»Wasser Marsch!« von Superpunk

Die Welt ist Wurst

Superpunks zweites Album »Wasser Marsch!« klingt nach Mods und Zahnersatz.

Soul kann ja fast jeder heutzutage. Dank der Digitalisierung der Musikproduktion gelingt es auch Bleichgesichtern aus ungroovigen Gegenden, etwa Helsinki oder Frankfurt/Main, Songs zu basteln, die nach Schwärze und Seele klingen. Superpunk sind ebenfalls Bleichgesichter, die Soul machen und haben, aber sie eignen sich diese Musik auf eine Weise an, die in der prä-digitalen Zeit verbreitet war. Das Quintett aus Hamburg hat sich dem Northern Soul verschrieben, jenem Subgenre, das geprägt ist von rohen, unkommerziellen Songs mit einem schnellen permanenten Beat. Eingespielt wurden diese so genannten Stomper oft von Musikern, die nach einer Platte wieder in der Versenkung des geregelten Arbeitslebens verschwanden. »Wir haben uns bewusst das Ziel gesetzt, diese Musik mit unseren Möglichkeiten, also auf eine eher holprige Art, nachzubauen«, sagt Carsten Friedrichs.

Wenn man »Wasser Marsch!« hört, das zweite Album von Superpunk, hat man sofort Mods vor Augen, denn sie waren schließlich mitverantwortlich dafür, dass Northern Soul für einen etwas breiteren Hipster-Kreis zugänglich wurde. Carsten Friedrichs sagt allerdings, er wisse nicht, »was einen Mod im Jahr 2001 ausmacht«. Und er selbst sei auch nur »höchstens drei Tage lang« einer gewesen: »Immer wenn ich versucht habe, irgendetwas zu sein, also Mod oder Punk, habe ich das schnell wieder aufgegeben, das war zu lächerlich.«

Superpunk erinnern an die späten Jam (»Town Called Malice«) und die frühen Dexy's Midnight Runners, vor allem aber an eine heute vergessene White-Soul-Band namens Redskins, die aus Mitgliedern der trotzkistischen Socialist Workers Party bestand.

Das Trio hatte seine glorreichen fünf Minuten Ende 1984, Anfang 1985, als monatelang die britischen Bergarbeiter streikten und deren Mentor, der linke Labour-Funktionär Arthur Scargill, auch weit über Großbritannien hinaus ein Sympathieträger war. Die Redskins, denen Spex seinerzeit drei Seiten widmete, unterstützten ebenso wie Billy Bragg und Style Council den zeitweise militanten Streik, und dennoch war man damals noch weit entfernt davon, Pop und Politik in einem Atemzug zu nennen. Das Engagement hat den Redskins wenig gebracht. Der Sänger Chris Dean, glaubt zumindest Carsten Friedrichs zu wissen, arbeitete nach dem Ende der Band als Fahrradkurier; ein bisschen besser erging es dafür wenigstens Lothar Gorris, der die Gruppe damals für Spex interviewte; er leitet beim Spiegel jetzt das neue Ressort Gesellschaft/Reportagen.

Die Redskins druckten auf ihre Cover Slogans wie: »Es ist besser aufrecht zu sterben, als auf Knien weiterzuleben!« - inspiriert von den spanischen Republikanern, die das im Bürgerkrieg gegen die Francisten proklamiert hatten. Auch Superpunk mögen solche Parolen. »Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen«, heißt zum Beispiel der erste Song der Platte. Das Referenzsystem liefern allerdings nicht Redskins oder der spanische Bürgerkrieg, sondern das Stück »You Can't Keep A Good Man Down« von Gentlemen Four, einem jener Northern-Soul-Klassiker, von dessen Existenz weltweit nur wenige tausend Menschen wissen.

»Es passiert oft, dass ich in englischsprachigen Songs auf Textbausteine stoße, die ich dann übersetze und um die herum ich einen Text baue«, sagt Friedrichs. So entstanden auch die kolossalen Zeilen: »Ich bin nicht böse geboren / Ich wollt nur neue Zähne für meinen Bruder und mich.« Hierzu ließ er sich zum einen von Morrisseys Zeile »I'm not naturally born evil« aus »The Last of The Famous International Playboys« anregen, einem Stück über ein in England berühmtes Gangster-Duo, zum anderen von einem Zeitungsartikel, demzufolge tatsächlich zwei Brüder jemanden entführten, weil sie neue Zähne brauchten. »Kriminalität fasziniert mich, es interessiert mich, warum Leute jemanden entführen oder überfallen, ich will wissen, was hinter Geschichten steckt, in denen Verbrecher als Vieh beschrieben werden«, sagt Friedrichs. Kein Wunder, dass er Jura studiert, was er, obwohl er kurz vor dem Examen steht, als »Schnapsidee« bezeichnet.

Textlich sieht sich Friedrichs - etwas überraschend auf den ersten Blick - vor allem von Georges Simenon beeinflusst. »Auch 'Neue Zähne für meinen Bruder und mich' hat etwas von ihm«, sagt der Sänger, der »Der große Bob«, »Der Umzug« und »Maigret gerät in Wut« für Simenons All-Time-Classics hält. Maigret mag er, »weil der oft die Straftäter laufen lässt, der ist nicht so'n typischer Bulle«. Mit Maigret im Fernsehen kann Friedrichs indes wenig anfangen, »denn da sieht er immer anders aus, als ich ihn mir beim Lesen vorstelle«.

Unter den Fernsehkrimis bevorzugt er »Detektiv Rockford - Anruf genügt«: »Rockford ist einer, der immer wieder in die Scheiße gerät, weil er freundlich sein will. Und einer, der immer wieder aufsteht, auch wenn der Tag mit einem Streit mit seinem Vater und einer Prügelei anfängt, nach der er sich in einer Mülltonne wiederfindet.« So gesehen ist Carsten Friedrichs eine Kreuzung aus Jim Rockford und Maigret, ein Romantiker, der Gerechtigkeit will, ein Anwalt der Verlierer.

Obwohl Friedrichs sämtliche 250 Simenon-Romane zu Hause stehen hat, sieht er sich nicht als Hardcore-Sammler-Typen: »Ich würde zum Beispiel nie 40 Mark für eine Soul-Single ausgeben, das kann ich mir nicht leisten.« Dafür archiviert der Jurist in spe vor allem obskure Fakten. So scheint er sämtliche Begebenheiten, die mit Pop und Fußball zu tun haben, auf der Festplatte zu haben. Er weiß genau, bei welchen HSV-Spielen Samantha Fox und Status Quo in der Halbzeit aufgetreten sind. Und er hält es für ein wichtiges Detail, dass Morrissey bei seinem letzten Auftritt in Hamburg ein Trikot von West Ham United getragen hat, obwohl der ehemalige Smiths-Sänger mit Fußball gar nicht viel an der Mütze hat.

Fußball ist nämlich nach Soul und Simenon ein weiterer wesentlicher Einfluss für Friedrichs, der zum Beispiel singt: »Ich beschimpfe Fans von anderen Vereinen, wenn sie auf der anderen Straßenseite gehen.« So verkörpern Superpunk eine Dreieinigkeit von Fußball, Pop und einer Art Sozialismus-Humanismus, die für den deutschsprachigen Raum einmalig ist. Der stärkste Fußball-Einfluss lässt sich fest machen an dem Wort »Bratwurstigkeit«, von dem auf »Wasser Marsch!« zweimal die Rede ist. »Bratwurst« ist ein von Fußballern und Fans geprägtes Schimpfwort, das ungefährt so viel heißt wie Blinder oder Trottel. Wollte man also die Haltung von Superpunk in einem Satz zusammenfassen, könnte man sagen: Die Welt ist eine Bratwurst.

Superpunk: »Wasser Marsch!«, L'Age d'Or/ Zomba