Tibet-Ausstellung in Österreich

Kult um Okkultismus

In der österreichischen Ausstellung »Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet« geht es zu wie auf einer Esoterikmesse.

Es ist die größe Ausstellung zu Kunst, Kultur und Religion des alten Tibet, die je gezeigt wurde, behauptet die niederösterreichische Landesregierung über das am 20. April auf Schallaburg unweit der Klosterstadt Melk beginnende Spektakel »Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet«. In einem umfangreichen Begleitprogramm und einem gleichzeitigen Tibet-Festival werden zahlreiche Vorträge, Seminare und Kulturveranstaltungen stattfinden, einschließlich einer Schau tibetischer Rassehunde und eines internationalen Symposiums »Tibetische Medizin«.

Die Schallaburg, erbaut Anfang des 12. Jahrhunderts, wurde, topografisch nicht unpassend, zu einer tibetischen Klosterzwingburg umdekoriert. Zehntausend Gebetsfähnchen flattern im Wind, Gebetsmühlen drehen sich am Aufgang; der »prächtig geschmückte Innenhof«, so die Veranstalter voller Emphase, lasse »die farbenfrohe Lebendigkeit des alten Tibet erahnen«. Dank einer »einmaligen Fülle von Exponaten und Kultobjekten« sei es gelungen, »die dichte, ja mystische Atmosphäre eines tibetischen Tempels in einem originalgetreu gestalteten Tempelraum einzufangen«. Eine »Schatzkammer tibetischer Kunst« zeige »großteils prachtvoll vergoldete Buddha-Skulpturen, Bodhisattvas und Ritualobjekte«, in »opulent gestalteten Themenräumen« würden »weitere wichtige Aspekte des tibetischen Lebens, wie Magie, Astrologie und Orakelwesen« vorgestellt.

Ganz so, als habe es im »alten Tibet«, also in der Zeit vor dem Einmarsch der Chinesen Anfang der fünfziger Jahre, außer Klöstern und einem dort gepflegten Geister- und Dämonenkult nichts gegegeben, was berichtenswert sei. Auf die Idee etwa, eines der erbärmlichen Dreckslöcher zu zeigen, in denen die große Masse der Tibeter und Tibeterinnen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dahinvegetierte, ausgebeutet von der herrschenden Clique der Lamas, kommt die Ausstellungsleitung nicht.

Ihr geht es darum, den Besucher »einen Blick in die geheimnisvolle Welt des alten Tibet« werfen zu lassen, was bedeutet, dass alle mit dem Begriff assoziierten Klischees bedient werden, gleichgültig, ob es sich dabei um westliche oder um originär tibetische handelt. Die Schau ermögliche es, »mit allen Sinnen in eine der faszinierndsten Hochkulturen der Menschheit einzutauchen«, erklärt der österreichische Ethnologe Gerhardt Schuster, der die wissenschaftliche Leitung der Ausstellung übernommen hat.

Ihm haben es vor allem die übernatürlichen Fähigkeiten angetan, deren die Lamas teilhaftig gewesen seien: »das Schreiten über glühende Kohlen, das Berühren glühenden Eisens, ohne sich zu verbrennen, ja selbst die oft geübte Praxis, den eigenen Körper mit einem Schwert zu durchbohren, ohne die geringste Verletzung davonzutragen.« Darüberhinaus hätten sie die Kunst beherrscht, durch die Luft zu fliegen oder sich an verschiedenen Orten gleichzeitig zu zeigen; sie konnten die eigene Lebensspanne gleich auf mehrere hundert Jahre verlängern und exakt datieren, wann sie wiedergeboren werden.

Auch seien die Lamas in der Lage gewesen, magische Dolche über beliebige Entfernungen durch Türen und Mauern zu schleudern, um Widersacher aus dem Wege zu räumen. Schuster ist auch gleich mit einer Erklärung für die »auffälligste und am besten belegte paranormale Fähigkeit« tibetischer Lamas bei der Hand: Die Dolche würden in einem bestimmten Ritual mit großen Mengen »psychokinetischer Energie« aufgeladen, so dass sie »Dutzende Kilometer wie unsichtbare Geschosse« dahinflögen, »um unweigerlich das ihnen eingegebene Ziel zu erreichen«. Ausdrücklich kritisiert er die »rein materialistisch-wissenschaftliche Weltsicht des in westlichen Denktraditionen erzogenen Menschen«, der trotz einer »geradezu überwältigenden Fülle von Belegen für die Existenz einer breiten Palette außersinnlicher Wahrnehmungen und paranormaler Fähigkeiten« diese nach wie vor anzweifle oder in den Bereich der Phantasie verbanne.

Das Okkultwesen des tibetischen Buddhismus wird von Schuster ohne den geringsten Anflug kritischer Distanz oder Reflexion dargestellt. Nicht existente bzw. durch nichts belegte »Phänomene« der Magie oder des Orakelkults werden als Tatsachen beschrieben. Das alte Tibet wird verklärt als einzigartiges Faszinosum aus spirituell-religiösen Geheimnissen und Mysterien. Konsequenterweise kommen die tatsächlich relevanten Fragen nach der gnadenlosen Unterdrückung der Menschen durch das Lama-Regime ebensowenig vor wie Fragen nach den damit im Zusammenhang stehenden politischen Hintergründen des chinesischen Einmarsches von 1950/51.

Die moderne Geschichtsschreibung weiß längst, dass Tibet unter der Herrschaft der Lamas keineswegs die »friedvolle und harmonische Gesellschaft« war, die der Dalai Lama und seine westliche Gemeinde ständig beschwören. Für die große Masse der Bevölkerung bedeutete die Mönchsdiktatur tatsächlich jene »Hölle auf Erden«, von der Mao immer wieder sprach und die zu beenden die chinesische Volksbefreiungsarmee als revolutionäre Verpflichtung ansah und als legitimen Grund für die Besetzung des Landes. Die Barbarei, die Verbrechen und die politischen Fehler, die von den kulturrevolutionären Befreiern selbst begangen wurden, ändern nichts an der Richtigkeit dieses Urteils.

Tibet war überzogen von einem engmaschigen Netz von Klöstern und monastischen Zwingburgen. Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Polizei und Militär lagen ebenso in den Händen von Mönchsbeamten wie das Bildungs- und das Gesundheitswesen. Neben und zusammen mit dem allgegenwärtigen Klerus verfügten zudem einige alte Aristokratenfamilien über Macht und Einfluss. Der relativ kleinen Elite in den Klöstern und Palästen, zusammen zwei bis drei Prozent der Bevölkerung, stand die große Masse der »Leibeigenen« bzw. »unfreien Bauern« gegenüber. Die Steuer-, Fron- und Abgabenlasten, die diesen Menschen aufgebürdet wurden, drückten sie unter die Möglichkeit menschenwürdiger Existenz. Hunger und Elend prägten den Alltag ebenso wie die Indoktrination.

Der Dalai Lama konzediert neuerdings, das feudale Tibet sei »sicherlich nicht vollkommen« gewesen. Damit hat sich's aber auch schon an Kritik und Selbstkritik. Noch immer beschönigt er die Zustände und fördert damit die romantische Verkläung der Vergangenheit. Kein Wort der Kritik am Missbrauch kleiner Jungen bei der Rekrutierung von Mönchsnachwuchs oder am Missbrauch junger Mädchen und Frauen bei der Inszenierung tantrisch-buddhistischer Rituale.

Der gänzlich unkritischen Verklärung des »alten Tibet« dient auch die Ausstellung auf der Schallaburg. Wenn Gerhardt Schuster die »vielfältige Schrift- und Buchkultur des alten Tibet« rühmt und auf die »prachtvoll geschnitzten und vergoldeten Buchdeckel und kostbar illustrierten Handschriften« seiner Ausstellung verweist, die ein »beredtes Zeugnis ablegen für die große Verehrung, die in Tibet allem Geschriebenen und besonders den heiligen Schriften des Buddhismus zu allen Zeiten entgegengebracht wurde«, dann unterschlägt er, dass die Analphabetenquote im alten Tibet bei rund 98 Prozent lag. Nur der Adel und der hohe Klerus konnten lesen und schreiben.

Keine Erwähung findet in der Ausstellung die enge Beziehung der Nazis zu Tibet. Insbesondere Heinrich Himmler hatte ein Faible für das Land. 1938/39 wurde eigens eine von der SS ausgestattete Expedition nach Tibet entsandt - Himmler halluzinierte eine »okkulte Achse Berlin-Lhasa« -, die Kontakt aufnahm zu der Führungsclique um den heute noch (im Exil) amtierenden 14. Dalai Lama. Auch Hitler - merkwürdige Koinzidenz, dass die Ausstellung gerade zu seinem 112. Geburtstag eröffnet wird - interessierte sich sehr für Tibet und tibetischen Okkultismus, vor allem in Gestalt der theosophischen Schriften Helena Blavatskys, die der Dalai Lama seiner Anhängerschaft bis heute besonders empfiehlt. Konsequenterweise werden auch die persönlichen Kontakte des Oberlamas zu alten und neuen Nazis in aller Welt auf der Schallaburg unterschlagen.

»Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet«. Schallaburg, Loosdorf. 21. April bis 28. Oktober
Colin Goldner ist Autor der 1999 bei Alibri erschienenen Studie »Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs«.