eines Nato-Staates schweigt.

Außerdem sehe ich die Gefahr, dass die PKK im Nordirak gegen die Puk in Zukunft öfter militärisch vorgehen wird, weil sie dort ein eigenes Gebiet beansprucht.

Welche Forderungen stellen Ihre Gesprächspartner an die so genannte internationale Gemeinschaft?

Bei der Diskussion über die Aufhebung der Uno-Sanktionen gegen den Irak darf man die Kurden als Opfer der Politik von Saddam nicht vergessen. Die Autonomie und Sicherheit von Kurdistan innerhalb des Iraks muss garantiert, völkerrechtlich definiert und kontrolliert werden. Saddam muss auch nach der Aufhebung des Embargos, die ich prinzipiell befürworte, gezwungen werden, dieser Region weiterhin 13 Prozent der Öleinnahmen zukommen zu lassen.

Deutsche Linke haben in letzter Zeit eine Abkehr Berlins von der Irak-Politik der USA und Großbritanniens gefordert. Welche Rolle schwebt Ihnen für die Bundesrepublik vor?

Irakische Kurden sollten in Deutschland ein Recht auf Asyl haben. Durch die Konflikte zwischen den einzelnen kurdischen Parteien gibt es im Nordirak eben doch politische Verfolgung. Und für Kurden, die in anderen Teilen des Irak verfolgt werden, ist der Nordirak auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, wie die Rechtsprechung behauptet, weil sie dorthin nicht legal flüchten können.

Das heißt, die Unterstüztung des irakischen Regimes durch deutsche Rüstungsfirmen kritisieren Sie nicht?

Aber selbstverständlich. Schließlich ist es die PDS, die fordert, den irakischen Giftgasangriff Saddam Husseins auf Halabja 1988 - der mit deutschem Giftgas ausgeführt wurde - als Völkermord einzustufen und den Opfern humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Ich war in Halabja und habe Kinder gesehen, die an Krebs, Leukämie und Atemwegserkrankungen erkrankt sind. Doch die einzige deutsche Hilfe vor Ort ist eine lächerlich kleine Krankenstation, die nur als Abstellkammer benutzt werden kann. Die Schweden hingegen haben dort ein ganzes Krankenhaus gebaut.