Kennzeichen D

Nationalistische Symbole erobern den öffentlichen Raum, revisionistische Thesen den Diskurs. Wird es Deutschland gelingen, stolzer als stolz zu sein?

Die Farben Schwarz, Rot und Gold erlebten 1989 ein grandioses Comeback. Die DDR-Flagge - ohne Hammer und Zirkel - wurde neben der Banane zum Symbol der Wende. Schwarz, Rot und Gold wurden zu Werbefarben, mit deren Hilfe sich Bierflaschen genauso gut wie Jogging-Hosen oder Mittelklasse-Autos verkaufen ließen.

Die gewonnene Fußballweltmeisterschaft 1990 diente als Katalysator für die Re-Nationalisierung. Plötzlich liefen massenhaft Leute mit den T-Shirts der deutschen Nationalmannschaft herum. Das deutsche Dress war nun nicht mehr nur schwarz und weiß, sondern mit einem Rautenmuster in den Nationalfarben versehen. Auf dem Höhepunkt der Euphorie sagte der damalige Teamchef Franz Beckenbauer: »Durch das Potenzial der Wiedervereinigung wird der deutsche Fußball auf lange Jahre hinaus unschlagbar sein.«

Unschlagbar sein, sowas hörte man in Deutschland gern. Der Sport eignet sich von jeher gut dafür, nationale Stimmungen in der Bevölkerung zu erzeugen oder zu verstärken. Endspiele werden zu Schicksalsfragen der Nation stilisiert, Siege mit nationalem Pathos gefeiert und Niederlagen als Untergang des Landes betrauert. Zum Sieg sollen meist die so genannten deutschen Tugenden führen: Fleiß, Tapferkeit, Einsatzwille, Härte, Kampfkraft, Teamgeist - Tugenden, die auch im Schützengraben weiterhelfen.

Die nationale Symbolik zog nicht nur in den Sport ein, sondern in alle Lebensbereiche. Die »selbstbewusste Nation«, der »Standort Deutschland«, runde Tische und die Volksaktie der Telekom - das sind Chiffren für die Selbstfindung der Deutschen. Sich deutsch zu geben, war wieder schick. In Schrebergärten wurde die deutsche Flagge gehisst, manchmal gleich die Reichskriegsflagge. Der Wursthersteller Meica verstand den Zeitgeist und brachte die »Deutschländer-Würstchen« auf den Markt. Heute wundert sich niemand mehr über Schinkenwürfel, die »Gebirgsjäger« heißen, und die Lebensmittelfirma Lidl, die sie vertreibt, muss sich auch nicht dafür rechtfertigen. Nur die Möbelfirma, die letztes Jahr eine Wohnzimmereinrichtung nach Erwin Rommel benannte, ist wohl ein kleines Stück zu weit gegangen.

Die Renaissance des Nationalen oder das, was die konservative Mitte als Normalisierung des Verhältnisses zur eigenen Nation bezeichnete, begann nicht erst mit der Wiedervereinigung. In West-Deutschland setzte sie mit dem Amtsantritt Helmut Kohls und der von ihm geforderten »geistig-moralischen Wende« ein. Diese Wende bedeutete nicht nur, dass das ZDF nun bei Programmschluss die Nationalhymne spielte oder Bundeswehrsoldaten sich auf der Straße wieder selbstbewusst in ihrer Uniform zeigten. Es wurden Debatten angestoßen, die von nachhaltiger Wirkung waren.

Die bedeutendste unter ihnen war der so genannte Historikerstreit. Ernst Nolte hatte 1986 in der FAZ die deutschen Konzentrationslager mit den sowjetischen Gulags verglichen und damit einen ersten Versuch gestartet, die Nazi-Verbrechen zu relativieren. Er wurde damals vehement von sozialliberalen Historikern und vom Philosophen Jürgen Habermas zurückgewiesen.

Ganz im Sinne Noltes argumentierte 1997 das von Stéphane Courtois herausgegebene »Schwarzbuch des Kommunismus«, das Faschismus und Kommunismus als zwei Formen des Massenmords darstellte und dabei für den Kommunismus gleich noch höhere Opferzahlen berechnete. Diese Runde ging an Nolte, denn die Mehrheit der Deutschen stimmte am Ende zu: »Nazis oder Kommunisten, das sind alles böse Buben und nicht nur die Deutschen haben Dreck am Stecken.« Für diesen Erfolg erhielt Nolte letztes Jahr den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung der CDU. Die Preisverleihung in München nutzte er als Plattform zur Agitation gegen das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin: »Wie das totale Vergessen, so ist auch eine totale Erinnerung widermenschlich.«

Auf literarischen Gebiet sorgte sich der Schriftsteller Martin Walser um die »Normalisierung« Deutschlands. In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Herbst 1998 beklagte er die angebliche »Dauerpräsentation unserer Schande« und formulierte den Wunsch vieler Deutschen nach einem »unverkrampften« Nationalismus: »Aber in welchen Verdacht gerät man, wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein normales Volk, eine gewöhnliche Gesellschaft?« Er sah die Deutschen verunglimpft von »Meinungssoldaten«, die die Vergangenheit für »gegenwärtige Zwecke« instrumentalisierten.

Walser war nicht der einzige Schriftsteller, der sich zum Sprachrohr deutscher Befindlichkeiten machte. In seinem Essay »Über die gutmütigen Deutschen« bediente Hans Magnus Enzensberger ähnliche Ressentiments. Die Walserschen »Meinungssoldaten« hießen bei ihm »Verweser unseres schlechten Gewissens«, die er warnte: »Lasst ab von euren ewigen Vorwürfen, senkt eure Stimme, hört auf, alle die geduldigen Nettozahler, Blutspender und Feuerwehrleute zu verdächtigen und zu erpressen, die für eure Gehälter aufkommen.«

Bei Enzensberger scheint das Bild des ewig zahlenden Deutschen auf, wie es die Boulevardpresse auch gerne beschwört. Der Mythos von Deutschland als »Melkkuh der Nationen« ist eine modernisierte Form der Nazi-Propaganda gegen die Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg. In der Verweigerung der Entschädigungszahlungen an Zwangsarbeiter durch die deutsche Industrie findet er seinen jüngsten Ausdruck.

Nicht immer aber kommen diejenigen, die solche Diskurse anzetteln wollen, mit ihren Themen durch. Die aktuelle Rezeption des Buches »The Holocaust Industry« von Norman Finkelstein wäre kaum denkbar ohne Walsers gründliche Vorarbeit. Anderen blieb weniger Erfolg beschieden. Der Musiker Heinz Rudolf Kunze konnte sich nicht mit seiner Forderung nach Quoten für deutsche Musik im Radio durchsetzen.

Auch die deutschen Sprachschützer waren bisher nicht erfolgreich. Berlins Innensenator Eckart Werthebach scheiterte kürzlich mit seiner Forderung, ein Sprachschutzgesetz zu erlassen, das die deutsche Sprache vor Anglizismen bewahren soll.

Oft handelt es sich bei solchen abstrusen Vorschlägen nur um Testballons. Im zweiten Anlauf steigt dann der Handlungsdruck. Zwangstests in deutscher Sprache für einbürgerungswillige Ausländer sind schon Realität. In Sachen deutsche Musik oder deutscher Film, die es gegen Hollywood oder MTV, gegen US-amerikanische Flachheit zu verteidigen gilt, ist noch einiges zu erwarten.

Da es ein schleichender, den Alltag erfassender Prozess ist, gewöhnt man sich an die Okkupation des öffentlichen Raums und des Diskurses durch nationalistische oder sogar nationalsozialistische Symbole und Thesen. Auf Wände geschmierte Hakenkreuze gehören inzwischen wieder fast selbstverständlich zum Erscheinungsbild deutscher Städte. Und der »Stolz, ein Deutscher zu sein« erlebt landauf, landab ein Revival.