Ankunft der Zapatisten in Mexiko-Stadt

Mythos und Marketing

Der Marsch der Zapatisten endete wie vorgesehen mit einer Massenkundgebung vor dem Nationalpalast. Doch die Zukunft der EZLN ist ungewiss.

Wie vorgesehen bewegte sich die Karawane der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) zum Ende ihrer Mammutreise durch zwölf mexikanische Bundesstaaten auf den Spuren des mexikanischen Revolutionshelden Emiliano Zapata. Die letzte Etappe von Xochimilco am südlichen Rand der Hauptstadt bis ins Herz der Metropole vor den Nationalpalast kulminierte in einer Großkundgebung, an der mehrere Hunderttausend Menschen teilnahmen. Doch trotz der teils beeindruckenden Unterstützung, die die »Zapatour« unterwegs erlebte, bleiben viele Fragen über Zukunft und Einfluss der Bewegung offen.

Indizien dafür liefert ein genauer Blick auf den Vergleich zwischen der EZLN und Emiliano Zapatas Befreiungsheer des Südens, der in den vergangenen Tagen so gerne angestellt wurde. Als Zapata am 24. November 1914 in Mexiko-Stadt einmarschierte, hatten er und auch der zweite große Revolutionsheld, Francisco Villa, neben der militärischen die politische Macht in ihren Händen. Dass sie sie nicht ergriffen, war eine andere Sache. Die Neo-Zapatisten wiederholen immer wieder, dass es sie nicht nach der politischen Macht drängt. Aber anders als Zapata sind sie weit davon entfernt, die Machtfrage stellen zu können. Das Befreiungsheer des Südens und die Norddivision Villas defilierten im Dezember 1914 mit 58 000 Soldaten durch die Hauptstadt, nachdem sie den Nationalpalast wieder den Berufspolitikern überlassen hatten. Die EZLN hat als Waffe nur ihre Ausstrahlungskraft in der Öffentlichkeit, ist militärisch jedoch kein wichtiger Faktor.

Es stellt sich daher die Frage nach der politischen Zukunft der EZLN - und damit zu einem guten Stück auch der gesamten mexikanischen Linken. Die Diskussion, wie weit es dabei um eine reformistische oder revolutionäre Linke geht, soll an dieser Stelle weitgehend anderen überlassen werden.

Viele sprechen in der derzeitigen Situation zu Recht vom Duell zweier Marketingstrategien, was Regierung und die modernen Zapatisten angeht. Eine Mehrheit der Beobachter schätzt die Lage so ein, dass der Marsch durch die Republik derzeit der EZLN einen leichten Vorteil in diesem Duell verschafft.

Doch die von den Regierungsstrategen gewollte - und von vielen Rebellensympathisanten getragene - personelle Zuspitzung auf Präsident Vicente Fox und den EZLN-Sprecher, Subcomandante Marcos, birgt für die Guerilla viele Gefahren. Wenn Fox einen Namen der Aufständischen nennt, dann ist es immer nur der von »Marcos«. Erst am vergangenen Freitag lud der Präsident vor ausländischen Journalisten Marcos in die Präsidentenresidenz Los Pinos ein. Unter anderem, »damit wir von den Indígenas sprechen«. Auf der anderen Seite füllten deswegen so viele Menschen die Kundgebungen der Zapatisten, weil der Subcomandante dort redete. Hätte er dies nicht immer als letzter getan, hätten sich viele Plätze wahrscheinlich vorzeitig geleert.

Mit anderen Worten: Gelingt es der Regierung, den Mythos Marcos zu knacken, wird das ein schwerer Schlag für die gesamte Bewegung. Der konservative mexikanische Historiker Enrique Krauze legt mit dem Hinweis auf das »Messianische« bei der EZLN den Finger in die Wunde. Marcos selbst übte an den Jubelorgien für ihn zwar zuletzt offene Kritik, an der Realität ändert das vorerst aber nichts.

Das hat auch damit zu tun, dass die Versuche, eine in der Bevölkerung fest verankerte zivile Bewegung der Zapatisten zu schaffen, trotz wiederholter beeindruckender Massenmobilisierungen bisher gescheitert sind. Die Zapatistische Kraft der Nationalen Befreiung (FZLN) ist eines der jüngsten Beispiele. Wirkliche Stärke hat sie nie entwickeln können. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ihr als Organisation keine wichtige Rolle bei der »Zapatour« zukam, wenn auch viele ihrer Mitglieder in den Vorbereitungskomitees aktiv waren.

Die sich vor knapp zwei Jahren abzeichnende Möglichkeit, zusammen mit der damals enorm starken streikenden Studentenbewegung (Jungle World, 34, 43 und 50/99) die Menschen im Land zu mobilisieren, ist auch passé - zumindest gegenwärtig. Der Oberste Streikrat (CGH) konnte über zum Teil umstrittene Protestmaßnahmen hinaus keine Konzepte vorlegen und verlor zunehmend an Glaubwürdigkeit bei der eigenen Klientel. Selbst das repressive Vorgehen der Regierung mit der Räumung der Autonomen Nationaluniversität (Unam) vor gut einem Jahr konnte die Studenten nicht mehr einen.

Auf eine große, linke und unabhängige Gewerkschaftsbewegung können sich die Zapatisten ebenfalls nicht stützen. Die stärksten Impulse könnten vielleicht noch vom Nationalen Indígena-Kongress (CNI) ausgehen, der im Gefolge des Zapatistenaufstandes gegründet wurde. Das dritte landesweite CNI-Treffen Anfang dieses Monats - unter Anwesenheit der EZLN-Delegation - war das bislang größte. Die Indígenas kündigten nach dem Vorbild in Ecuador eine »friedliche Erhebung« an, sollte die Regierung ihre Forderungen nicht ernstnehmen. Allerdings gilt auch hier: Die vielen verschiedenen Forderungen und Interessen der über 50 Bevölkerungsgruppen Mexikos unter einen Hut zu bringen, wird kein einfaches Unterfangen sein.

Auf die in der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) organisierte Linke hat die EZLN nie allzu große Hoffnungen gesetzt. Will die bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom 2. Juli 2000 arg gebeutelte PRD als politisch wichtige Partei überleben, muss sie sich von Grund auf erneuern. Welche der verschiedenen Strömungen - mit sehr unterschiedlichem Verhältnis zu den Zapatisten - sich in der PRD durchsetzen wird, ist noch ungewiss.

Es bleiben die anderen mexikanischen Guerilla-Bewegungen, deren Zahl auf über ein Dutzend geschätzt wird. Nicht ihre individuelle Stärke, sondern ihre Präsenz an verschiedenen Orten des Landes macht sie zu einem Faktor, der nicht einfach ignoriert werden kann. Die EZLN hat deutlich gemacht, das von der alten PRI-Regierung von Fox übernommene Spiel der Einteilung in gute (EZLN) und böse - die anderen - Aufstandsbewegungen nicht akzeptieren zu wollen. Als die Zapatisten durch den Bundesstaat Guerrero zogen, erwähnte Subcomandante Marcos ausdrücklich die Guerillagruppen Farp, Erpi und EPR und dankte dafür, dass sie der Karawane den Weg innerhalb ihrer Einflusszonen erleichtert hätten.

Zunächst einmal haben die Zapatisten angekündigt, in der Hauptstadt bleiben zu wollen, bis die Gesetzes- und Verfassungsreform zu den Rechten und der Kultur der Indígenas in ihrer 1996 von der parteiübergreifenden Cocopa-Kommission erarbeiteten Version verabschiedet ist. Voraussichtlich wird das in der nächsten Sitzungsperiode des mexikanischen Kongresses geschehen, die am 15. März beginnt. Trotz der Widerstände in Fox' konservativer Pan und der ehemaligen Regierungspartei Pri zeichnet sich wegen des Drucks vom Präsidenten eine große Mehrheit für die Initiative ab.

In der Folge könnte die Regierung auch die Freilassung der letzten zapatistischen Häftlinge durchsetzen sowie drei weitere Militärstützpunkte räumen, wie von den Zapatisten als Vorbedingung für die Aufnahme von Direktgesprächen gefordert. Das böte Fox die geeignete Grundlage, die EZLN zu einem endgültigen Friedensabkommen zu drängen und sie in der Öffentlichkeit als Verweigerer zu präsentieren, wenn sie sich dazu nicht bereit erklärt.

Die Zapatisten ihrerseits müssen sich dieser Herausforderung stellen. Jenseits eloquenter Kommuniqués und ständig neuer Mobilisierungsideen ist ihr politisches Projekt nach wie vor unscharf. Auf einen inhaltslosen Frieden können sie sich nicht einlassen, wirkliche Veränderungen können sie nicht alleine durchsetzen. Was nach dem Marsch und der Gesetzesverabschiedung geschehen wird - das ist die eigentlich spannende Frage, auf die weder die EZLN noch die restliche Linke eine befriedigende Antwort wissen. Wenn die Karawane der Zapatisten nur dem reinen »Bewusstseinstourismus« diente, von dem Carlos Monsiváis in der Zeitschrift proceso schreibt, muss der Regierung Fox nicht bange sein. Aber noch ist die Chance, dass sich der Marsch nicht darauf beschränkt, nicht vertan.