Trittin und der Castor

Grüne Fürsorge

Fast hätte Jürgen Trittin einem schon wieder sympathisch werden können. Sein Vergleich des CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer mit einem Skinhead gehört zu den wenigen scharfsinnigen Äußerungen, die man von Mitgliedern der rot-grünen Bundesregierung in den vergangenen zweieinhalb Jahren vernehmen konnte.

Doch obwohl CDU und CSU dieses Gespenst gerne beschwören, ist Trittin leider nicht der linksradikale Usurpator, der den Marsch durch die Institutionen nur deshalb angetreten hat, um im rechten Moment dann doch noch der Weltrevolution zum Durchbruch zu verhelfen. Ab und an wird zwar noch erkennbar, dass Trittin in seiner Zeit beim KBW und in der Anti-Atom-Bewegung ein gewisses politisches Bewusstsein entwickeln konnte. Alles in allem sind seine seltenen Geistesblitze aber doch nur Ausrutscher, die ihm wenige Tage später wieder peinlich sind.

Im Vergleich zu Joseph Fischer ist Trittin zwar etwas weniger machtgeil und wohl auch nahezu integer. In der Aufarbeitungsdebatte über Mescalero-Artikel, Meinhof-Demos und Polizistenprügeleien jedenfalls hat er sich dem gesunden Volksempfinden nicht halb so schleimig angebiedert wie sein Konterpart Fischer. Ob er deshalb das kleinere Übel ist, sei dahingestellt. Schließlich sind Figuren wie Trittin vor allem dazu da, die grüne Basis - von der Anti-Atom-Bewegung über die Pazifisten bis zu den Ökos - bei der Stange zu halten, auch wenn für alle längst offensichtlich ist, dass die rot-grüne Regierungspolitik mit den einstigen grünen Idealen so viel zu tun hat wie ein deutscher Angriffskrieg mit der Verteidigung von Menschenrechten.

Nach den Protesten gegen den Castor-Transport platzte dann aber auch dem ach so fortschrittlichen Umweltminister der Kragen. Denn die Aktivisten quittierten nicht nur die Anbiederungsversuche der neuen grünen Parteivorsitzenden Claudia Roth im Wendland mit Pfiffen und Buhrufen. Sie brachten schließlich trotz allen bündnisgrünen Gefasels von der »moralischen Verantwortung Deutschlands« für den in Frankreich aufbereiteten Atommüll auch noch den Castor-Fahrplan mit erfolgreichen Blockaden durcheinander.

Wie sein Parteifreund Rezzo Schlauch, der zuvor bereits harmlose und mit Bedacht geplante Sägearbeiten an Bahngleisen als »hinterhältige und kriminelle Anschläge« geißelte, so beteiligte sich schließlich auch Trittin an der Diffamierung des Widerstands. Ins Visier nahm er vor allem die Aktivisten der Umweltorganisation Robin Wood. Vier Mitglieder hatten sich an den Gleisen einbetoniert und so den Castor zeitweilig gestoppt. Ein 16jähriges Mädchen, das sich unter den Aktivisten befand, weckte in Trittin den Staatsschützer: Es sei kaum mit der Fürsorgepflicht zu vereinbaren, wenn man eine Minderjährige in eine Situation bringe, in der ihre Gesundheit von der Polizei gewährleistet werden müsse.

Mit der Fürsorgepflicht eines grünen Umweltministers scheint es dagegen durchaus vereinbar zu sein, hochgradig radioaktiven Müll quer durch Deutschland und Europa rollen zu lassen, ohne dass es überhaupt klar wäre, wo das giftige Zeug am Ende landen wird. Mal abgesehen davon, dass die Castor-Transporte von La Hague nach Gorleben bekanntlich nur dazu dienen, in der französischen Wiederaufbereitungsanlage wieder Platz für neuen deutschen Atommüll zu schaffen und somit den Weiterbetrieb der deutschen AKW zu garantieren.

Die nächsten Transporte warten schon: Im bayerischen Atomkraftwerk Grafenrheinfeld zum Beispiel liegen sieben Atommüllbehälter zum Transport nach La Hague bereit.