Einigkeit statt Recht und Freiheit

In der Zuwanderungsdebatte naht der große Konsens, nicht die große Öffnung.

Mit eigenen Positionen hat sich die SPD in der Diskussion um Einwanderung und Integration bisher nicht hervorgetan, was Kompromisse um so einfacher macht. Und die sind auch schon in Sicht. Seitdem die CSU in der vergangenen Woche offiziell nachgegeben hat und vorerst auf die Forderung nach Umwandlung des Asylrechts in eine institutionelle Garantie verzichten will, freut sich Innenminister Otto Schily schon auf einen »breiten politischen Konsens«. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, spricht von einem »Schritt in die richtige Richtung«, die Vorsitzende des Innenausschusses, Ute Vogt, sieht einen »Lernprozess«, und Fraktionschef Peter Struck nennt die Überlegungen der Union »nicht uninteressant«. Er will die Opposition gleich in die Diskussion einbeziehen.

Auch wenn Parteien, Kommissionen, Gewerkschaften und Ausländerbeauftragte täglich neue Anmerkungen zu Zuwanderungsmodellen und Quotenrechnungen präsentieren, unterscheiden sich die Forderungen inhaltlich kaum. Zumal da abzusehen ist, dass sich die Union mit der Forderung nach einem umfassenden Einwanderungsgesetz und dem dazugehörigen Vorschlag profilieren will, es bis zur nächsten Bundestagswahl aber allenfalls zu Einzelregelungen kommen dürfte.

Auch der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Cem Özdemir, will Änderungen des Ausländerrechts auf die Koalitionsverhandlungen verschieben. Strategisch nicht ungeschickt, können die Grünen, und allen voran die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck, so doch behaupten, sie hätten weiter gehende Pläne als die Opposition. Die Forderung vom letzten Parteitag allerdings, den alten Asylartikel des Grundgesetzes wieder herzustellen, spielt dabei keine Rolle. Spätestens in den Koalitionsverhandlungen, sollten die Grünen überhaupt noch einmal so weit kommen, würden sie wie 1998 beim Staatsbürgerrecht in allen wesentlichen Punkten nachgeben. Um danach dennoch zu behaupten, die winzigen Erfolge seien allein ihnen zu verdanken.

Sicher ist, dass die wechselseitigen Drohungen, Zuwanderung zum Wahlkampfthema zu machen, sowie die Beschwörungen, dies zu unterlassen, reine Rhetorik sind. Denn ob der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber auf seinen Wahlplakaten gegen AsylbewerberInnen hetzt oder nicht, spielt schon deshalb keine Rolle, weil es an seiner und der Grundhaltung seiner Partei nichts ändert: Demnach handelt es sich beim Artikel 16a nicht um jenes winzige Schlupfloch, das politisch Verfolgten unter ganz bestimmten Voraussetzungen Unterschlupf in Deutschland gewährt, sondern um ein riesiges Einfallstor für Leute, die Bayerns Innenminister Günther Beckstein zufolge »mittels Lug und Trug nach Deutschland kommen und Herkunftsland, Identität und Fluchtweg verschleiern«.

Es wäre allerdings falsch zu glauben, diese Ansicht fände sich allein bei der CSU. Nicht nur, dass die Innenminister aller Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der Union, immerhin neun, den CSU-Entwurf mit seiner Forderung nach Integrationskursen, Einwanderungsquoten, Verkürzung der Asylverfahren und Verschärfung der Lebensbedingungen für AsylbewerberInnen unterstützen. Auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller und seine CDU-Zuwanderungskommission plädieren in ihrem Entwurf dafür, die Zwangsmaschinerie noch weiter auszubauen. Erweiterung des Flughafenverfahrens, Unterbringung in Sammelunterkünften, Ausgabe von Sachleistungen - all das, was sowieso schon den Alltag der meisten AsylbewerberInnen in diesem Land bestimmt, soll nun endgültig alle treffen. Auch die bisherige Regelung, dass immerhin nach drei Jahren der volle Sozialhilfesatz gezahlt wird, möchte Müller abschaffen. Um die Repression komplett zu machen, fordert er, abgelehnte AsylbewerberInnen, die nicht im Besitz ihrer Papiere sind, weil sie diese nach Müllers Unterstellung vernichtet haben, in Beugehaft zu nehmen, um sie so zu zwingen, ihr Herkunftsland zu verraten.

Und wirklich vom Tisch ist auch die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nicht. Die CSU glaubt sowieso nicht daran, dass diese Maßnahmen ausreichen, den »Asylmissbrauch« zu verringern und behält sich vor, die Grundgesetzänderung wieder einzufordern. CDU-Fraktionschef Friedrich Merz und sein Stellvertreter Wolfgang Bosbach haben bereits ihr Verständnis für diese Forderung bekundet.

Nur in einem Punkt gibt sich Müller liberaler als die CSU: Er fordert keine Quote für sämtliche Zuwanderergruppen, sondern will sie nur für ArbeitsmigrantInnen einführen. Er sei nämlich gegen eine »Quotierung der Humanität«, sagt Müller. Menschen unter völlig unwürdigen Bedingungen leben zu lassen und in den Knast zu stecken, scheint dieser Auffassung von Humanität nicht zu widersprechen. Auch eine Beschränkung des Familiennachzugs fordert die ansonsten für Ehe und Familie einstehende Union. Im Grunde sind eben doch nur deutsche Ehen und Familien zu schützen. Deshalb lässt sich ja auch die »demografische Katastrophe«, die Müller kommen sieht, nach Meinung der Union nicht durch Zuwanderung, sondern nur mit mehr Investitionen in der Familienpolitik lösen.

Auch wenn sich die Grünen bisher noch gegen eine Verschärfung des Asylrechts stellen und die Süssmuth-Kommission sogar eine Ausweitung auf nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung erwägt, ist doch absehbar, dass die Rechte von AsylbewerberInnen weiter eingeschränkt werden; zumal aus der Regierungskommission verlautet, dass die Erweiterungen nicht im Sinne aller Mitglieder und vor allem nicht im Sinne des Dienstherrn Schily sind. Denn schließlich geht es, wie Peter Struck treffend formuliert, um ein »Zuwanderungsbegrenzungsgesetz«.

In der vorletzten Woche hatte bereits die Welt am Sonntag mit der Behauptung, bis zu sechs Millionen MigrantInnen kämen nach der Erweiterung der EU nach Deutschland, sämtliche Ressentiments bedient. Um diese »Völkerwanderung« (WamS) aufzuhalten, fordert Heinz Putzhammer, der im Vorstand des DGB und in der Süssmuth-Kommission sitzt, zwar neue Einwanderungsregelungen, allerdings mit anfangs möglichst geringen Quoten. Eine Forderung, die außer den Wirtschaftsvertretern alle unterstützen, auch wenn noch über Zahlen verhandelt wird. Die CDU-Kommission wiederum will nur hochqualifizierten Fachkräften die ungehinderte Zuwanderung ermöglichen; Qualifizierte sollen nach einer Bedarfsquote ausgewählt werden, alle anderen nur einen befristeten Aufenthaltsstatus erhalten.

Und natürlich gilt auch für Fachkräfte der Zwang zur Integration. Sie sollen nicht nur nach kanadischem Vorbild bereits eine bestimmte Punktezahl, die sich aus Sprachkenntnissen, Alter und Qualifikation errechnet, vorweisen, um überhaupt einreisen zu dürfen. Auch wenn sie hier arbeiten, sollen sie weiter über den Besuch von Sprachkursen und Qualifikationsmaßnahmen Punkte sammeln, um ihren Aufenthaltstitel zu festigen. Dank CDU und CSU ist dabei auch der Begriff der Leitkultur wieder im Spiel, diesmal definiert als Summe der »Normen und Gepflogenheiten«, »denen sich die einheimische Bevölkerung verpflichtet fühlt«. Inhaltlich bestimmt wird sie als Mischung aus Christentum, Aufklärung und Humanismus.

Ob sich SPD und Grüne mit dieser Definition anfreunden können, ist noch ungewiss. Die Kernpunkte der Vorschläge aber, die Forderung nach Integration also, den Ruf nach einem »effektiveren« Asylverfahren und den Wunsch nach perfekt gesteuerter Arbeitsmigration, bejahen Regierung und Opposition.

Und sie werden sich mit der Umsetzung auch beeilen, nicht nur, weil ComputerspezialistInnen fehlen. Ab 2004 sollen Asyl und Migration zentral von der EU-Kommission bearbeitet werden. Dafür ist jedoch eine gemeinsame Richtlinie nötig. Bei deren Verhandlung hat Deutschland bessere Chancen, seine Restriktionswünsche durchzusetzen, wenn entsprechende Gesetze bereits im eigenen Land gelten.