Italien und die USA streiten um eine politische Gefangene

Von Richters Gnaden

Zwei Jahre nach ihrer Auslieferung durch die USA beschäftigt sich nun das italienische Verfassungsgericht mit der politischen Gefangenen Silvia Baraldini.

Waren einige Klauseln in dem bilateralen Vertrag über die Auslieferung der politischen Gefangenen Silvia Baraldini in ihr Herkunftsland Italien verfassungswidrig? Diese Frage beschäftigt derzeit den Verfassungsgerichtshof in Rom.

Wie Hohn mag die 53jährige Silvia Baraldini die Volten ihres Falls empfinden, der seit nunmehr 18 Jahren und drei Monaten von den Justiz- und Gefängnisbürokratien zweier Länder - zuerst in den USA und seit über anderthalb Jahren in Italien - verwaltet wird. Der scheidende US-Präsident William Clinton hatte nämlich im Januar in seiner umstrittenen letzten Amtshandlung auch zwei ihrer einstigen Mitangeklagten begnadigt. Die linken Internationalistinnen Linda Evans und Susan Rosenberg waren gemeinsam mit Silvia Baraldini in den achtziger Jahren zu unterschiedlich hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden und verbrachten danach eine harte Zeit in US-amerikanischen Sondergefängnissen, etwa in den Hochsicherheitstrakten von Lexington/Kentucky und Marianna/Florida.

Silvia Baraldini hingegen wurde 1999 nach langwierigen Verhandlungen zwischen Rom und Washington nach Italien ausgeliefert. Ihr Gesundheitszustand war immer bedenklicher geworden, wegen einer Tumorerkrankung musste sie zweimal in US-Gefängnissen behandelt werden. Zudem wollte sie nach dem Tod ihrer Schwester in der Nähe ihrer Mutter sein. Eine starke Solidaritätsbewegung übte in Italien jahrelang Druck auf die wechselnden Regierungen aus. Von einer Auslieferung Silvia Baraldinis erhoffte man sich eine Verbesserung der Haftbedingungen und einen ersten Schritt in die Freiheit.

Doch restriktive Klauseln im Auslieferungsvertrag zwischen den beiden Staaten sorgen dafür, dass Silvia Baraldini mindestens bis 2008 in Haft bleiben muss. Derzeit liegt sie zur Nachbehandlung einer Brustkrebsoperation unter schwerer polizeilicher Bewachung im römischen Gemelli-Krankenhaus.

Wäre die Überstellung von Silvia Baraldini in das römische Gefängnis Rebibbia vor anderthalb Jahren gescheitert, beispielsweise an den für die italienische Souveränität unzumutbaren Konditionen im Auslieferungsvertrag, hätte Clinton wohl nicht umhin gekonnt, auch in ihrem Fall eine Begnadigung zu verfügen. Doch Clinton glaubte offenbar, die Entscheidung auf den italienischen Staat abwälzen zu können.

Inzwischen findet Silvia Baraldini in Italien viel Unterstützer. Bereits im Dezember sprachen sich 60 Senatoren in einem Appell an den Präsidenten Carlo Azeglio Ciampi für eine Begnadigung aus. Nach Clintons letzter Entscheidung im Januar formulierte eine Reihe italienischer Politikerinnen - darunter die Christdemokratin Tina Anselmi und Rosa Russo Jervolino, die frisch gekürte Kandidatin für das Bürgermeisteramt von Neapel - einen ähnlichen Aufruf.

Nun obliegt es dem römischen Verfassungsgerichtshof, die Verfassungswidrigkeit oder -konformität der Klauseln im Auslieferungsvertrag festzustellen und im Licht der jüngsten Fakten aus den USA vielleicht über eine weitere Fortdauer der Haft von Silvia Baraldini zu entscheiden. Ein Haftprüfungsantrag ihrer Verteidigung, der sich auf den prekären Gesundheitszustand der Gefangenen beruft, war nämlich von der ersten Instanz - dem Tribunale di sorveglianza - an das hohe Gericht verwiesen worden.

Doch nach einer ersten Anhörung in der vorigen Woche zeichnet sich bereits ab, dass eine Entscheidung des Verfassungsgerichts deshalb unzulässig wäre, weil es sich bei der Auslieferung nach Ansicht der Verteidigung nicht um einen legislativen, sondern um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Im schlimmsten Fall könnte die Einstufung des Auslieferungskontrakts als verfassungswidrig sogar die Rücküberstellung Beraldinis in US-Gefängnisse zur Folge haben.

Je schneller also das Gericht den Fall wieder in die Zuständigkeit des Tribunale di sorveglianza übergäbe, desto früher könnte dort über die längst überfällige Haftverschonung entschieden werden. Darauf wird man aber noch einige Wochen warten müssen. Immerhin hat der italienische Justiz-minister Piero Fassino nun seine Behörde angewiesen, Silvia Baraldini zu erlauben, ihre inzwischen todkranke Mutter im Krankenhaus zu besuchen.

1982 war Silvia Baraldini, die in New York u.a. als Dolmetscherin für das italienische Staatsfernsehen RAI tätig war, zum erstenmal in die Fänge der US-Justiz geraten. Durch ihre Mitarbeit in der Solidaritätsbewegung für den in der Black Liberation Army organisierten schwarzen Widerstand, als Angehörige der an Malcolm X orientierten Gruppe »19. Mai« sowie als Mitarbeiterin in einer Rechtshilfeorganisation für politische Gefangene aus afro-amerikanischen und puertoricanischen Befreiungsbewegungen in den Vereinigten Staaten handelte sie sich ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in subversiven Vereinigungen ein. In der Folge wurden ihr die Mithilfe an der Befreiung der schwarzen Aktivistin Assata Shakur aus einem Bundesgefängnis in New Jersey sowie gescheiterte Überfälle auf Geldtransporter vorgeworfen, jedoch nicht nachgewiesen (Jungle World, 26/99).

Nach einem fünfmonatigen Verfahren wurde Silvia Baraldini zu 43 Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl ihr weder der Besitz noch der Gebrauch von Waffen oder Sprengstoff zur Last gelegt werden konnte. Das Urteil basierte auf einem ursprünglich gegen die Mafia gerichteten Gesetz, dem Racketeering influenced corrupt organization act (Rico). Das bedeutet, dass Silvia Baraldini ausschließlich deshalb bestraft wurde, weil sie einer Gruppe wie dem »19. Mai« angehörte und weil alle Vergehen irgendeines Gruppenmitglieds automatisch allen anderen angelastet wurden.

Während ihrer Haftzeit in den USA erlitt sie schwere körperliche und seelische Torturen, vor allem in den anderthalb Jahren, die sie mit zwei anderen Frauen, den politischen Gefangenen Alejandrina Torres und Susan Rosenberg, in einem eigens geschaffenen unterirdischen Hochsicherheitstrakt des Bundesgefängisses von Lexington verbringen musste.