Offensive albanischer Separatisten

Zwischen allen Fronten

Die Ausweitung der Kämpfe durch panalbanische Nationalisten in Südserbien und Mazedonien bringt die Nato zunehmend in Schwierigkeiten.

An seinen Überredungskünsten muss der Chef der Kosovo-Schutztruppe Kfor, Carlo Cabigiosu, wohl noch arbeiten. Am vergangenen Freitag blitzte der hochrangige Militär beim Kommandanten der Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac (UCPMB), Shefket Musliu, ab: Cabigiosu wollte ihn überzeugen, die südserbische Pufferzone an der Grenze zum Kosovo zu räumen. Doch das Gespräch war kurz und ernüchternd. Musliu weigerte sich mit großer Pose: »Wir können nirgendwo hingehen. Wir werden bis zum letzten Mann weiterkämpfen.«

Einen Tag später hatten es sich die Rebellen dann aber offenbar anders überlegt. Plötzlich wurde doch über einen möglichen Friedensvertrag verhandelt. Das Harmoniebedürfnis der albanischsprachigen Untergrundkämpfer hat in jedem Fall seinen Sinn. Die Kämpfer müssen wohl bemerkt haben, dass sie mit einer Fortführung der Kampfhandlungen in dem kleinen Tal an der Grenze zu Kosovo und Mazedonien nur verlieren können. Sowohl militärisch als auch - was wesentlich wichtiger für die Separatisten scheint - im Polit-Marketing.

Schließlich sind die politischen Beziehungen zwischen Washington und Belgrad seit der Abwahl von Slobodan Milosevic wieder intakt. Seit dem Beginn der Kämpfe im Presevo-Tal im November des vergangenen Jahres versäumen Nato und USA keine Gelegenheit, um der neuen, demokratischen Regierung in Belgrad Unterstützung zuzusagen. Nato-Generalsekretär George Robertson meinte knapp 48 Stunden vor Beginn der Verhandlungen über einen Waffenstillstand, dass seine Organisation »dazu da ist, all die extremistischen Kräfte zu stoppen, deren einziges Ziel es ist, die Region zu destabilisieren«.

Zwar vermied es der ansonsten wenig zurückhaltende Brite, die »albanischsprachigen Extremisten« namhaft zu machen, doch die Führung der UCPMB wird vermutlich gemerkt haben, wer gemeint war. Gleichzeitig kündigte Robertson an, die bislang entmilitarisierte Pufferzone aufzulösen und der jugoslawischen Armee zu erlauben, unter »Aufsicht der Kfor« in einen Teil des Gebietes einzurücken. Für die Separatisten ist das ein klares Signal: Ein Puffer zwischen den ehemals verfeindeten Truppen Jugoslawiens und denen der Kfor ist nicht mehr nötig.

Auch in Paris wurde an der neuen Koalition für den Balkan gebastelt. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer und sein französischer Amtskollege Hubert Védrine verurteilten die Anschläge der Extremisten und begrüßten gleichzeitig die Entscheidung der Nato, die Pufferzone zu beseitigen. »Das ist die gemeinsame Position der Nato, der Europäischen Union, von Belgrad, Mazedonien, Bulgarien und auch von Albanien«, heißt es in einem Presse-Kommunique nach dem deutsch-französischen Treffen.

Der breite Konsens innerhalb der so genannten internationalen Gemeinschaft bringt die UCPMB in eine schwierige Lage. Denn im Gegensatz zur UCK im Kosovo-Konflikt können sich die Freischärler - nicht zuletzt wegen der neuen Regierung in Belgrad - nicht auf die angebliche Repression berufen, denn die jugoslawische Armee hat in der Pufferzone schon lange nichts mehr zu melden. Da fällt die Verwandlung von einer terroristischen Bande in eine allseits anerkannte Befreiungsarmee eben schwer. Zu allem Übel verhält sich die Regierung in Belgrad auch propagandistisch sehr geschickt: Am Donnerstag wurden 99 bislang in serbischen Gefängnissen einsitzende Kosovo-Albaner amnestiert.

Problematischer gestaltet sich die Lage im Norden Mazedoniens, die durch den Frieden im Presevo-Tal noch zusätzlich kompliziert werden könnte. Weil die Kfor sich trotz aller Bitten der Regierung in Skopje weigert, auch in Mazedonien gegen die Separatisten anzutreten, laufen diese nicht Gefahr, mit den ehemaligen Verbündeten in einen Konflikt zu geraten. Außerdem schaffen es die so genannten Befreier immer noch, durch Verweis auf die Flucht der Einwohner in Nordmazedonien zu suggerieren, die »mazedonischen Unterdrücker« seien daran schuld.

Am vergangenen Samstag erklärte ein Sprecher der mazedonisch-albanischen Separatisten: »Wir werden unseren Kampf in Mazedonien fortsetzen. Wir verhalten uns nur in Tanusevci still, weil wir keinen Konflikt mit der Kfor riskieren wollen.« Tanusevci liegt direkt an der Grenze zum Kosovo, und diese Grenze ist praktisch nicht erkennbar. Als Kfor-Soldaten am vergangenen Donnerstag dort einrückten, herrschte große Verwirrung, ob man sich denn nun noch im Kosovo befinde oder schon in Mazedonien. »Trotz der Verwirrung: Die Kfor hat überhaupt nicht Mazedonien betreten. Alles andere ist Unsinn«, machte OSZE-Sprecher Harald Schenker gegenüber Jungle World klar.

Für die mazedonische Regierung wird die Zurückhaltung der Kfor zum Problem, denn allein mit der verbalen Unterstützung aus Brüssel, Washington und Berlin ist nun mal kein Krieg zu gewinnen. Auf einen solchen aber stellt man sich in Skopje ein, denn die Signale der Rebellen sind eindeutig. »Die mazedonische Armee wird Tanusevci niemals betreten«, sagte etwa ein UCK-Führer. Auch die Aggressivität der mazedonisch-albanischen Separatisten wächst. Am letzten Donnerstag erst überfielen sie einen Konvoi mit Angehörigen internationaler Hilfsorganisationen und diplomatischer Missionen. Auch der stellvertretende mazedonische Innenminister saß in einem der Fahrzeuge.

Von all dem zeigt sich die Kfor bislang noch unbeeindruckt. Der mazedonische Außenminister Srjgan Kerim forderte bei einem Besuch im Nato-Hauptquartier in Brüssel, die 210 Kilometer lange Grenze zwischen dem Kosovo und Mazedonien durch Kfor-Soldaten hermetisch abzuriegeln. Nur so könnte die Gewalt der albanischen Separatisten gestoppt werden. Doch die Nato reagierte ausweichend. Der stellvertretende Generalsekretär Sergio Balanzino sagte, es gebe Differenzen unter den Mitgliedsstaaten über das weitere Vorgehen, das Bündnis werde die Forderungen Mazedoniens jedoch prüfen. Als einzige Maßnahme stationierte die Kfor bisher lediglich einige Hundert ukrainische Soldaten an den offiziellen Grenzübergängen.

Wenn nun die UCPMB im südserbischen Presevo-Tal wegen des Waffenstillstandes nicht mehr handeln kann, wird sie möglicherweise versuchen, ihre Kräfte in Mazedonien zu bündeln. Neue politischen Forderungen weisen darauf hin. So schlugen die Separatisten am Wochenende vor, nach bosnisch-herzegowinischem Vorbild eine »Konförderation zwischen Albanern und Mazedoniern« zu bilden.

Im Moment aber vergeht kaum eine Nacht im nördlichen Mazedonien ohne Attacken der UCK. Zu Hunderten fliehen die größtenteils albanischsprachigen Dorfbewohner in den Süden oder ins Kosovo.

Am Freitag trafen rund 500 Bewohner des nordmazedonischen Dorfes Brest in Skopje ein. »Das Dorf ist beinahe leer«, berichtet ein aus Brest Geflohener. Von ethnisch motivierter Solidarität mit den vermeintlichen Befreiern ist bei den Flüchtlingen keine Spur. »Die schießen und schießen und schießen. Ich mag diese Albaner nicht«, meint ein Mazedonier, der selbst Angehöriger der albanischen Minderheit ist. Ein Mitarbeiter einer internationalen Organisation, der anonym bleiben will, bringt es auf den Punkt: »Die UCK befreit Dörfer von ihren Einwohnern, sonst gar nichts«.