Doku-Film »Cry Freetown«

Jenseits von Afrika

Warum Sorious Samuras Dokumentarfilm »Cry Freetown« auf deutschen Fernsehschirmen gegen die Wallerts keine Chance hat.

Der 37jährige aus Sierra Leone stammende und zur Zeit in England lebende schwarze Journalist Sorious Samura kam 1995 aus seinem vom Bürgerkrieg gezeichneten Herkunftsland auf die britischen Inseln. Dort führte er zunächst ein Migrantenleben comme il faut. Sechs Tage in der Woche arbeitete er in drei verschiedenen hochgradig inspirierenden Jobs als Feger in der Londoner U-Bahn, als Küchenangestellter bei Burger King und als Sortierer in einem Blockbuster Videostore, sonntags schlief er. Er unterzog sich dieser Tortur, um genügend Geld für eine Kamera und eine Filmausrüstung zu sparen, die er 1999 schließlich kaufte. Mit diesem Equipment kehrte er nach Sierra Leone zurück, um die Geschehnisse dort zu dokumentieren. Das Ergebnis ist der Film »Cry Freetown«, für den Sorious Samura sein Leben riskiert hat.

Der Film blieb nicht ergebnislos. Durch eine brutale, unkaschierte Darstellung des Bürgerkrieges um die Kontrolle über Diamantenressourcen erweckte Samura internationales Aufsehen und erhielt elf hochdotierte Filmpreise für sein Werk. In der Dokumentation wird belegt, wie nicht nur Rebellen der RUF, sondern auch die Ecomog-Peacekeeping-Truppen aus Nigeria Zivilisten foltern und ermorden. Als die Regierung 1996 mit dem Slogan, »die Zukunft liegt in Euren Händen«, zur Wahl aufrief, zogen die Rebellen von Dorf zu Dorf, schnitten Einwohnern wahllos die Hände ab und benutzten für diese Aufgabe häufig unter Drogen gesetzte Kinder. Aber auch die Truppen der Ecomog misshandelten, plünderten und destabilisierten das Land.

Sorious Samura belässt es aber nicht nur beim Zeigen von Grausamkeiten. »Wer in aller Welt kauft die ganzen Diamanten aus Sierra Leone und wer unterstützt die Rebellen mit Waffen?« fragt der Film und verortet historische und soziale Gründe des Konflikts. »Dreizehn Fernsehstationen in Europa, Nordamerika und Australien strahlten den Film aus und lenkten ein gesteigertes Interesse auf die Geschehnisse in Sierra Leone«, sagt Ron Mc Cullagh, der Chef der Londoner Produktionsfirma Insight News Television, die »Cry Freetown« produziert hat. Außerdem wisse man von verschiedenen britischen Regierungsstellen, dass der Film die Gleichgültigkeit der ehemaligen Kolonialmacht gegenüber dem Bürgerkrieg aufbrechen konnte.

Von diesem Erfolg beflügelt, produzierten McCullagh und Samura in der Folge einen weiteren Film, »Exodus«, der sich mit dem Schicksal afrikanischer Immigranten beschäftigt, die von Marokko aus versuchen, in löcherigen Schnellbooten über die Straße von Gibraltar Europa zu erreichen. Bei diesem Unterfangen sind im letzten Jahrzehnt Tausende Menschen ertrunken oder erfroren. »Afrikanische Journalisten werden selten ernst genommen«, meint Samura und fügt hinzu: »Der einzige Weg, in der entwickelten Welt ein Verständnis für die Situation in Afrika zu schaffen, ist, dass man afrikanische Journalisten tatsächlich anerkennt.«

Umso erstaunter ist man bei Insight News Television, dass die TV-Stationen eines Landes die Ausstrahlung von Samura's Filmen bislang konsequent verweigern: die deutschen. Obwohl Produktionsassistent George Waldrum aus Verzweiflung mittlerweile schon einige Phrasen in gebrochenem Deutsch am Telefon fabriziert (»Hallo, ik bin George Waldrum oond wy gayt's?«), bleibt Germany not interested. »Immer erzählt man mir, es müsse eine deutsche Perspektive haben.« Er ist ratlos angesichts der Tatsache, dass er es in Deutschland zumeist mit Auslandsredaktionen zu tun hat.

Bei Spiegel-TV sagte man ihm, Sierra Leone sei zu weit weg von Deutschland. Andere Privatsender wie Kabel 1 lehnten den Film ab, da Boulevard-Themen für sie interessanter seien, und der Blick außerdem auf Deutschland gerichtet sein müsse. Aus der Sat.1-Auslandsabteilung hieß es, man sei eher »comedy-orientiert« und werde deswegen sicher nichts über Afrika machen. Beim ZDF schließlich will man nicht genügend Sendezeit haben.

Beim NDR argumentierte man zunächst, der Film sei »zu ernst«, bis folgende Absage per e-Mail geschickt wurde: »Weder der schwarze Moderator noch die schwarze Sichtweise würden vom deutschen Publikum akzeptiert werden.« Und weiter: »Denn unsere größte ethnische Minderheit sind die Türken.« Ob nun Journalisten türkischer Herkunft aus Hamburg-Altona nach Sierra Leone fahren sollen, um für das deutsche Fernsehen einen ethnisch korrekten Beitrag zu liefern, steht dabei in den Sternen.

»Das ist nicht rassistisch gemeint«, sagt N3-Redakteur Michael Kipp-Thomas auf Nachfrage. »Wir haben einfach keine Sicht auf Afrika. Das interessiert hier nicht. Da muss schon sowas passieren, dass Deutsche beteiligt sind, wie auf den Philippinen mit den, na, sie wissen schon, den Wallerts, dass es interessiert.« Er merkt aber auch an, dass Interesse für Afrika geschaffen werden müsste.

Moment mal, wieso dann nicht »Cry Freetown« oder »Exodus« zeigen? Keine Chance, »weil wenn wir Ausländer sagen, dann denken wir immer nur an Türken oder Kurden«, so Kipp-Thomas. Dementsprechend meint er auch, dass Großbritannien ein völlig anderes historisches Verhältnis zu Sierra Leone habe und dass das Interesse an der Thematik in diesem Land »normal« sei. Warum der Film in Dänemark, Schweden und Australien lief, erklärt das kaum. Sein andauerndes fatalistisches »wir« kündet zudem auch nicht gerade davon, dass eine andere Sichtweise in Deutschland momentan durchsetzbar ist.

Der Konflikt in Sierra Leone zeigt auch in Deutschland seine Auswirkungen, in der Statistik des Bundesinnenministeriums über Herkunftsländer von Immigranten rangiert Sierra Leone unter den zehn wichtigsten. In zwei Bundesländern, Hamburg und Bayern, wird die Praxis der Botschaftsanhörungen kritisiert, in deren Verlauf geklärt werden soll, ob Afrikaner »ungeklärter Staatsangehörigkeit« aus Sierra Leone stammen und ob ihnen gegebenenfalls Ersatzpapiere ausgestellt werden können. Anschließend sollen die Flüchtlinge so schnell wie möglich abgeschoben werden. Dabei ist die Lage in Sierra Leone, nach Auskünften der Kontaktgruppe Sierra Leone von amnesty international in Hamburg, auch in diesem Jahr noch immer »unverändert unübersichtlich und unstabil«.

Ungeachtet all dessen bleibt es wohl auch in naher Zukunft dabei, dass im deutschen Fernsehen mit einer afrikanischen Darstellung der Dinge, die in Afrika selbst passieren, nicht zu rechnen ist. Genauso darf man wohl auch weiterhin davon ausgehen, dass in Auslandsredaktionen gemutmaßt wird, ob es »uns« interessiert, solange »wir« nicht unsere eigenen Leute an der Front haben. Und schließlich wird somit auch die »deutsche Perspektive«, die George Waldrum nun kennt, gewährleistet bleiben.

Und auch Sorious Samura hat Anfang letzter Woche endlich Post aus Deutschland bekommen: Freunde haben ihn davon informiert, dass ihre Abschiebung bevorsteht.

»Cry Freetown« im Internet: www.cryfreetown.org. »Exodus« im Internet über www.sorioussamurasafrica.org