Neue Landtage in Stuttgart und Mainz

Grenzen auf für Doktoranden

Nach ihrem Erfolg in Baden-Württemberg dürfte die Union auch künftig auf eine Mischung aus Deutschtümelei und ökonomischer Selektion bei der Zuwanderung setzen.

Kaum ein anderer hätte das Wesen der parlamentarischen Demokratie in Deutschland glaubwürdiger auf den Punkt bringen können als der Mann, der von vorne tatsächlich aussieht wie ein Skinhead. »Es ist ein Erfolg für die Demokratie, dass die Reps rausgeflogen sind«, erklärte Laurenz Meyer, als am Sonntagabend klar war, dass die Rechtsextremen auch die letzten Sitze in einem Landesparlament, über die sie bisher noch verfügten, werden räumen müssen.

Die Freude darüber, dass sich aus dem richtigen Verweis Jürgen Trittins auf den Zusammenhang zwischen Meyers spärlichem Haarwuchs und dessen rechter Gesinnung eine tagelange öffentliche Schlacht um den stolzesten Nationalstolz entwickelt hatte, war dem CDU-Generalsekrär sichtlich anzumerken. Seinen Auftritt in der n-tv-Tigerrunde nutzte er zwar anders als sonst nicht für nationalistische Bemerkungen. Doch den Beweis, dass am Sonntag rund 76 000 Baden-Württemberger, die 1996 noch die Republikaner gewählt hatten, wegen seines nur schlecht als Rentenkampagne getarnten Fahndungsplakats zur CDU wechselten, mochte Meyer gar nicht erst antreten.

Und das zu Recht. Denn nicht die viel zitierten Sachthemen - 1996 hatten die Republikaner von der damaligen wirtschaftlichen Rezession im Ländle und der Diskussion über die Euro-Einführung profitiert -, sondern die von Ministerpräsident Erwin Teufel landsmannschaftlich präsentierten konservativen Werte sicherten der Union den Sieg. Und auch um die ideologische Nachfolge des 61jährigen Teufel, der wegen parteiinternen Unmuts vielleicht nur bis zur Mitte der Legislaturperiode regieren wird, braucht man sich im Landesverband keine Sorgen zu machen: Nicht öffentlich, aber auf Burschenschaftsabenden singt der Fraktionschef Günther Oettinger schon mal alle drei Strophen der Nationalhymne.

In Rheinland-Pfalz jedoch, wo Kurt Beck von seinem Image als volksnaher Provinzfürst profitieren konnte, kam die nationalistische, gegen Trittin gerichtete Unterschriftenaktion zu spät für die Union. Auch wenn sich die Vertreter einiger NPD-Kreisverbände an den CDU-Ständen drängten, gelang es dem Spitzenkandidaten Christoph Böhr nicht, die ausländerfeindlichen Kampagnen von Roland Koch in Hessen und Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen (»Kinder statt Inder«) erfolgreich zu kopieren. Zudem stimmten zwischen Mainz und Trier insgesamt fast 20 000 Wähler weniger für NPD und Reps als noch vor fünf Jahren.

Für die Bundes-CDU stimmt die Analyse dennoch, die ihr stellvertretender Vorsitzender Christian Wulff schon eine Woche zuvor - nach den Kommunalwahlen in Hessen - angestellt hatte. »Den Rechten sind die Themen abhanden gekommen«, konstatierte Wulff die naheliegende Option der Union auf einen strategischen Rechtsruck. Der Erfolg von Kochs CDU bei den Kommunalwahlen in Hessen wurde schließlich ebenfalls von einem Wechsel einstiger Rep- und NPD-Wähler begünstigt. Wulffs Erklärung lenkt davon zwar ab, benennt aber den historischen Grund für das vorläufige Verschwinden der Republikaner aus den Parlamenten: »Durch die Asylrechtsänderung haben wir die Probleme in diesem Bereich angegangen.«

Seit dem Abschluss des so genannten Asylkompromisses am 6. Dezember 1992 auf dem Bonner Petersberg kennt die nationale Frage tatsächlich keine Parteien mehr. Mit der Abschaffung des einzigen dezidert an die Exilerfahrungen antifaschistischer Widerstandkämpfer angelehnten Grundgesetzartikels bereiteten CDU, SPD und FDP die rassistische Geschäftsgrundlage, auf der den Rechtsextremen bis heute erfolgreich Wähler abgeknöpft werden konnten.

Gut zwei Jahre nach dem Regierungsantritt von Rot-Grün in Berlin allerdings hat sich der Diskurs in einem Punkt fundamental geändert: Auch innerhalb der Union sind die Positionen aus der Zeit vor 1998, als selbst ein ökonomischer Bedarf nach Zuwanderung schlicht geleugnet wurde, nicht mehr zu halten. Mit der von Bundeskanzler Schröder vor genau einem Jahr eröffneten Green-Card-Debatte ist der Unionsspitze klar geworden, dass sich Leitkultur- und Nationalstolzdebatten schlecht führen lassen ohne pragmatische Zugeständnisse an die SPD in Einwanderungsfragen. So hat auch die CSU Edmund Stoibers im Sommer letzten Jahres ihren eigenen Entwurf für eine Zuwanderungsregelung verfasst: Blue Card nennt sich das Instrumentarium, mit dem Arbeitsmigranten strenger noch als in den rot-grünen Entwürfen nach ökonomischen Kriterien selektiert werden sollen.

Eine Erklärung für die mangelnde Zugkraft der CDU-Kampagne in Rheinland Pfalz (»Jetzt reicht's! Trittin beleidigt ganz Deutschland«) könnte alsodarin liegen, dass die bundesweit einzige sozialliberale Koalition den nur wenig deutschtümelnden Wirtschaftsnationalismus der Neuen Mitte einfach besser vertritt als die Union. So stammt das rot-grüne Konzept für ein Einwanderungsgesetz in weiten Passagen aus Rheinland-Pfalz; nach dem schlechten Abschneiden der Grünen kann sich Bundeskanzler Schröder mit Rot-Gelb zudem eine weitere Option für die Zeit nach den Bundestagswahlen 2002 offen halten. Darüber hinaus dürfte die einhellige Kritik der Spitzen der deutschen Wirtschaft an den Positionen der Union - erst letzte Woche forderte der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) eine jährliche Zuwanderung von 450 000 Arbeitskräften - in die künftige Strategie der Partei ebenso eingehen wie die Empfehlungen der Schröderschen Zuwanderungskommission, die im Juli bekannt gegeben werden sollen.

In den 18 Monaten bis zur nächsten Bundestagswahl werden sich die Parteistrategen im Berliner Konrad-Adenauer-Haus und die Spitzen der Bundestagsfraktion um Friedrich Merz deshalb wohl vor allem die Köpfe darüber zerbrechen, wie ausländerfeindliche Ressentiments in Einklang gebracht werden können mit dem Bedarf der Industrie an ausländischen Lohnarbeitern. Auch der Streit um die Doppelspitze, den Teufel Anfang Februar als Hauptgrund für die Misere der Konservativen ausgemacht hatte, dürfte vorerst in den Hintergrund rücken. Mit Laurenz Meyer verfügt Parteichefin Angela Merkel schließlich über einen schlagkräftigen Patrioten, der nationalistische Defizite gegenüber Merz nicht aufkommen lassen wird.

Ähnlich wie in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am Wochenende könnten angesichts der national aufgeladenen Kulturkampfdebatten der letzten Monate - »Aufstand der Anständigen«, Siebziger-Jahre-Vergangenheit von Joseph Fischer und Trittin sowie die zweite Auseinandersetzung um den Umweltminister - die Grünen erneut unter die Räder kommen. Dem Wunsch der grünen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck, ein Zuwanderungsgesetz noch vor der nächsten Wahl zu verabschieden, wird die SPD jedenfalls nicht nachkommen, solange sie sich von ihrer Weigerung Punkte im Kampf gegen die Union verspricht. Und die »urgrünen Themen«, die von Bundesgeschäftsführer Rainer Bütikofer bis zur neuen Parteivorsitzenden Claudia Roth am Sonntag und Montag alle grünen Promis herunterbeteten, taugen scheinbar nicht einmal mehr zur Mobilisierung der eigenen Anhänger.

Strategisch bedeutender für die Ökobomber als die mangelnde Attraktivität von artgerechter Tierhaltung oder grünem Strom dürften jedoch die Verluste in ihrem Stammland sein. In Baden-Württemberg, wo die Marktradikalen der Partei ihre Hochburgen haben - Rezzo Schlauch, Fritz Kuhn und der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Oswald Metzger, kommen aus der Region - und die ökonomische Situation geradezu ideal sein müsste für Anhänger einer Öko-FDP, brach die Partei komplett ein. Gegen die starke FDP um ihren wirtschaftsliberalen Landesvorsitzende Walter Döring hatten die Grünen keine Chance. In absoluten Zahlen gemessen, verloren sie im Vergleich zu 1996 fast die Hälfte ihrer Stimmen.

Darüber konnte sich neben dem designierten FDP-Chef Guido Westerwelle vor allem der Bundeskanzler freuen. Mit der Absage an eine Erhöhung der Ökosteuer hatte er am Wochenende ohnehin deutlich gemacht, dass seine Regierung der Neuen Mitte ganz gut ohne grüne Elemente auskommt.