Skandinavische Studie zu SMS

Komm! Doch! Vorbei!

Mobbing, Gruppenstress und Drogenmissbrauch durch SMS - eine skandinavische Studie warnt vor exzessiver Handy-Nutzung.

Wenn Deutsche irgendeine technische Neuerung zu entdecken beginnen, ist der Rest der Welt meistens schon viel weiter. Die Skandinavier, für die der Gebrauch von Internet und Handys schon seit Jahren völlig alltäglich sind, führen z.B. regelmäßig die Weltrangliste der SMS-Nutzer an. Nach den Finnen sind die Norweger die zweiteifrigsten. 1,4 Milliarden Short Messages verschickten die knapp vier Millionen Einwohner Norwegens im letzten Jahr. Besonders aktiv sind Jugendliche, 90 Prozent der Norge-Teens zwischen 15 und 20 Jahren haben ein Handy, 70 Prozent benutzen es für SMS.

Ob sich die Nutzung des Mediums positiv oder negativ auf das Kommunikations- und Sozialverhalten auswirkt, darüber herrscht aber unter den verschiedenen Experten große Uneinigkeit. Das Handy sei für die Altersgruppe der unter 20jährigen besonders deswegen interessant, weil »SMS das Flirten wesentlich einfacher und ungefährlicher gemacht hat«, sagt zum Beispiel Richard Ling, Soziologe und Forscher in der Entwicklungsabteilung des Telekommunikationsanbieters Telenor.

Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 1998 erhielten Kinder von ihren Eltern meistens deswegen Handys geschenkt, »um die Familienkommunikation zu vereinfachen«. Kids sehen jedoch ihre Handys nicht als Geräte, mit denen ihre Eltern sie ständig erreichen können. SMS wurden am Anfang fast ausschließlich zur schnellen Kommunikation unter Gleichaltrigen benutzt, weil die Kids nicht viel Geld für Handygebühren zur Verfügung haben und feststellen mussten, dass eine Prepaid-Karte ziemlich schnell abtelefoniert ist.

»Jugendliche können ihren Tagesablauf im Gegensatz zu ihren Eltern nicht am Frühstückstisch koordinieren«, erklärt Ling die Popularität des Handy bei Jugendlichen. Außerdem wohnten Freunde meist weit entfernt voneinander. »Ich glaube nicht, dass SMS den zwischenmenschlichen Kontakt stört, wie manche Kulturpessimisten behaupten.«

Durch SMS werde der Alltag eher bereichert, da die meisten User spontaner in ihren Tagesabläufen seien, kurzfristige Verabredungen (»Wir sitzen grad im Park, komm doch vorbei«) würden immer häufiger getroffen. SMS seien nur eine weitere Möglichkeit, dem »anderen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, indem man ihn z.B. grüßt oder ihm einen Witz schickt. Dabei stört man die Umgebung des anderen nicht so sehr wie mit einem Telefonanruf, das ist ein großer Vorteil«, fährt Ling fort, der im Übrigen glaubt, »dass die westliche Zivilisation nicht wegen SMS untergehen« werde.

Davon geht auch Bjorne Erik Hagbartsen aus. Jugendliche seien einfach viel seltener zu Hause als Erwachsene und verfügten über einen wesentlich größeren Freundes- und Bekanntenkreis, SMS seien daher für sie die ideale Kommunikationsform. Hagbartsen ist kein Technikgegner, sondern Produktionschef beim mobilen Internet-Lieferanten Feed. Dennoch kritisiert er, dass die extensive Kommunikation per SMS »unsere Grenzen in Bezug auf akzeptiertes Benehmen verschoben« habe. Es sei heute nicht mehr ungewöhnlich, dass jemand ein Gespräch mitten im Satz unterbreche, »nur weil er gerade eine Textmeldung erhalten hat«.

Das sind aber nicht die einzigen Sorgen, die der Handy-versessene Nachwuchs den Forschern bereitet. Nach einem Bericht der norwegischen Zeitung VG ergeben sich gerade unter Jugendlichen immer häufiger ganz andere Probleme. Laut einer Untersuchung unter 4 700 norwegischen Teenies im Alter von 16 bis 17 Jahren fanden zwar die meisten Befragten, dass ihr Sozialleben von SMS bereichert werde, die Kontakte zu ihren Freunden seien häufiger und intensiver geworden. Andererseits fördere die mobile Kommunikation, nach der Ansicht der Forscher, die Bildung von Gruppen und Gangs. Besonders unter Mädchen habe das Mobbing in den letzten Jahren stark zugenommen. Schuld sei die anonyme Verbreitung denunziatorischer Botschaften.

»Die Meldung wird immer weiter geschickt, und Eifersucht, Tratsch und Mobbing sind die Folgen«, sagt Thomas Haaland vom Norwegischen Institut für Stadt- und Regionalforschung. Oft sei diese unkontrollierte Verbreitung von Gerüchten per SMS ein Grund für Streit und sogar für spontane Prügeleien unter Girlies. Jungs verabredeten sich dagegen häufig zu Schlägereien, denn das Handy sei für die oft verstreut wohnenden Kids nicht nur ein bequemes Kommunikationsmittel, sondern auch »ein Mobilisierungsgerät«.

Der appellative Charakter der Botschaften setze den Empfänger dabei unter einen gewissen sozialen Druck. Der Ton der Messages ist aus Platzgründen zwangsläufig sehr barsch gehalten. »Er ist kurz und knapp. Oft wird er deswegen als Befehl aufgefasst - oder auch bewusst als ein solcher verbreitet.« Eine SMS kann kein Handybesitzer mehr ignorieren. Solche Kurzmeldungen geben den Jugendlichen kaum noch eine Möglichkeit, sich dem Druck der Gruppe zu entziehen.

Andere Handypessimisten befürchten noch weit Schlimmeres. Sie führen den steigenden Drogenkonsum unter norwegischen Jugendlichen auf das Handy zurück. »Mit nur wenigen Handgriffen verschaffen sich Konsumenten einen Überblick über das aktuelle Angebot und treffen anschließend Verabredungen mit dem Dealer.« So hat eben jede neue Technik ihre ganz eigenen Vorteile.