»Glückwunschantenne« beim ORB

Bleib froh und gesund

Hartnäckig behauptet sich im ORB eine ostdeutsche Tradition. Stundenlang werden Geburtstagsglückwünsche verlesen

Geburtstag zu haben sollte eigentlich nichts weiter bedeuten, als Geschenke zu bekommen. Viele Geschenke, wobei auf kunstvolle Verpackung ruhig ebenso verzichtet werden kann wie auf die immergleichen Wünsche: viel Geld, gute Gesundheit und alles Liebe. Die meint sowieso kaum jemand wirklich ernst, weswegen auch nur die wenigsten Glückwunschkarten wirklich konzentriert durchgelesen werden. Schon gar nicht, wenn nicht mindestens ein Zwanzigmarkschein drinliegt.

Trotzdem glauben immer noch erstaunlich viele Menschen, dass man auch mit nicht-materiellen Dingen große Freude beim Geburtstagskind auslösen könnte. Und schalten, wenn schon keine ungelenken Kinderzeichnungen »für die liebe Tante« organisiert werden konnten, z.B. Glückwunschanzeigen in der örtlichen Zeitung. Unter der eher rohen Zeichnung eines Blumenstraußes steht dann in aller Regel der Spruch: »Kaum zu glauben, aber wahr, der Hartmut wird heut 50 Jahr«. Unterzeichnet wird das Machwerk meistens von dubiosen Personen wie »den Buxtehudern« oder »den Fünf aus Marienfelde«, die glauben, damit von der Geschenkepflicht befreit zu sein.

Eine Steigerung dieses Geburtstagsterrors galt, zumindest in Westdeutschland, eigentlich als unmöglich. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg beweist jedoch in seinem Fernsehprogramm werktäglich ab 16 Uhr, dass es für Geburtstagskinder immer noch schlimmer kommen kann. Ihnen wird nämlich in der Sendung »Glückwunschantenne« gratuliert. Und das kann nur zu Stress führen, der dem »Ehrentag« völlig unangemessenen ist.

Für den ORB ist die Sendung dagegen ein Quotenbringer: Wer in Brandenburg Geburtstag hat, ist praktisch verpflichtet, die Show anzusehen, um entweder zu überprüfen, ob sich irgendjemand unterstanden hat, ihn öffentlich anzudichten, oder um herauszufinden, ob er überhaupt noch befreundet ist mit »dem lustigen Quartett aus Doberlug-Kirchhain«.

Die »Glückwunschantenne« besticht auf den ersten Blick vor allem durch das liebevolle Design. Ein Strauß roter Rosen ruht in einem gelben Plastikeimer, der seinerseits auf einem mit einer lila Plastikdecke verzierten kleinen runden Tisch steht. Der Rest des Studios ist wie die Moderatorin in hellem DDR-Beige gehalten. Die Ausnahme bildet das »Glückwunschantennen«-Logo, das prozacgrün in der linken oberen Ecke prangt.

»Ich rieche förmlich den Kaffeeduft an Ihren festlich gedeckten Tischen«, beginnt die Moderatorin ihren Einführungsmonolog, »aber trotzdem möchte ich so manches Geburtstagskind jetzt beim Schlemmen und bei guter Unterhaltung stören.«

Zuerst werden bei der Glückwunschantenne die ältesten Jubilare geehrt, was daran liegen mag, dass die Heimleitungen sie so schnell wie möglich zurück in ihre Betten stopfen wollen. Der 100-jährigen Frieda Kühnen aus Golchow gratulieren z.B. die »guten Seelen ihres Seniorenheims, haben Sie einen guten Tag«. Auch Oberbürgermeister Kleinschmitt wollte die Gelegenheit, ins Fernsehen zu kommen, nicht ungenutzt verstreichen lassen und grüßt: »Bleib froh und gesund / zu jeder Stund.«

»Nun erfreuen wir die liebe Mutti im Seniorenheim«, jubiliert die Moderatorin. Die lieben Muttis sitzen alle in Altenknästen, und besuchen wird sie dort nach Möglichkeit niemand. Die Trudis und Michis lassen sich im Selbstgedichteten samt und sonders entschuldigen, »leider« können sie am großen Tag nicht da sein, aber sie denken »ganz doll an dich«. Na super, aber immerhin dürfen die einsitzenden lieben Muttis ihre Verwandtschaft auf extra eingeblendeten Fotos begucken. Oder sich selbst, wie die »herzallerliebste Mutti«, der Sohn Horst ein paar Zeilen widmete. »Die Jahre eilen so geschwind, drum lebe froh jeden Tag, den dir der Herrgott schenken mag.« Ein Bild zeigt Mutti und Horst, in Jogginganzüge gewandet und deutlich high vom Klosterfrau Melissengeist auf einer zweifellos anstaltseigenen Couch sitzen.

»88 Jahre sind vorbei, nicht alle waren sorgenfrei«, wird die nächste Jubilarin angedichtet, die Ode endet: »Alle haben sie sehr lieb!« Alle sind in diesem Fall Edith und Erwin Örtel, aber wenn man es in 88 Jahren nicht geschafft hat, sich Feinde zu machen, dann hat man wohl auch nicht richtig gelebt.

Nach so viel Glückwünscherei ist eine Erholungspause fällig. Sie besteht aus musikalischem Archivmaterial, in dem von Blumen oder großer Liebe die Rede sein muss. So auch in diesem Fall: »Rote Rosen bring ich für dich, schöne Frau«, knödelt ein deutlich den siebziger Jahren entsprungener schwarz gefärbter Herr im weißen Anzug mit beigem Hemd und braungemickerter Krawatte. Weil in dem Lied außer der Überbringung eines Blumenstraußes nichts weiter passiert, macht sich der Fleurop-Bote auf zu einer ausgedehnten Wanderung durch die Gipsputtendeko.

Nach Vortragsende wird nun das »liebe, gute Gabilein« geehrt. Gabilein, eine dauergewellte Brünette mit beigefarbenem Schlappohrhasen im Arm, erhält von namentlich nicht genannten Personen ein kleines Gedicht, das mit den Zeilen endet: »In diesen Text so fein, stimmt auch« - nein, nicht der Kaninchenzüchterverein Beige-Braun Brandenburg, sondern - »von Schalke Andy Möller ein.«

Der den nächsten Jubilar aber nicht beglückwünscht. Der Mann im blauweißkarierten Hemd hat aber immerhin, so erfahren wir, 1983 Kerstin geheiratet. »Das Allerschönste« im Leben des Gatten ist jedoch Kerstins Garten. Vergleichsfotos von Kerstin und Garten werden allerdings nicht vorgelegt, deshalb steht nun die nächste Ehrung an. Humbert Rocks aus Jüterbog, ein Mann ohne Haus, Garten und Ehefrau, dafür aber mit auf dem eingeschickten Bild deutlich erkennbarem Hang zu Rehgeweihen, wird von »den Neugersdorfern und den Trebbinern« herzlich gegrüßt.

Die »Glückwunschantenne« anzusehen bedeutet in erster Linie, viel über ostdeutsche Wohnzimmer zu erfahren. Sie sind durchweg mit weißen Lochmusterdecken bestückt, während die in aller Regel unauffällige Sitzgarnitur von Häkelkissen und karierten Decken bewohnt wird. Die Familien sind groß und passen farblich meist nicht zur Ausstattung ihrer guten Stuben, die überdies einen erstaunlichen Mangel an Stehlampen offenbaren. Deckenfluter scheinen in der Zone nach wie vor der letzte Schrei zu sein.

Der steht auch jetzt wieder an, allerdings musikalisch, von der Moderatorin kongenial angekündigt: »Hoffentlich hat sie sich nicht in einen Ameisenhaufen gesetzt, denn es prickelt und kribbelt bei Christina Bach.«

Das Problem wird gleich in den ersten Versen deutlich: »Es prickelt und kribbelt auf meiner Haut, wenn du bei mir bist.« Und es gipfelt in der anklagenden Frage: »Wer hat dir das denn bloß erlaubt?« Nach dem musikalischen Gruß werden wieder Fotos gezeigt. Von einem Mann mit Schäferhund vor dunkelbrauner Veloursgardine (Ronnie Röder, 36), zwei verstörten Kindern mit Mutti vor Plattenbau (Ramona Matthiesen, 35), einer Frau mit gelbem Lochmuster-Häkelkissen (Christine Bahrholz, 33) und einem jungen Mann vor Stereoanlage. Er heißt Roland Busch und wird ermahnt: »Es gibt einen Spruch auf Erden: Du musst bedeutend ruhiger werden.« Ob sich Roland trotz der öffentlichen Ausstellung seines unvorteilhaften Fotos dazu entschließen kann, ist unklar. Mit ein bisschen Glück hat er aber die Sendung verpennt, und das fällige Familienmassaker ist deswegen ausgeblieben. Vielleicht hat er sie aber auch gesehen und sich tatsächlich gefreut. War schließlich mal eine Abwechslung zu den ewigen Kinderzeichnungen für »den lieben Onkel Roland«.