Alle mal stolz sein!

In der Re-Ideologisierung der Deutschland AG entdeckten die Konservativen ihre Oppositionsstrategie.

Er habe noch nie »etwas Gemeinsames mit Radikalen der Linken und der Rechten gemacht«, erklärte Christoph Böhr am vergangenen Freitag verständnislos. Kurz zuvor hatten NPD-Anhänger neben ihm ein Transparent mit der Aufschrift entrollt: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.« Und zwar just in dem Moment, als sich der CDU-Spitzenkandidat für Rheinland-Pfalz in Nierstein bei Mainz in eine Unterschriftenliste gegen Umweltminister Jürgen Trittin eintrug. Böhr ließ die Nazis zwar von der Polizei des Platzes verweisen. Doch besonders überrascht können er und seine Partei von der NPD-Aktion nicht gewesen sein.

Denn einige Monate zuvor hatte sich CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer in einem Interview die Leitparole der jüngeren Neonazibewegung zu Eigen gemacht: »Ja, ich bin stolz, Deutscher zu sein.« In einem Radiointerview mit dem WDR, in dem es um Meyers hämische Bemerkungen über die vom Parteitag der Grünen beschlossene Stärkung des Asylrechtes ging, sagte dann Jürgen Trittin am 12. März: »Laurenz Meyer hat die Mentalität eines Skinheads und nicht nur das Aussehen. Laurenz Meyer hat selber bekundet, dass er stolz darauf sei, dass er Deutscher ist. Das ist so die Flachheit, der geistige Tiefflug, der jeden rassistischen Schläger in dieser Republik auszeichnet.«

Trittin entschuldigte sich postwendend, aber wenig feierlich, und deshalb forderte die CDU-Bundestagsfraktion Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, Trittin aus der Regierung zu entfernen. Mitte März verhinderte die rotgrüne Mehrheit im Bundestag, dass ein Antrag auf Entlassung des Umweltministers auf die Tagesordnung kam.

Die rheinland-pfälzische CDU beschloss daraufhin, ihren aussichtslosen Landtagswahlkampf noch einmal zu befeuern und ließ in der vergangenen Woche 10 000 Plakate drucken: »Jetzt reicht's! Trittin beleidigt ganz Deutschland. Die SPD schaut zu.« Ein weiteres Plakat führte eine Reihe von Gründen auf, die zum Stolz aufs Deutschsein berechtigen. Angelehnt an die erfolgreiche Unterschriftenaktion des heutigen hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, der 1999 zum Widerstand gegen eine Lockerung des Staatsbürgerschaftsrechtes aufgerufen hatte, gipfelten die Aktionen der Mainzer Union am Ende der vergangenen Woche darin, dass CDU-Honoratioren Seit' an Seit' mit Jungnazi-Aktivisten für das angeblich demontierte Recht auf Nationalstolz auf der Straße standen. Eine informelle, optisch wenig überzeugende Volksfront.

Die CDU in Baden-Württemberg, wo die rechtsextremen Republikaner bei den letzten beiden Landtagswahlen gut abgeschnitten hatten, verzichtete aus guten Gründen auf eine entsprechende Mobilisierung.

In der Zwischenzeit ist nicht nur bei der süddeutschen CDU die übliche, in gewissen Abständen wiederkehrende Diskussion darüber entbrannt, wie stolz deutsche Bürger und Minister auf ihr Land sein dürfen bzw. auf den Umstand, in demselben geboren zu sein. Der künftige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle verkündete: »I'm proud to be a German.« Bundespräsident Johannes Rau wurde von der CSU angegriffen, weil er sich nicht hinter die Nazi-Parole stellen wollte. Im Bundestag sagte der SPD-Abgeordnete Wilhelm Schmidt: »Auch wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein, und fordern alle Deutschen auf, stolz zu sein.« Und für die Grünen fügte Katrin Göring-Eckard hinzu: »Sicher, wir sollten den Stolz auf unsere Heimat nicht den Rechten und den Deutschtümelanten überlassen.«

Für die PDS, deren neue Parteispitze bekanntlich den Stolz auf Deutschland von links her fördern will, rügte Heidi Knake-Werner den Umweltminister: »Trittin schadet mit seinen Äußerungen allen, die mit großem Engagement gegen rechtsextremistische Entwicklungen kämpfen. Das ist das eigentlich Ärgerliche.« Ähnliche Unmutsäußerungen über Trittins sachdienlichen Hinweis kamen auch von der SPD und den Grünen.

Während im einmütigen Streit über die richtige Portionierung von Nationalismus, Patriotismus und Heimatliebe deutlich wurde, wie ein Aufstand der Anständigen wirklich aussieht, zeigte sich zugleich, dass es um die CDU und damit um den organisierten Konservatismus ziemlich arg steht. Nicht deshalb, weil die Union bei den Nazis um Zustimmung wirbt. Das hat sie immer getan, und sie ist für diese integrativen Anstrengungen regelmäßig mit viel Lob bedacht worden. Das Dilemma der Konservativen äußert sich vielmehr in einer politischen Beschränkung, die einzig auf die Mobilisierung von Ressentiments setzt.

Der Unterschied zur Konkurrenz ist offensichtlich: Als sich Gerhard Schröder im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes als nationalistischer Europa-Skeptiker präsentierte und gegen ausländische Kriminelle agitierte, handelte es sich um eine taktische Maßnahme. Sie war eingebettet in das Gesamtkunstwerk Neue Mitte. Entsprechend verhalten sich die meisten Sozialdemokraten und auch die Grünen: Den nationalen Provokationen der Rechten versuchen sie zu begegnen, indem sie den Patriotismus für die Neue Mitte reklamieren. Wobei zu betonen ist, dass es für die Opfer des Nationalismus keinen Unterschied macht, welchem aktuellen Kalkül der Rassismus von oben gerade entspringt.

Die Union hingegen kennt den Unterschied zwischen Strategie und Taktik nicht mehr. Sie verfügt weder über die eine noch über die andere, und schon gar nicht über ein Projekt. Alle jüngeren Attacken gegen die Berliner Regierung waren Verzweiflungstaten. Während Gerhard Schröders Truppe mit Atomkonsens, Rentenreform, Bundeswehreinsätzen, Europapolitik und Flüchtlingsabwehr für alle sichtbar die nationalen Interessen exekutiert, wollen CDU und CSU permanent die Nagelprobe. Die Leitkultur-Debatte vom Herbst forderte das Bekenntnis zum Rassismus, obwohl sich die gegenwärtige Ausländer- und Flüchtlingspolitik bereits zum Rassismus bekennt. Die 68er-Diskussion der vergangenen Wochen verlangte einen Treueschwur gegenüber dem Staat, obwohl - außer rechtsaußen - weit und breit niemand in Sicht ist, der ihn in Frage stellen würde. Die aktuelle Frühjahrsdebatte fordert zum Streit über die Nation und fördert doch nur einen grundsätzlichen Konsens zu Tage.

Für das deutsche Establishment ist die rot-grüne Lösung und deren Projekt der Neuen Mitte derzeit zweifellos die attraktivere. Aus den sozial- und umweltpolitischen Bedenkenträgern der SPD und der Grünen ist eine Regierung geworden, die die vielfältigen Sachzwänge der Globalisierung recht souverän verwaltet. Geradezu komfortabel muss es aus dieser Perspektive anmuten, wenn die Opposition die Regierung fast ausschließlich mit Forderungen malträtiert, die nationale und rassistische Affekte beschwören und nichts kosten als das Leben einer ungewissen Anzahl von Ausländern und Flüchtlingen.

Weil in dem als politische Mitte bezeichneten Areal gegenwärtig neben Rot-Grün wenig Platz ist, könnte die quasi spontane Re-Ideologisierung das innerparteiliche Kräfteverhältnis entscheidend verschieben. Leitkultur, 68er und Nationalstolz sind allesamt keine Themen, die bei der Parteiführung um Angela Merkel Entzücken hervorrufen. Sie hat aber offensichtlich weder die Macht noch die Leute, um dem immer dominanter auftretenden modernen Dumpfdeutschtum etwas entgegenzusetzen.

Die an die alte SPD erinnernden sozialpolitischen Oppositionsambitionen, die Merkel zu Beginn ihrer Amtszeit noch zeigte, sind von der Tagesordnung verschwunden. Insofern zeichnet sich ab, dass in der Union künftig die national-autoritäre Linie hegemoniefähig wird, für die Politiker wie Edmund Stoiber und - mit der besseren Zukunftsperspektive - Roland Koch stehen. Im Gegensatz zur Merkel-CDU entsteht hier vielleicht eine Reserve für künftige Krisensituationen, die wegen ihrer Volkstümlichkeit sogar ansehnliche Teile der Nazi-Bewegung anziehen könnte.

In dieser Woche will die Unionsfraktion im Bundestag eine Grundsatzdebatte über Stolz und nationale Identität führen lassen. Dann wird sich zeigen, dass die Deutschland AG mehr ist als ein Börsenwert.