Abstiegskampf des VfL Bochum

Bukowski mit Ball

Der VfL Bochum macht, was er am besten kann: Er steigt ab.

Die Bilanz könnte trauriger kaum sein. In den 27 Spielzeiten, die der VfL Bochum in der Ersten Bundesliga verbrachte, reichte es gerade mal für einen fünften Platz, ansonsten dümpelte man über all die Jahre im unteren Mittelfeld. Die Chronik auf der offiziellen Homepage verzeichnet neben einer Teilnahme am Uefa-Cup das zweimalige Erreichen des Pokalfinales als größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Natürlich gingen beide Spiele verloren, natürlich »unglücklich«, was zumindest der Chronist behauptet.

Manche in der Versenkung verschwundenen ehemaligen Bundesligisten können sich wenigstens mit Erfolgen wie »Deutscher Meister 1933« (Fortuna Düsseldorf) oder »Deutscher Pokalsieger 1970« (Kickers Offenbach) schmücken. Andere konnten durch den Rückzug in die Amateurklasse ihre Sammlung mit aktuelleren Trophäen wie »Deutscher Amateurmeister 1992« (Rot-Weiß Essen) oder »Possmann-Hessen-Cup-Sieger 1999« (SV Darmstadt 98) auffrischen. Dem VfL Bochum hingegen fehlt es an jedem Titel, sodass die Anhänger in den achtziger Jahren schon den bloßen Klassenerhalt zum Erfolg verklärten: »VfL Unabsteigbar« tauften sie den Club; anderswo hingegen sprach man weniger euphemistisch von der »grauen Maus der Liga«.

Nach drei Abstiegen seit 1993 ist aber auch der Ruf dahin, »unabsteigbar« zu sein. Selbst wenn der arithmetische Beweis noch aussteht, ist nun der vierte Abstieg sicher. Bemerkenswert ist, wie früh sich die Clubführung - ungeachtet der wenig überzeugenden Durchhalteparolen des Präsidenten Werner Altegoer (»es sind noch 33 Punkte zu vergeben, holen wir 20, bleiben wir drin«) - dem Schicksal ergab. So wurde Mitte Februar der überforderte Trainer Ralf Zumdick durch den 64jährigen Rolf Schafstall ersetzt.

Ließ schon die Beförderung des früheren VfL-Keepers Zumdick vom Torwarttrainer zum Chefcoach eine gewisse Lebensmüdigkeit befürchten, war dessen Ablösung durch Schafstall der eindeutige Ausdruck allgemeiner Resignation. Zwar hatte Schafstall schon zwischen 1981 und 1986 den VfL trainiert, seine letztes Engagement in der ersten Liga aber lag knapp zehn Jahre zurück. Der größte Erfolg seiner Laufbahn besteht darin, in der Saison 1990/91 als Interimstrainer Bochum vor dem Abstieg gerettet zu haben. Immerhin, könnte man meinen, stünden da nicht drei Abstiege mit anderen Clubs zu Buche.

Dafür kann der Old-School-Coach, der die letzten Jahre auf den Zuschauerrängen des Ruhrstadions rumgehangen hatte, mit anderen Qualitäten aufwarten: Betrunken lieferte er sich Verfolgungsjagden mit der Polizei und saß einige Monate wegen wiederholter Trunkenheit am Steuer im Knast. Bei seiner letzten Anstellung vor zwei Jahren bei Dynamo Dresden provozierte mit einem famosen Spiegel-Interview seinen Rausschmiss: »Das sind lauter Spinner hier. Die sind nicht zur Arbeit, nicht zur Ordnung, zu nichts erzogen worden hier, kein Anstand, lauter Ossis.« Grund für sein Zonen-Bashing waren der angebliche Dreck in der Kabine und der Umstand, dass sich keiner seiner Untergebenen vom Platz erhob, wenn er die Umkleideräume betrat.

Auch bei seinem neuen Job galt seine Aufmerksamkeit der Ordnung. »Bei meinen ersten Engagements hier«, so Schafstall gegenüber dem Web-Magazin vfl-bochum.de, »gab es kaum Ausländer in der Mannschaft. Nichts gegen Ausländer, aber so hat sich die Struktur der Mannschaft verändert. Das ist nicht unbedingt erschwerend, aber manchmal ist es schwerer, sich verständlich zu machen.«

Ein Glück, dass Schafstall keine Ahnung von taktischen Konzepten hat; von diesem Sprachgenie wären sie ohnehin nicht zu vermitteln. Scharfsinnig auch, wie er die Mängel im Bochumer Spiel analysierte: »Wir haben bislang 43 Tore kassiert. Dafür muss es eine Ursache geben.« Das Abwehrverhalten der gesamten Mannschaft muss besser werden.« Wie? Durch Rückkehr zur strikten Manndeckung.

Strammstehen, wenn der Chef kommt und decken, wenn der Gegner kommt - selbst im deutschen Fußball ist damit ein Klassenerhalt nicht zu schaffen. Die Fans sehnen sich nach Bernard Dietz zurück, jenem Trainer, der mitten in der Aufstiegssaison 1999/2000 freiwillig seinen Job schmiss und sich zum Betreuer des Amateurteams zurückstufen ließ. Seine Begründung: »Wenn ein 16jähriger, der mit Ach und Krach unfallfrei den Ball stoppen kann, mit drei Beratern erscheint, um einen Millionenvertrag auszuhandeln, ertrage ich das einfach nicht.« Dabei verkörpern beide, Schafstall wie Dietz, den Stoff, aus dem die VfL-Story gestrickt ist: Der tragische Loser und der ehrliche Arbeiter.

Herbert Grönemeyer hatte diese Romantik der Tristesse in jenen Versen ausgedrückt, die noch heute im Ruhrstadion angestimmt werden: »Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau / Liebst Dich ohne Schminke, bist 'ne ehrliche Haut / Leider total verbaut, aber gerade das macht Dich aus.« Mit dem Doppelpass freilich hat der VfL nur im Lied seine Gegner »nassgemacht«. Den Fans gefällt diese Ästhetisierung des Elends, des schweißigen Proletenkults und der melancholischen Durchschnittlichkeit.

»Und geht mal was daneben, glaube uns, das stört uns nicht / Du hast alles hergegeben - Bochum, wir sind stolz auf Dich«, heißt es in der Vereinshymne, die zu den lausigsten gehört, die aus deutschen Stadionlautsprechern dröhnen. In Internetforen wie Rettet-den-VfL.de erklären trotzdem nur wenige User, sich künftig an den Nachbarclubs orientieren zu wollen. Dafür ernten sie die herbe und verständnislose Kritik der Hartgesottenen: »Ich als gebürtiger Bochumer«, so etwa »Manuel«, »der VfL-Fan ist, seit ich in die Windeln geschissen habe, will euch in der Ostkurve nicht mehr sehen. Ein wahrer VfL-Fan ist ein schlechtes Spiel gewohnt, denn mal ehrlich: wirklich gut war der VfL nie.« Weshalb man dem VfL bis zur Landesliga treu bleiben werde.

Wem Charles Bukowski oder Jim Jarmush gefällt, der mag wohl auch den VfL Bochum. Selbst das dümmste Argument, das Sportreporter und Funktionäre bemühen, wenn ihnen nicht einfällt, weshalb ein Club unbedingt erstklassig bleiben müsse, scheidet hier aus: Für »die Region« ist es egal, in welcher Liga der VfL Bochum kickt. Mit Schalke 04 und Borussia Dortmund ist das Ruhrgebiet hinreichend und recht erfolgreich im deutschen Fußball vertreten.

Und diesmal ist kaum mit einem sofortigen Wiederaufstieg zu rechnen. Einige Sponsoren werden sich zurückziehen, andere die Geldzufuhr drosseln; die wenigen halbwegs fähigen Spieler werden den Club ablösefrei verlassen und der Rest wird auch mit Ahlen und Oberhausen seine Mühe haben. Selbst der Planungsvorsprung, den man für die zweite Liga haben könnte, wird verspielt. Weder ist klar, wer nach Schafstalls befristetem Engagement das Team trainieren wird, noch gibt es einen Nachfolger für den jüngst entlassenen Manager Klaus Hilpert.

Dass es dennoch schade ist um den VfL, zeigt ein Blick auf die Bundesligatabelle: So lange sich dort Clubs wie Cottbus und Rostock, Unterhaching und Wolfsburg tummeln, ist allemal Platz für die Blume im Revier.