Atommülltransporte und Zwischenlager

Und ab dafür

In Interimslagern soll der deutsche Atommüll künftig deponiert werden. Bis die gebaut sind, setzen die AKW-Betreiber weiter auf Transporte ins Ausland.

Irgendwie stimmt die Parole. Gorleben ist überall, könnte man meinen, nachdem Anfang April zum ersten Mal seit drei Jahren Atommüll aus den deutschen Atomkraftwerken Grafenrheinfeld, Biblis und Philippsburg in die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im französischen La Hague transportiert wurde. Und dieser Tage geht es weiter: Drei Behälter mit strahlendem Material aus dem Atomkraftwerk (AKW) in Neckarwestheim sollen zusammen mit abgebrannten Brennelementen aus dem AKW im hessischen Biblis bis Ende der Woche die britische WAA Sellafield erreichen.

Die Genehmigung für die Tranporte hat das Bundesamt für Strahlenschutz den Atomkonzernen bereits Anfang des Jahres erteilt, und Gerhard Groll, der Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg (EnBW), die den Reaktor in Neckarwestheim betreibt, wollte sich letzte Woche auch nicht von einem Brief des Vorsitzenden des Grünen, Fritz Kuhn, davon abbringen lassen, auf den Transport zu verzichten. Knapp einen Monat nach den Massenprotesten im Wendland verwies Groll in seiner Antwort an Kuhn darauf, dass der Kraftwerksbetrieb in Neckarwestheim ansonsten nicht garantiert werden könne.

Weil der Lagerplatz auf den Betriebsgrundstücken deutscher Reaktoren voll ist, sollen noch in diesem Jahr mehr als 40 und in den Jahren bis 2005 insgesamt 400 Castor-Behälter ins Ausland verschoben werden. Während des Transports nach Gorleben hatte Umweltminister Jürgen Trittin noch moralisch zu erklären versucht, warum Deutschland verpflichtet sei, die Rücknahme der aufbereiteten Brennstäbe aus Frankreich zu garantieren. »Man wirft seinen Müll nicht seinem Nachbarn vor die Füße.«

Doch die Nachbarn sehen das anders. Als die Castor-Behälter am 10. April Richtung Frankreich rollten, war von unterschiedlichen Interessen deutscher und französischer Atomgegner nichts zu spüren. Schon an der Grenze hatte der Zug eine deutliche Verspätung, verursacht durch Proteste von rund 3 000 Aktiven entlang der Strecke. Die Verzögerung nahm noch zu, denn auch in Frankreich kam es zu mehreren Blockaden. Bei der Ankunft im Verladebahnhof Valognes schließlich hatte der Transport mehr als drei Stunden Verspätung. Die Zusammenarbeit zwischen den Anti-Atom-Gruppen in beiden Ländern hatte hervorragend geklappt.

Ungelöst bleibt jedoch weiter das Problem der Entsorgung des Atommülls. Der noch von der ehemaligen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) 1998 verhängte Stopp aller Transporte wegen kontaminierter Castor-Behälter führte zwar immerhin dazu, dass sich auch die AKW-Betreiber der Frage stellen mussten, wo die strahlenden Hinterlassenschaften des Atomzeitalters sicher gelagert werden können. Doch wo die abgebrannten Brennelemente bleiben sollen, ist bis heute unklar. Zweifelhafte Schützenhilfe erteilte lediglich die rot-grüne Bundesregierung, die der Atomwirtschaft zusagte, dass kein AKW wegen Entsorgungsschwierigkeiten vom Netz muss. Ansonsten hätte man einige Kraftwerke womöglich längst abschalten müssen.

Um die deutschen Anlagen von überflüssigem Müll zu befreien, drücken die Atomkonzerne deshalb mächtig aufs Tempo. Die nächsten Transporte sind bereits in Vorbereitung: aus Stade und Brunsbüttel ebenso wie aus Biblis, Philippsburg und Grafenrheinfeld.

Ein besonderer Zug soll in der zweiten Maiwoche vom brandenburgischen Rheinsberg nach Lubmin bei Greifswald rollen. Brennelemente aus dem längst abgeschalteten DDR-Reaktor sind für die Zwischenlagerung an der Ostsee vorgesehen, damit am Stechlin-See das AKW Rheinsberg weiter abgerissen werden kann. Wegen der jüngsten Proteste im Wendland erweckt dieser Transport derzeit so viel Aufsehen, dass er auch im Osten zum Politikum geworden ist, obwohl er im Gegensatz zu den Fuhren aus Westdeutschland ja nicht den Weiterbetrieb eines Reaktors sichern soll.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) setzt deshalb auf eine harte Linie gegen angeblich aus der Hauptstadt anreisende »Gewaltbereite«. 6 000 Polizisten allein aus diesem Bundesland sollen zum Einsatz kommen. Und die sind mit Sicherheit gewaltbereit.

Der Protest verschiedener Anti-Atom-Gruppen richtet sich daher weniger gegen das bereits still gelegte AKW. Vielmehr fürchten die Initiativen, dass der Zug nach Greifswald eine Art Testballon für die Akzeptanz des dort neu errichteten Zwischenlagers Nord (ZLN) sein soll. Wenn alles nach den Vorstellungen der Reaktorbetreiber läuft, könnten in der ZLN auch Castor-Behälter aus West-AKWs aufgenommen werden, die wegen der erneut zu erwartenden Proteste in Ahaus oder Gorleben ihr Ziel nicht mehr erreichen. Zudem richten sich die Aktivitäten gegen die in Rheinsberg betriebene Politik der »grünen Wiese«: So suggeriert der Abriss des Reaktors, dass es ein Ende der Atomkraft ohne schädliche Reste geben könnte. Dabei werden die Probleme bleiben - nur an einem anderen Ort.

Da der Bau von großen Lagerhallen an den Reaktoren zu lange dauert, sollen Castoren in Garagen auf dem Hinterhof der Kraftwerke abgestellt werden. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat in Neckarwestheim ein solches Interimslager genehmigt. In Stade wurde sogar zugelassen, dass die im Abklingbecken für einen Störfall freigehaltenen Lagerplätze für den Reaktorkern jetzt mit abgebrannten Brennelementen zugestellt werden dürfen.

Die neueste Idee der Kraftwerksbetreiber ist es, die Leistung der AKW zu erhöhen. Damit könnten die Brennstäbe länger im Reaktor bleiben. So entstünde etwas weniger Atommüll, der in seiner Zusammensetzung aber wesentlich gefährlicher wäre als das, was jetzt in den Castoren herumgefahren wird.

Doch nicht nur deswegen wird ein zweiter für dieses Jahr geplanter Atommüllzug aus La Hague ins Wendland inzwischen selbst vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel in Frage gestellt, weil das Land Kosten von 600 bis 700 Millionen Mark, wie sie im März anfielen, nicht noch einmal tragen wolle. »Dafür könnten wir umgerechnet 800 Lehrer einstellen«, sagte Gabriel letzte Woche. Das vom Bundeskanzler Gerhard Schröder und vom französischen Premierminister Lionel Jospin im Februar in Strasbourg unterzeichnete deutsch-französische Castor-Abkommen wäre bei einem Veto Niedersachsens allerdings vorerst obsolet. Vorgesehen sind darin nämlich zwei Transporte nach Deutschland pro Jahr.