Streit um russischen Privatsender

Moskauer Mattscheibe

Im Streit um den russischen Privatsender NTW unternimmt Wladimir Putin einen weiteren Versuch, sich der Oligarchen aus Boris Jelzins Tagen zu entledigen.

Zumindest einmal pro Woche hat der russische Präsident Wladimir Putin einen Grund, sich wirklich zu ärgern. Dann läuft im russischen Privatsender NTW eine bösartige politische Persiflage, und dabei kommt der Herr der Russen schlecht weg. Meistens wird Putin in der Sendereihe, die »Spitting Image« nachempfunden ist, als träges reptilienartiges Wesen gezeigt, das ähnlich agiert wie die schon längst ausgestorbenen Dinosaurier. Mit solchen Späßen ist vielleicht bald Schluss, denn momentan setzt Putin alles daran, den mit täglich etwa 100 Millionen Zuschauern größten Privatsender Russlands durch geschicktes Taktieren unter seine Kontrolle zu bekommen.

Vergangene Woche schaffte es der halbstaatliche Energiekonzern Gazprom, seine Anteile an NTW auf 50,5 Prozent zu erhöhen. Seitdem beherrscht Gazprom den Sender, der ursprünglich von dem Oligarchen Wladimir Gussinski gegründet worden war, der gegenwärtig in Spanien unter Hausarrest steht. Gussinski kämpft seit Monaten darum, von Spanien nicht an die russische Justiz ausgeliefert zu werden und vermutet hinter seiner Verfolgung eine politische Intrige von Präsident Putin.

Das mag wohl ein Teil der Wahrheit sein, der andere Teil ist aber Gussinskis Geschicklichkeit bei der Vermeidung von Steuern und seine Gewohnheit, bestimmte Geschäfte mit Schmiergeldern zu befördern. Die russische Justiz entzog ihm einen Teil der Stimmrechte seiner NTW-Anteile und übertrug sie Gazprom. Das Industriekonsortium nutzte die neuen Befugnisse weidlich aus: Der bisherige NTW-Chef Jewgeni Kiseljow verlor seinen Job, ein neues Management wurde installiert.

Nun befürchten die rund 400 Journalisten des Senders, ihre kritische Haltung aufgeben zu müssen. »Wir wissen, was passiert, wenn wir das neue Management akzeptieren. Wir werden zu einer Maschinerie für die Kreml-PR«, vermutet etwa der Parlamentskorrespondent Ernest Mazkyavichus.

Viele Russen glauben offenbar der Argumentation der NTW-Rebellen. Am vergangenen Freitag demonstrierten 20 000 Moskauer vor dem Ostankino-Fernsehturm für die Unabhängigkeit von NTW und skandierten Parolen wie: »Ja zu NTW! Nein zu KGB!« Damit waren Wladimir Putin und seine Vergangenheit gemeint. Auch Reporter ohne Grenzen schloss sich dem Protest an. »In den letzten Monaten wurde massiv Druck auf NTW ausgeübt, und nun scheint die Unabhängigkeit des größten russischen Privatsenders ernsthaft in Gefahr«, heißt es in einer Pressemitteilung der Organisation.

Aber so einfach ist es nicht. Denn NTW ist genauso wenig unabhängig wie andere Sender in Russland. Es hat sich bloß auf die falsche, nämlich die schwächere Seite geschlagen. Noch 1996 bombardierte NTW die russische Bevölkerung mit überaus freundlichen Berichten über den damaligen Kremlherrscher Boris Jelzin und machte sich so um seine Wiederwahl verdient.

Wladimir Gussinski und Boris Jelzin waren eng befreundet. Unter dem neuen Präsidenten Putin wurde schnell alles anders. Er entzog sich dem Einfluss der Oligarchen um Jelzin und bekämpfte die mächtigen Milliardäre mit allen Mitteln. »Ich würde den heutigen Einfluss der Oligarchen nicht überschätzen. Früher waren sie mächtiger«, meint etwa der ehemalige russische Wirtschaftsminister Andrej Alexejowitsch Netschajew gegenüber Jungle World.

Der Kampf gegen die Oligarchie mag ehrenwert sein, wenn Putin sich aber den Medien zuwendet, hört sich das so an: »Die freien Medien agieren gegen den Staat.« Nach der Übernahme von NTW durch Gazprom jedenfalls könnte die politische Berichterstattung weiter vereinheitlicht werden, denn auch die anderen landesweiten Fernsehsender sind in staatlicher Hand.

Die Moscow Times kommentierte deshalb etwas bitter: »Bald wird es wahrscheinlich so sein, dass wir die 'Nachrichten aus dem Kreml' auf Kanal 1 empfangen, die 'Nachrichten vom Kreml' auf Kanal 2 und die 'Nachrichten für den Kreml' auf Kanal 3.« Schon jetzt beklagen Journalisten, dass in den Chefredaktionen der Nachrichtensender Dutzende ehemaliger Regierungssprecher säßen und dass die Verflechtung von Politik und Medien immer dichter werde.

Im Falle von NTW jedenfalls ist jetzt CNN-Gründer Ted Turner eingesprungen. Er möchte angeblich für 225 Millionen US-Dollar rund 30 Prozent der Anteile erwerben und sagt, er verfolge damit ein politisches Ziel: »Wenn mir Wladimir Gussinski und Gazprom jeweils Anteile abgeben, dann kann ich dafür sorgen, dass keiner der Eigentümer die alleinige Kontrolle über den Sender ausüben kann.«

Ein hübscher Gedanke, aber nicht der einzige; denn Turners Engagement in Russland hilft auch seinem Freund George Soros. Der New Yorker Börsen-Tycoon versucht schon seit Jahren, auf den russischen Markt vorzudringen, doch bisher haben ihm seine diversen Beteiligungen im Wert von rund zwei Milliarden Dollar nur Verluste eingebracht. Wenn er nun auf Einladung Ted Turners in den Sender investiert, könnte dies sein erster erfolgreicher Deal in Russland werden.

Zu Beginn der vergangenen Woche sprach auch Bundeskanzler Gerhard Schröder während seines Besuches in St. Petersburg mit Putin über NTW. Allzu beharrlich wird er die bedrohte Pressefreiheit in Russland nicht verteidigt haben. Schließlich hat Gazprom die Deutsche Bank beauftragt, mit Ted Turner über einen möglichen Kauf von Anteilen an NTW zu verhandeln.

Die bedrohten Oligarchen rücken unterdessen wieder näher zusammen. Boris Beresowski, ein ebenfalls in Ungnade gefallener Wirtschaftsmagnat, hat seinem ehemaligen Rivalen Gussinski angeboten, die NTW-Crew zu übernehmen und die diversen Nachrichtensendungen über seinen Kanal TV-6 ausstrahlen zu lassen.

Bisher begnügt sich Beresowskis Fernsehsender hauptsächlich mit seichten Serien und Shows, er gilt als russisches Pendant zu RTL II. Immerhin glaubt Beresowski, mit Gussinski einen Leidensgenossen gefunden zu haben: »Im letzten Jahr musste auch ich die Kontrolle über meinen Sender ORT an den Staat abgeben.«