Ausweisung russischer Diplomaten

Liebesgrüße aus Washington

Niemand gibt es freiwillig zu, aber alle tun es - Spionage ist ein integraler Bestandteil der internationalen Beziehungen. Dass nicht alle Mitarbeiter einer Botschaft sich mit der Ausstellung von Visa beschäftigen, ist kein Geheimnis. Wird ein Diplomat bei »Aktivitäten, die mit seinem Status nicht vereinbar sind« - so der regierungsoffizielle Ausdruck für Spionage - ertappt, leitet man gewöhnlich durch diskrete Verhandlungen seine Abberufung in die Wege.

Am 18. Februar wurde der FBI-Agent Robert Hanssen verhaftet, ihm wird vorgeworfen, seit 1985 für die Sowjetunion und später für Russland spioniert zu haben. Mitte März verließ Wladimir Frolow, der Presseattaché der russischen Botschaft und Hanssens mutmaßlicher Kontaktmann, überraschend die USA. Damit schien die Angelegenheit erledigt. »Wenn jemand Fragen oder Zweifel gehabt hätte, so wäre es leicht gewesen, dies über (...) spezielle Kanäle und Kontakte beizulegen«, erklärte Außenminister Igor Iwanow. »Unglücklicherweise hat Washington sich für einen anderen Weg entschieden, sodass dieser Schritt nur als ein politischer betrachtet werden kann.« US-Präsident George W. Bush hat am 21. März unter Berufung auf den Fall Hanssen die Ausweisung von 50 russischen Diplomaten beschlossen. Zwei Tage später reagierte die russische Regierung mit einer Ausweisungsverfügung gegen 50 US-Diplomaten.

Die Inszenierung eines Spionageskandals wurde in Russland und den USA als Zeichen einer härteren Linie der neuen US-Regierung gegenüber Russland gewertet - »ein scharfes Abweichen von der Politik der Vereinbarungen ihrer Vorgängerin, das sich in Richtung auf eine Isolierung Russland und seines Präsidenten bewegt«, so die New York Times. Die Massenausweisung - die erste derartige Aktion seit 1986 - war nur der letzte Schritt in einer Reihe politischer Maßnahmen und diplomatischer Affronts, mit denen die neue US-Regierung Russland verärgerte. Ex-Präsident William Clinton hatte zumindest noch betont, er wolle über eine Neuformulierung des ABM-Vertrages verhandeln, bevor die USA das Raketenabwehrsystem NMD aufbauen.

Bush zeigt dazu keinerlei Bereitschaft, sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schaffte es, in seiner Rede über NMD bei der Wehrkundetagung in München Anfang Februar, Russland nicht einmal zu erwähnen, und verließ die Versammlung vor der Rede des russischen Delegierten. Bush und CIA-Direktor George Tenet bezeichneten Russland als potenzielle Bedrohung - zugleich hat die US-Regierung angekündigt, die Finanzhilfe für die Vernichtung ausgemusterter russischer Atomwaffen zu kürzen. Und trotz russischer Proteste ist ein Treffen zwischen John Beyrle, einem hochrangigen Beamten des Außenministeriums, und dem tschetschenischen »Außenminister« Ilyas Akhmadow geplant.

Ob imperiale Arroganz oder bewusste Provokation - für Russland ist die neue US-Politik ein zusätzlicher Grund, sich um das Wohlwollen der EU-Staaten zu bemühen. Zwar gibt es auch hier einige Streitpunkte. So betonte Präsident Wladimir Putin beim EU-Gipfeltreffen in Stockholm noch einmal die russische Sorge über die Einkreisung der Provinz Kaliningrad durch die geplante EU-Erweiterung. Unklar bleibt auch, wie weit sich die EU von den USA abgrenzen und ob es den EU-Staaten überhaupt gelingen wird, sich auf eine gemeinsame Außenpolitik zu einigen.

Die Aussage des schwedischen Premierministers Goran Persson, Russland sei ein »besonderer Partner, der stärker in den Aufbau eines stabilen und friedlichen Europa einbezogen werden sollte«, klang dennoch freundlicher als alles, was seit dem Amtsantritt Bushs aus den USA zu hören war. In seiner Rede in Stockholm bot Putin am 23. März der EU eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Energiesektor an, warb um europäische Investitionen - und lobte den Aufbau eigenständiger EU-Militärkapazitäten.