Wahlen in Montenegro

Minimales Montenegro

Präsident Djukanovic hat bei den Parlamentswahlen am Wochenende einen Rückschlag erlitten. Die Unabhängigkeit Montenegros steht aber weiter auf der Tagesordnung.

In einigen Filialen der montenegrinischen Wahlkommission herrschten in der Nacht von Sonntag auf Montag beinahe Verhältnisse wie einst in Florida. Weil der Abstand zwischen den beiden großen Wahlbündnissen sehr gering war, mussten Stimmen sogar nachgezählt werden. Dabei hatte in den Tagen vor der Wahl alles so gut für das Bündnis »Sieg für Montenegro« des Präsidenten Milo Djukanovic ausgesehen. Die Meinungsumfragen hatten dem für die Unabhängigkeit der jugoslawischen Teilrepublik eintretenden Präsidenten einen klaren Wahlsieg und dem gegnerischen Parteienbündnis »Gemeinsam für Jugoslawien« eine vernichtende Niederlage vorhergesagt.

Einen Tag vor dem für die Zukunft der Bundesrepublik Jugoslawien entscheidenden Wahlgang hatten unabhängige Institute gar auf eine absolute Mehrheit für Djukanovic spekuliert, dessen Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) gemeinsam mit der Sozialdemokratischen Partei (SDP) angetreten war. »Die jugoslawische Idee ist tot«, meinte Wochen vor der Wahl schon die Belgrader Politologin Liljana Bacevic. Und auf ein sanftes Dahinscheiden setzte auch Djukanovic, der seinen gesamten Wahlkampf nur auf eines ausrichtete: die Polarisierung von Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit.

Diese Rechnung aber wollte nicht aufgehen. »Wir versprechen Milo Djukanovic eine große Überraschung«, gab sich der Chef des Wahlbündnisses »Gemeinsam für Jugoslawien«, Predrag Bulatovic, am Sonntag siegessicher. Zumindest teilweise konnte er dieses Versprechen einlösen: 43,3 Prozent der Montenegriner stimmten für Djukanovics, 39,6 Prozent für Bulatovics Bündnis.

Nun geraten die Planungen Djukanovics einigermaßen durcheinander. Mit einer sicheren absoluten Mehrheit ausgestattet, hätte er eine Abstimmung über die Unabhängigkeit Montenegros ohne Probleme gewinnen können. Ein wesentlicher Bestandteil seines Stufenplans wäre eine lockere Konföderation mit Serbien gewesen. Mit der minimalistischen Balkan-Union zweier unabhängiger Staaten sollte wohl vor allem die im Westen verbreitete Skepsis gegenüber einem neuen Staat in Südosteuropa gemindert werden und gleichzeitig die enge wirtschaftliche Verknüpfung von Serbien und Montenego erhalten bleiben.

Der letzte Teil des Planes aber scheint nun gefährdet. Milo Djukanovic muss eine Koalition mit der fanatisch sezessionistischen Liberalen Allianz eingehen, die ihm als einzige Partei die Mandatsmehrheit im Parlament von Podgorica, das 77 Sitze umfasst, garantieren kann. Die Liberalen aber, die am Sonntag rund neun Prozent der Stimmen der 450 000 Wahlberechtigten erhielten, wenden sich strikt gegen die Konföderationsidee, weshalb sie auch vor zwei Monaten nicht Djukanovics Wahlbündnis beitraten. Ihre Unerbittlichkeit nötigte sogar dem Konstitutionalisten Bulatovic Respekt ab: »Wir und die Liberale Allianz sind die einzigen Parteien, die hier ehrlich agieren.«

Das aber ist nicht der einzige Schönheitsfehler an Djukanovics Wahlsieg. Der Präsident muss sich wohl auch darüber im klaren sein, dass fast die Hälfte der Einwohner Montenegros die Eigenstaatlichkeit als grandios einfallslose Alternative zu Jugoslawien ablehnten. »Die Zukunft Montenegros wird nicht von den ethnischen Montenegrinern selbst entschieden, sondern von den wichtigen Minderheiten, den Kroaten, Muslimen und Albanern«, spekulierte Liljana Bacevic schon Tage vor der Wahl und hatte Recht damit. Eine absolute Mehrheit konnte Djukanovis Bündnis nur in den mehrheitlichlich albanischsprachigen Gebieten rund um die Stadt Tuzi erreichen.

Aber auch dort musste er sich die Zustimmung erst erkämpfen und zum Teil teuer erkaufen. Monate vor der Wahl rückten Bulldozer an, neue Straßen und andere öffentliche Einrichtungen wurden gebaut. Rentner erhielten plötzlich ihre Pensionen, die monatelang ausgeblieben waren. Die Bonbon-Strategie aber war nicht die einzige, die für eine Erhöhung der Popularität bei den montenegrinischen Albanern sorgte. »Man hat gedroht, dass uns soziale Leistungen wieder weggenommen würden, wenn Djukanovic in den albanischen Gebieten nicht siegt«, sagte der albanischsprachige Politiker Prelje Vuljaja.

Ganz klar verloren dagegen hat Djukanovic im Sandschak. In dieser Region an der Grenze zu Serbien leben vor allem Muslime, die sich in Jugoslawien besser aufgehoben fühlen als in einem unabhängigen Montenegro. Die von Nato-Militärs und hochrangigen Politikern geförderte International Crisis Group befürchtet in einem kurz vor der Wahl fertig gestellten Bericht gar die Abspaltung des Sandschak im Falle einer Unabhängigkeit Montenegros.

Ähnliche Ängste plagen vermutlich auch die derzeitige EU-Ratspräsidentin, die schwedische Außenministerin Anna Lindh, die am Wochenende sehr zum Ärger Djukanovics vor der Unabhängigkeit warnte: »Die Gesellschaft Montenegros ist zutiefst gespalten. Wir müssen uns auch fragen, welche Konsequenzen eine Unabhängigkeit für das Kosovo hat und was dann

in Mazedonien und in Bosnien passiert.« Gleichzeitig regte sie die EU an, eine stärkere Rolle auf dem Balkan zu spielen und den US-Amerikanern nicht das gesamte Krisenmanagement zu überlassen.

Wenn das Wahlergebnis den politischen Durchmarsch von Djukanovic zunächst auch gebremst hat, ist deshalb der Zerfall Jugoslawiens noch lange nicht beendet. »Ich werde bald ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen«, erklärte er nach der Wahl, aber auch dieses Referendum könnte mit einem Patt enden. Um die Sezession durchsetzen zu können, braucht Djukanovic im Parlament von Podgorica eine Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung - was völlig aussichtslos ist. Zudem könnte ihm eine Volksabstimmung, die ihm nur eine sehr knappe Mehrheit beschert, auch die Lust an der Unabhängigkeit verderben.

Politisch gefährlich für den montenegrinischen Präsidenten ist aber auch eine Vertagung des Referendums. Zu lange schon wirbt er mit dieser Idee, das erste Mal kündigte er es nach dem Kosovo-Krieg vor zwei Jahren an. Seither aber fand er immer wieder Wege, die endgültige Entscheidung zu umgehen.

Möglich, dass er seine sanfte Destruktionspolitik für effizienter hält. Seit Jahren schon boykottiert Montenegro bundespolitische Entscheidungen, die in Belgrad getroffen werden, und hat damit den jugoslawischen Staat faktisch handlungsunfähig gemacht. Wenn Präsident Vojislav Kostunica erklärt, dass »Montenegro so oder so Bestandteil des jugoslawischen Staates bleibt«, dann mag das vordergründig erfreulich sein, lebensfähiger wird Jugoslawien dashalb aber nicht. Irgendwann dürfte es Djukanovic doch noch gelingen, die Bundesorgane derart zu lähmen, dass sich das Problem Jugoslawien von selbst erledigt. Vielleicht ist das ein geringeres Risiko als eine formale Unabhängigkeitserklärung.

Allerdings könnten sich die Probleme in den nächsten Monaten noch vermehren, denn langsam wird Djukanovic von seiner Vergangenheit eingeholt. Als montenegrinischer Premierminister war er im Herbst 1991 wesentlich an der Belagerung und Bombardierung der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik beteiligt, und daran erinnern sich nun die kroatischen Nachbarn. »Präsident Djukanovic war bei der Belagerung Dubrovniks in führender Position, und daher erwartet Kroatien, dass er sich für seine Taten verantwortet«, sagte Tomislav Jakic, ein außenpolitischer Berater des kroatischen Präsidenten Stipe Mesic, der Jungle World. Jakic hält eine »Aussage Djukanovics vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag für notwendig«.

So ähnlich sieht das auch das Tribunal selbst. »Wir halten es für logisch, Präsident Djukanovic zu Dubrovnik zu befragen«, bestätigte die Sprecherin von Chefanklägerin Carla Del Ponte, Florence Hartmann, der Jungle World. Auf der noch geheimen Liste der im Fall Dubrovnik Angeklagten aber steht Djukanovic offenbar nicht. Dass er kein zweiter Milosevic wird, hat er möglicherweise seiner Fügsamkeit gegenüber Den Haag zu verdanken. »Wir haben sehr gut mit der montenegrinischen Führung kooperiert«, freut sich Hartmann.