Neue Verhandlungen in Nahost

Dialog mit Waffen

Der militärische Druck Israels auf die Palästinenser nimmt zu, verhandelt wird aber weiterhin. Die israelische Linke glaubt, dass eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen möglich ist.

Zwei Monate ist es mittlerweile her, dass Ariel Sharon mit den Stimmen eines Drittels der israelischen Wähler zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Doch noch immer kann es die israelische Linke kaum fassen. Im Editorial der neuesten Ausgabe der Zeitschrift The Other Israel erinnern Adam Keller und Beate Zilversmidt daran, dass Sharon für weite Teile der israelischen Gesellschaft nach dem Libanonkrieg vollständig desavouiert war und von einer unabhängigen Untersuchungskommission für unfähig befunden wurde, ein wichtiges politisches Amt zu bekleiden. Inzwischen, so stellen die Autoren verblüfft fest, hat Israel alles vergessen. Die Schuld daran, darin ist man sich innerhalb der Linken einig, liegt bei Ehud Barak: »Barak war entweder ein unglaublich inkompetenter Opportunist oder ein Krypto-Kriegstreiber, jedenfalls folgte das Peace Camp dem falschen Mann.«

Das Ergebnis war, dass ein Großteil der Linken und praktisch alle arabischen Israelis entweder gar nicht zur Wahl gingen oder leere Stimmzettel abgaben, da sie einen wesentlichen Unterschied zwischen Barak und seinem Herausforderer Sharon nicht erkennen konnten. In einem Punkt scheinen sie dabei Recht behalten zu haben. Sharons politische Linie gegenüber den Palästinensern ist genauso wenig eindeutig, wie es diejenige Baraks war.

Allerdings deutet alles darauf hin, dass die Ausschläge in beide Richtungen noch stärker sein werden. Auf der einen Seite erhöhte Sharon seit Beginn seiner Amtszeit den militärischen Druck auf die Palästinenser. Nicht nur, dass die Abriegelung einzelner Städte der West Bank noch verschärft wurde. Sharon griff nun auch gezielt in größeren militärischen Aktionen Stellungen und Einheiten der palästinensischen Selbstverwaltung an, so etwa Polizeistationen und Einrichtungen der Elitetruppe Force 17. Außerdem nimmt Sharon die bereits unter seinen Vorgängern punktuell erprobte Taktik der gezielten Ausschaltung militärischer Führer der Fatah und der islamistischen Organisationen wieder auf. So wurde ein Führer der Organisation Islamischer Djihad, Iyad Hardan, am vergangenen Donnerstag Opfer eines israelischen Bombenattentats.

Gleichzeitig intensiviert die israelische Regierung den in der letzten Zeit immerhin stagnierenden Ausbau der Siedlungen. Letzte Woche wurde bekannt gegeben, dass in den Siedlungen Maaleh Adumim und Alfei Menashe mehrere Hundert neue Wohnungen gebaut werden sollen. Auch der aggressive anti-arabische Ton insbesondere von Avigdor Liebermann und Rechavam Zeevi, den beiden Ministern der Partei Israel Beitenu, trägt nicht gerade zum Abbau der Spannungen bei.

Auf der anderen Seite fanden in der letzten Woche die intensivsten Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern seit langem statt. Am vergangenen Mittwoch trafen sich der israelische Außenminister Shimon Peres und die palästinensischen Minister Nabil Shaat und Saeb Erekat am Rande einer Wirtschaftskonferenz in Athen. Zur gleichen Zeit bestätigte Sharon inoffizielle Kontakte seines Sohnes Omri zu Arafat. Und schließlich führten ebenfalls am Mittwoch Vertreter des israelischen und des palästinensischen Geheimdienstes Gespräche über Sicherheitsfragen.

Offensichtlich ist Sharons Erklärung, dass er nicht unter Feuer verhandeln werde, nicht allzu ernst zu nehmen. Sogleich wurde er von rechten Koalitionspolitikern heftig kritisiert. Wie um diese Kritik zu unterstreichen, endeten die Sicherheitsgespräche mit einem Schusswechsel zwischen israelischen Einheiten und den Leibwächtern der palästinensischen Delegation. Ob, wie vom palästinensischer Seite gemutmaßt wurde, die Armee und ihr Generalstabschef Shaul Mofaz auf eigene Rechnung die Verhandlungsbemühungen sabotierten, lässt sich kaum klären. Dies könnte aber auch das Kalkül der palästinensischen Schützen gewesen sein, die der Darstellung der israelischen Armee zufolge zuerst das Feuer eröffnet hatten.

Denn wie die israelische Politik ist auch die palästinensische keineswegs eindeutig. Selbst für den israelischen Geheimdienst ist es kaum noch zu überschauen, wer hier wem die Befehle gibt. Es scheint immer deutlicher zu einer Differenzierung zu kommen zwischen einer Basisbewegung, die nach den schweren Verlusten zu einer nicht militärischen Strategie tendiert, und einzelnen radikalen Gruppen, die im Namen Gottes oder weltlicher Warlords den bewaffneten Kampf fortsetzen und intensivieren wollen.

Weit mehr noch als konkrete politische oder militärische Maßnahmen dürfte das ideologische Klima über den weiteren Verlauf des Konfliktes entscheiden. Nicht zufällig steht ganz oben auf der Liste der israelischen Forderungen die Einstellung der antiisraelischen und zu einem erheblichen Teil antisemitischen Propaganda von palästinensischen Politikern und von Medien, die direkt oder indirekt von der Selbstverwaltungsbehörde abhängen. Mit großer Genugtuung hat man in Israel zur Kenntnis genommen, dass es gerade auch palästinensische Intellektuelle waren, die zur Absage der geplanten Revisionismus-Konferenz in Beirut (Jungle World, 15/01) beigetragen haben.

Doch auch die öffentliche Meinung in Israel hat sich in den letzten Monaten deutlich zu Ungunsten des Friedensprozesses verändert. In einer am 30. März von der Zeitung Yediot Ahronot publizierten Meinungsumfrage des renommierten Dahaf Instituts wurde festgestellt, dass 58 Prozent eine schlechtere Meinung über die Palästinenser haben als vor Beginn der Intifada und dass immerhin 37 Prozent eine schärfere politische Haltung einnehmen als zuvor. Nur noch ein Drittel der Israelis glaubt demnach an die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens. Dies beschreibt nicht nur einen deutlichen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft, sondern auch den schwer wiegenden Tatbestand, dass selbst das Peace Camp einen Großteil seiner Hoffnungen inzwischen aufgegeben hat.

Dennoch werden im linken und linksliberalen Spektrum der israelischen Gesellschaft die Entwicklungen der letzten Woche insgesamt optimistisch beurteilt. So betrachtet die Zeitung Ha'aretz die jüngsten Gespräche als einen Auftakt zu neuen Verhandlungen. Auch die linke Friedensgruppe Gush Shalom glaubt erkennen zu können, dass die Aktivitäten der Friedensbewegung zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit finden.

Die bereits zitierte Umfrage des Dahaf Instituts konnte auch weiterhin eine Mehrheit für die Evakuierung der Siedlungen feststellen. Vieles wird davon abhängen, ob es möglich sein wird, eine israelische Linke zu rekonstruieren, die von der Möglichkeit des Friedens überzeugt ist und Einfluss auf die politische Entwicklung nehmen kann. Dies aber ist nur dann denkbar, wenn sie unter den Palästinensern einen Partner findet, der sich einer Regression in die Zeiten antiisraelischer und antisemitischer Ideologie zu widersetzen bereit ist.