Angriff auf Nazis im Internet

Schily geht hacken

Das Bundesinnenministerium erwägt, die Internetseiten deutscher Nazis auf amerikanischen Servern anzugreifen.

Ein »Medium aggressiver Propaganda« sei das Internet für die Nazis geworden, die Zahl der rechtextremen Web-Seiten sei in einem Jahr von 330 auf rund 800 »explodiert«, erklärte Innenminister Otto Schily, als er im vergangenen Monat den aktuellen Verfassungsschutzbericht vorstellte.

Die rechten Aktivitäten im Internet sind ins Visier der Verfassungsschützer geraten. Doch dabei gibt es ein Problem. Viele in Deutschland verbotene Inhalte liegen auf Servern in den USA, und dort stoßen deutsche Behörden regelmäßig auf taube Ohren, wenn sie fordern, dass rechtsextreme Webseiten lahm gelegt werden sollen. In den USA schützt der erste Verfassungszusatz die Redefreiheit, die auch die Leugnung des Holocaust umfasst. Erst bei einem konkreten Aufruf zur Gewalt greifen amerikanische Behörden ein. Mit legalen Mitteln kommt Schily also erst mal nicht weiter, sollte er gegen Nazi-Sites vorgehen wollen. Da könnte ihm ein Spruch aus den Flugblättern eingefallen sein, die seine Verfassungsschützer in ihren Archiven horten: Antifa heißt Angriff! Und wenn deutsche Behörden im Netz Antifa spielen, lautet die Parole: Antifa heißt Hacken!

Was sich wie ein Szenario aus den Klatsch- und Paranoiaforen im Netz anhört, scheint tatsächlich im deutschen Innenministerium geplant zu werden. Bereits im vergangenen Dezember war in der Washington Post zu lesen, dass Schily es nicht ausschließe, »eine US-amerikanische Website niederzuzwingen, indem man sie mit massenhaftem Verkehr überschwemmt«. Dort kündigte das Innenministerium an, illegale Hackermethoden einsetzen zu wollen, um deutsches Recht in den USA durchzusetzen.

Als Spiegel-Online das Thema in diesem Monat aufgriff, äußerte sich das Innenministerium kämpferisch. Die Anfrage, ob über Cyberattacken auf Nazi-Seiten im Ausland nachgedacht wird, beantwortete ein Pressesprecher des Innenministeriums eindeutig: »Solche Erwägungen sind nicht im Unrechtsbereich anzusiedeln; hinter ihnen steht vielmehr der Gedanke der Verteidigung unserer Rechtsordnung gegen rechtswidrige Angriffe unter bewusster Ausnutzung der Internationalität des Mediums Internet. Dafür muss man über viele Instrumente nachdenken, was schließlich umgesetzt wird, bestimmt sich nach Recht, Effektivität und Erfolgsaussicht.«

Zwar wurde später dementiert, staatliche Hackerangriffe auf Nazi-Homepages zu planen, es heißt aber weiterhin, dass im Versuch, die kriminellen Aktivitäten einzudämmen, »keine rechtlich oder auch technisch zulässige Möglichkeit außer Acht gelassen werden«. Hacken, im Sinne krimineller Betätigung, lehnt das Bundesinnenministerium ab, die Suche nach technischen Möglichkeiten zur Lahmlegung ausländischer Webseiten wird aber weiter betrieben.

Effektiv und erfolgreich wäre ein solcher Denial-of-Service-Angriff bestimmt. Zumindest könnte er in kurzer Zeit erledigen, was ansonsten langwierige und wenig Erfolg versprechende Gerichtsverfahren erfordert. Die Computerexperten des Innenministeriums müssten auf zahlreichen Servern Programme, so genannte Trojanische Pferde, ablegen, die den anvisierten Rechner durch unzählige Anfragen überfluten und lahm legen. Beispiele solcher Attacken gibt es genügend. Aufregung verursachten die Denial-of-Service-Angriffe auf Server von CNN, Yahoo, eBay und andere kommerzielle Online-Dienste im letzten Jahr.

Damals zeigte sich Otto Schily entsetzt und forderte umgehend ein härteres Vorgehen gegen »Cyberterroristen«. Kurz darauf gründete er die Task Force Sicheres Internet, die sich gegen Sabotage und Kriminalität im Netz engagieren soll. Noch im März sagte Schily am 50. Geburtstag des Bundeskriminalamtes, es sei nicht hinnehmbar, dass die Herstellung und Verbreitung von Hackertools in Deutschland weiterhin straflos ist.

Ob er sich in der Internet-Gemeinde Freunde macht, wenn er diese Tools jetzt selbst gegen Nazi-Seiten einsetzt, ist unwahrscheinlich. Wenn überhaupt Freude an Schilys Plänen aufkommt, dann eher im Sinne sportlicher Begeisterung: Nerds wären keine Nerds, stellten sie nicht sofort die Frage, wer den Cyberwar gewinnt, wenn die amerikanischen Internet-Service-Provider mit gleichen Mitteln zurückschlagen. »Nun, o.k.«, heißt es beispielsweise im Slashdot-Internetforum, »wenn jemand etwas Scheußliches auf seiner Seite hat, kommt die Regierung und schließt sie. Aber wenn die Besitzer der Seite und ihre Freunde zur Gegenattacke schreiten? Wer wird gewinnen?« Die US-Provider dürften auf jeden Fall über deutlich größere technische Ressourcen verfügen.

Ansonsten werden die Hacker-Pläne Schilys vehement abgelehnt. So hält auch Alan Davidson vom Center for Democracy and Technology einen Cyberwar »Deutschland gegen US-Firmen« für »verrückt und aberwitzig«. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein Internetkrieg die momentan schlecht laufenden Geschäfte der Internetbranche stören würde. Vielmehr hält die von libertären Gedanken geprägte Internet-Community an der Hoffnung fest, dass sich im Internet das Ideal der Meinungsfreiheit durchsetzen könnte. So zierten eine Zeit lang die kleinen blauen Schleifen der Blue-Ribbon-Kampagne, die sich gegen Zensur im Internet wendet, zahlreiche auch kommerzielle Web-Seiten.

Viele Mitglieder der Internetgemeinde sehen die Pläne Schilys als große Gefahr: »Das ist das absolute Ende des Internets als Weg sich umfassend zu informieren, als Mittel zur Recherche und als Möglichkeit ernsthafte und offene Diskussionen zu führen.« Allerdings finden sich selbst im sonst libertären Slashdot-Internetforum viele Kommentare, die Nazi-Seiten im Internet ablehnen: »Wenn jemand Seiten zensieren will, auf denen über die Einführung neuer Regierungsformen diskutiert wird - das wäre falsch. Aber wenn ein Land die Verbreitung von Hass verhindern will, geht das für mich in Ordnung.« Wütender klingt ein anderer Kommentar: »Sogar ihre bloße Existenz ist ein Affront gegen die Menschlichkeit und alle anständigen Gesellschaften. Sie sollten platt gemacht werden.«